Oberhausen. Vor 125 Jahren fuhr die erste Straßenbahn durch Oberhausen. Das Projekt erforderte Mut und Risikobereitschaft – beides zahlte sich aus.

Als am 4. April 1897 erstmals eine Straßenbahn durch Oberhausen rollt, reißt dieses Ereignis die Bürgerinnen und Bürger der Stadt aus ihren Sofas. „Bis Mitternacht“ wurde gefeiert, stellte die Presse fest. Was zur damaligen Zeit wohl so war, als würde heute das letzte Pils im Morgenlicht getrunken. Oberhausen hatte eine Straßenbahn bekommen, die erste in kommunaler Eigenverwaltung. Und mit den schweren Rädern sollte auch die Wirtschaft der Stadt in Bewegung geraten. Die Tram gehört zur Vergangenheit der Stadt und vielleicht gehört ihr schon bald auch ein größeres Kapitel der Zukunft als zunächst gedacht.

Nach der Weltwirtschaftskrise 1873-1879 erlebten die Menschen in den 1890er Jahren eine Zeit des Aufbruchs: Der Arbeitsmarkt erlebte ein Hoch dank der Eisen- und Stahlwerke und der Zeche. Die Menschen träumten wieder von Zukunft und Wohlstand. Die Infrastruktur sollte den Weg dahin bereiten. Durch den Bahnhof war schon das Bewusstsein entstanden, dass „Oberhausen das Kind der Eisenbahn und Industrie ist“, hielt Stadtarchivar Dr. Magnus Dellwig entsprechend jetzt in seinem Vortrag auf der Jubiläums-Gala der Stoag im Industriemuseum Altenberg fest. Nun sollte der nächste Schritt kommen.

Eine historische Straßenbahn bei einer Jubiläumsfahrt vor dem Arbeitsgericht in Oberhausen
Eine historische Straßenbahn bei einer Jubiläumsfahrt vor dem Arbeitsgericht in Oberhausen © Stadtarchiv Oberhausen

650.000 Reichsmark für die erste Straßenbahn in Oberhausen

Die Stadt Oberhausen ging ins Risiko und errichtete in kommunaler Eigenregie eine Straßenbahn. Dafür nahm sie Kosten in Höhe von 650.000 Reichsmark in Kauf. Eine schwerwiegende Entscheidung: In den nächsten Jahren wurde das Budget für die Schulen gesenkt, die Ausgaben für die Infrastruktur erhöht. Fortschritt dank Verkehrstechnik, war die neue Losung.

Die ersten Linien führten über die Essener und Mülheimer Straße bis zur damaligen Stadtgrenze Grenzstraße. Eine weitere zweigte von der Mülheimer Straße in die Marktstraße und führte über die Friedrich-Karl-Straße zum Bahnhof, erreichte schließlich das Brücktor. Schon bald sollten weitere Linien entstehen, die Straßenbahn wurde zum Motor und Symbol des Wandels.

Mittagessen zu Hause dank Straßenbahn-Verbindung

Das Geschäftszentrum Knappenviertel ließ sich nun leicht erreichen, das Pendeln zwischen Wohngebieten und Werken war kein Problem mehr, auch das Mittagessen, in einer 14-Stunden-Schicht unerlässlich, konnte zu Hause genossen werden. Das Leben florierte, der Mittelstand dankte: Nun gab es Theateraufführungen, Konzerte, bessere Bildungseinrichtungen, ein höheres Jobangebot. Oberhausen setzte sich ein neues Ziel, wollte „urbane Industriegroßstadt“ werden.

Eine Straßenbahn in Oberhausen um 1900
Eine Straßenbahn in Oberhausen um 1900 © Stadtarchiv Oberhausen

Wozu der Blick in die Vergangenheit? Weil man aus ihm für die Gegenwart lernen kann. Aus Dellwigs Sicht hätte es ohne die Entwicklung „kein Überleben der Stadt Oberhausen gegeben“. Hamborn, das 1929 20.000 Einwohner mehr als Oberhausen hatte, aber keine Unternehmen, wurde schließlich ein Teil Duisburgs. Ein ähnliches Schicksal blieb Oberhausen dank des wirtschaftlichen Aufschwungs, dank der Straßenbahn erspart.

1996: Oberhausen führt die Straßenbahn wieder ein

Für Dellwig wiederholte sich die Geschichte 1996 mit der Wiedereinführung der Straßenbahn. Nach Jahrzehnten auf dem Abstellgleis wurde sie erneut Motor und Symbol des Wandels. Neue Trassen verbanden nun Oberhausen mit dem Einkaufszentrum Centro. Wieder erlebte die Stadt einen Wandel, diesmal zum Dienstleistungs- und Freizeitzentrum.

125 Jahre Straßenbahn in Oberhausen: (von links) Oberbürgermeister Daniel Schranz, Stoag-Chef Werner Overkamp, Stoag-Vorsitzender Denis Osmann und Jan Borkenstein von der IHK beim Festakt am 4. April 2022 im Industriemuseum Altenberg.
125 Jahre Straßenbahn in Oberhausen: (von links) Oberbürgermeister Daniel Schranz, Stoag-Chef Werner Overkamp, Stoag-Vorsitzender Denis Osmann und Jan Borkenstein von der IHK beim Festakt am 4. April 2022 im Industriemuseum Altenberg. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Für die Stoag könnte sich die Geschichte nun erneut wiederholen. Große Herausforderungen sind zu bewältigen: die Folgen der Corona-Pandemie, vor allem aber die Klimakrise. Parallel dazu verändert sich das Mobilitätsbewusstsein der Menschen. „Wir müssen den öffentlichen Verkehr neu organisieren“, sagte der aus Berlin zugeschaltete Mobilitätsexperte Professor Andreas Knie. „Die Menschen wollen von A nach B befördert werden, nicht mehr von Haltestelle zu Haltestelle.“ Der urbane Lebensraum müsse umgedacht werden: Städte seien bisher für das Auto konzipiert, in Zukunft müssten sich in vollgepackten deutschen Großstädten die Menschen von den Autoprivilegien verabschieden, um Platz zu schaffen.

Stoag-Chef Overkamp appelliert an den Mut

Die Stoag und die Stadt sehen sich auf einem guten Weg, den Wandel anzutreiben. Ab kommendem Jahr sollen 15 weitere E-Busse auf den Straßen fahren, kündigte Oberbürgermeister Daniel Schranz an. Damit sind es insgesamt 20.

20 Prozent Frauen-Anteil bei der Stoag

Bei der offiziellen Eröffnung am 3. April 1897 waren ausschließlich Männer als Ehrengäste geladen.

125 Jahre später, beim Festakt am Montag im Industriemuseum Altenberg, waren unter den rund 100 geladenen Gästen nur eine Handvoll Frauen anwesend. Die Stoag ist dennoch stolz auf die Entwicklung beim Thema Gleichberechtigung: Laut des Vorsitzenden Dennis Osmann beträgt der Frauen-Anteil unter den Angestellten 21 Prozent. Insgesamt beschäftigt die Stoag 470 Mitarbeitende.

Ab Juni gebe es außerdem einen Expressbus von Sterkrade nach Kirchhellen. Mut sei nun gefragt, um die Stadt zukunftsfähig zu machen. Wie vor 125 Jahren. „Die Corona-Pandemie ist nicht einfach gewesen“, sagte Stoag-Chef Werner Overkamp. Die Fahrgastzahlen seien um 20 Prozent eingebrochen. Er blicke dennoch motiviert nach vorne. „Auch heute brauchen wir Mut, um manche Sachen umzusetzen.“

Ob er damit die zunächst totgesagte Straßenbahnlinie 105 meint? Denn auch die könnte künftig von Essen-Frintrop doch noch zum Centro führen – auf einem neuen Linienweg. Die Stadt lässt diese Zukunftsvision der Neuen Mitte vom renommierten Frankfurter Stadtplanungsbüro „Albert Speer und Partner“ (AS + P) prüfen. Damit könnte für die Tram in Oberhausen künftig tatsächlich ein neues Kapitel aufgeschlagen werden.

Lesen Sie dazu auch:

Klare Mehrheit gegen neue Straßenbahnlinie 105 in Oberhausen

Von Essen bis zum Centro: Neue Chance für die Straßenbahn 105

Fährt künftig doch die Straßenbahn 105 von Essen zum Centro?