Oberhausen. Vor 50 Jahren: 1967 wird auch im „Ufo“ Stadthalle zum Wendejahr. Deutsche Jungfilmer heben ab – und die Filmförderung sorgt für Randale.

  • Man ahnte was: Der Chef der Kurzfilmtage sprach von „Krise“, die Bürgermeisterin von „Protest“
  • 1967 war nicht nur kulturell ein Wendejahr: Jungfilmer hatten Erfolg – und wurden gefördert
  • Nur die sorgsam gepflegte Ostpolitik der Oberhausener litt an den Wirren aufrüherischer Jahre

Vor 50 Jahren war’s auch nicht besser. „Wir leben im Krisen-Zeitalter“, schrieb Hilmar Hoffmann ins Vorwort zum 1967er Jahresbericht der XIII. Westdeutschen Kurzfilmtage. Und Luise Albertz konstatierte: „Proteste sind das Merkmal dieser Zeit.“ Womöglich war diese Prise Prophetie keine große Kunst für den Gründungschef der Kurzfilmtage und für die „Frau Oberbürgermeister“, wie die 65-jährige SPD-Politikerin sich anreden ließ. Aber Prophetie war’s doch während der ersten Aprilwoche dieses (pop)kulturellen wie politischen Wendejahres.

Entspannungspolitik

Der 26-jährige Berliner Student Benno Ohnesorg sollte noch drei Monate leben – dann tötete ihn der Pistolenschuss in den Hinterkopf, abgefeuert aus kurzer Distanz durch einen Polizisten (und Stasi-Spitzel, wie sich erst nach der Wende herausstellte). Westdeutschland geriet nach dem Staatsbesuch des Schahs in Aufruhr gegen den „Muff aus tausend Jahren“. Die Kurzfilmtage hatten schon vorher Politik gemacht – Kulturpolitik, aber sogar „große“ Politik. Mehr noch, es war „Entspannungspolitik“, bevor der Begriff überhaupt zum Allgemeingut werden sollte.

Unübersehbar warben die „13. Westdeutschen Kurzfilmtage“ an der Bahnhofsfassade – direkt unter dem „Bali“-Schriftzug des Kinos.
Unübersehbar warben die „13. Westdeutschen Kurzfilmtage“ an der Bahnhofsfassade – direkt unter dem „Bali“-Schriftzug des Kinos. © Heinz Marzina / Kurzfilmtage

Der Reihe nach: Den großen kulturpolitischen Erfolg der Kurzfilmtage – nach jahrelanger Korrespondenz zwischen dem Rathaus und dem Bonner Innenministerium – brachte die Badische Zeitung spitz auf den Punkt: „Bonn zeigte Oberhausen die kalte Schulter. Nun, im Zeitalter der Großen Koalition, hat man endlich aus den Querschüssen Zuschüsse gemacht.“ Für das einwöchige Festival hatte sich schon zwei Jahre zuvor die Fachzeitschrift „Filmkritik“ in die Bresche geschmissen: Es sei „das beste Kurzfilmfestival der Welt. Jedermann weiß es, ausgenommen der Bundesinnenminister, dem sein zuständiger Referent diese Erkenntnis sorgsam vorenthält.“

Tauwetter dank „Festival im Kalten Krieg“

1967 also gab’s erstmals Geld für die XIII. Kurzfilmtage vom 2. bis 8. April mit ihren 1173 auswärtigen Besuchern, die 113 Wettbewerbsfilme sahen. Und deren kecke „Kinder“ damals durchstarteten zum Langfilm-Format. Fünf Jahre nach dem schon damals als historisch betrachteten „Oberhausener Manifest“ und seinem Schlachtruf „Papas Kino ist tot“ hatte der Neue Deutsche Film tatsächlich die Kinosäle erreicht – während die Kurzfilmtage selbst im „Ufo“ ihr ausschließliches Biotop fanden: in der damals nagelneuen Stadthalle.

Während Werner Herzog und May Spils 1967 noch den Kurzfilmtagen ihre Aufwartung machten (aber schon an ihren ersten Langfilmen arbeiteten), erzielten Volker Schlöndorff mit „Der junge Törless“ und Alexander Kluge mit „Abschied von gestern“ erste Achtungserfolge fern vom Ufo. „Gleichzeitig“, schreibt Ernst Hofacker in seinem popkulturellen Werk „1967“ 50 Jahre später, „wurde eine neue, nachwuchsfreundliche Filmförderung gesetzlich verankert“.

Frau Oberbürgermeister gratuliert: Luise Albertz (1901 bis 1979) war bekannt als engagierte Begleiterin der Kurzfilmtage. Sie sprach nicht nur Grußworte, sondern sah sich vieles an und diskutierte mit den Filmschaffenden.
Frau Oberbürgermeister gratuliert: Luise Albertz (1901 bis 1979) war bekannt als engagierte Begleiterin der Kurzfilmtage. Sie sprach nicht nur Grußworte, sondern sah sich vieles an und diskutierte mit den Filmschaffenden. © Bernd Sellner / Kurzfilmtage

Doch gerade dieses „Filmhilfsgesetz“ sorgte nach dem Übergangsjahr ‘67 für ausgesprochen wilde Zeiten – anders als es die Filmförderer erwartet haben dürften. 1968 zeigte Helmuth Costard in seiner groben elfminütigen Satire „Besonders wertvoll“ einen per Hand bearbeiteten Penis in Nahaufnahmen und ließ als Soundtrack den Gesetzestext verlesen. Das Werk gab’s dann nur nichtöffentlich zu sehen – und prompt empörten sich Filmschaffende über die „Zensur“. Frau Oberbürgermeister meinte abgeklärt, „dass solcher Aufwand einer besseren Sache würdig gewesen wäre“.

Etwa der Oberhausener Ostpolitik unter der jahrzehntelang gepflegten Marke „Weg zum Nachbarn“: Vom „Festival im Kalten Krieg“ schrieb der damalige VHS-Direktor und spätere Landesminister Manfred Dammeyer. Die turbulente Entwicklung der Kurzfilmtage nach ‘67 sah er kritisch: „Längst nicht immer Qualität, ja weit unter Mittelmaß . . . Lärm der jungen Besucher“ – das alles habe die geschätzten Gäste von jenseits des Eisernen Vorhangs nachhaltig verschreckt.