Oberhausen. Die Technische Direktorin, eine von bundesweit nur vier Kolleginnen ihres Bühnenfachs, hat schon über 200 Stücken auf die Bretter geholfen.

Als Technikerin hat Sina Rohrlack, so ihre prompte Schätzung, „über 200 Stücken auf die Bühne geholfen“. Aber ihre ersten eigenen Sätze von den Brettern des Großen Hauses ins Publikum werden erst am 8. April mit der Uraufführung von „Wetterleuchten“ zu hören sein. Dann nämlich zelebriert Simone Dede Ayivi eine Hommage an das Theater von der Bühne aus: als Soundcollage und Technikshow. „Ich komme durch die Pforte“, so erzählte es die Technische Direktorin ins Mikrofon der Regisseurin, „trinke einen Kaffee – und dann ist alles anders als geplant“.

All Hands on Deck: Für die studierte Medieningenieur ist der Theaterbetrieb „wie ein Schiff“. Das ist, zumal als Segler mit hoher Takelage, bezaubernd anzusehen, kitzelt Aromen von Frische und Freiheit. Aber wie es im Maschinenraum aussieht, interessiert wohl die Wenigsten. Außerdem hatte die Chefin der technischen Abteilungen am Will-Quadflieg-Platz sowie der Probenbühne in Buschhausen einst an einer ehemaligen Seemannsschule in Hamburg studiert: Was könnte maritimer sein?

All Hands on Deck: Das gilt auch für diese Probenszene aus „Peter Pan“ in der Regie von Intendant Florian Fiedler. Für den hohen Seegang sorgt eine eindrucksvolle Projektion.
All Hands on Deck: Das gilt auch für diese Probenszene aus „Peter Pan“ in der Regie von Intendant Florian Fiedler. Für den hohen Seegang sorgt eine eindrucksvolle Projektion. © Theater Oberhausen | Katrin Ribbe

Die Frage nach ihrer Technikbegeisterung allerdings lässt Sina Rohrlack stutzen: Schließlich ist sie als DDR-Kind in der Garnisonsstadt Strausberg aufgewachsen. „Uns wurde nie vermittelt, dass Mädchen etwas nicht können.“ Etliche Mitschülerinnen wurden zu Bau-Ingenieurinnen. Den gehässigen Satz „Frauen gehen nicht in Ingenieurs-Berufe“ hörte sie zum ersten Mal am Departement für Medientechnik der Hamburger HAW – von einem der alten Dozenten aus Seefahrerzeiten. Die 19-Jährige ließ sich nicht erschrecken.

„Genau der Tritt, den ich brauchte!“

Andere studierten im Uhlenhorster Idyll der Hansestadt, mit dem English Theatre und der Hochschule für bildende Künste in nächster Nähe, um bei Fernsehen oder Film einzusteigen. Sina Rohrlack aber hatte schon als Schülerin in Strausberg „Wirrwarr“ gemacht: So hieß die Theatertruppe ihres Gymnasiums. „Ich war damals schon Inspizientin, ohne dass ich das Wort kannte.“ In der unmittelbaren Nach-Wende-Zeit waren die Schülerinnen und Schüler auf der Bühne sich selbst überlassen, probten mit Hingabe „Leonce und Lena“ und „Der Widerspenstigen Zähmung“.

Ihre erste berufliche Station war dann aber doch ein Maschinenbau-Praktikum „mit der Feile in der Hand“, gefolgt allerdings von „Shakespeare and Rock’n’Roll“, dem kurzlebigen Berliner Musical-Hit. An Hamburgs ruhmreichem Deutschen Schauspielhaus fand die junge Ingenieurin eine Vertretungsstelle „am Stellwerk“ – und musste nach einem halben Jahr gehen, weil sie sich nicht für größere Aufgaben beworben hatte. Rückblickend betont Sina Rohrlack: „Das war genau der Tritt, den ich brauchte!“

Sina Rohrlack: Sollte es mal knirschen auf dem Theater-Schiff – „kein Zuschauer darf’s merken“.
Sina Rohrlack: Sollte es mal knirschen auf dem Theater-Schiff – „kein Zuschauer darf’s merken“. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Von der technischen Assistentin in Krefeld / Mönchengladbach über Stellen als Werkstattleiterin in Göttingen und an Gelsenkirchens Musiktheater im Revier kam sie schließlich 2019 nach Oberhausen – als eine von bundesweit bisher nur vier Technischen Direktorinnen. Hier ist in einem relativ kleinen Stab die Generalistin mit dem genauen Überblick gefragt: Sie könne weder mit den Illusionskünstlern im Malersaal mithalten noch mit den besten Schreinern, erzählt die Chefin: „Dafür habe ich die Fachabteilungen.“

Fehler können schnell gefährlich sein

Aber sie setzt das schnittige Schiff unter Dampf, klärt mit den Regieteams, welche kleinen Wunder zu welchem Zeitpunkt möglich sind – und welche nicht: „Wie geht Repertoire mit den geringen Lagerflächen? Was brauchen wir für die Schulvorstellungen morgens um 9 Uhr? Wie viele Vorstellungen kriegen wir hin?“ Wichtigstes Pendant bei den vielen Feinabstimmungen ist Chefdisponentin Carolin Ortmann. Und sollte es mal knirschen in der Takelage – „kein Zuschauer darf’s merken!“

„Man wächst mit seinen Aufgaben“, sagt Sina Rohrlack gelassen auch zu den jahrelangen Umbauten und bühnentechnischen Nachrüstungen. Ähnliche Probleme kannte sie von ihrer Göttinger Station, während dem weitaus „dickeren Schiff“ des Musiktheaters im Revier solche Fährnisse erspart blieben: „Das MiR macht jeden Sommer ein bisschen.“ An der längst mit Ausnahmegenehmigungen betriebenen, überalterten Oberhausener Bühnentechnik hätte „ein bisschen“ schon bald nicht mehr gereicht.

Als „bautechnische Direktorin“ sieht sich Sina Rohrlack aber ausdrücklich nicht: „Ich plane keine Antriebe für die Obermaschinerie!“ Ein Stück vom maritimen Gepräge des Theaters fehlt nun auch in Oberhausen – weil niemand mehr, wie einst die Seeleute eines Windjammers, die Seilzüge von Hand bedienen muss. „Die körperlich schwere Arbeit in Höhen fällt weg“, erklärt Sina Rohrlack. Doch die Verantwortung nehme zu: „Jetzt brauche ich hohe Kompetenz im Bedienen der Maschine.“ Fehler im computergesteuerten Umgang mit gewichtigen Bühnenelementen könnten schnell gefährlich, ja lebensgefährlich sein.

Ein Moment großer Rührung: Die November-Premiere von „Mermaids“ mit Agnes Lampkin und (im Hintergrund) Yan Balistoy.
Ein Moment großer Rührung: Die November-Premiere von „Mermaids“ mit Agnes Lampkin und (im Hintergrund) Yan Balistoy. © Theater Oberhausen | Isabel Machado Rios

Mit hörbar größerer Hingabe erzählt die Technische Direktorin von jenem „schönen Schein“ des Theaters, der ganz auf handwerklichem Können gründet: „Wie kann ich Marmorsäulen aufstellen – und sie ganz leicht wegtragen?“ Die Könner für derlei Augentäuschungen arbeiten im Malersaal. „Und die Menschen freuen sich“, betont Sina Rohrlack, wenn ihre Talente gefragt sind. Allerdings beansprucht ein bühnenfüllender Prospekt auch drei bis sechs Wochen Arbeitszeit – und die muss rechtzeitig eingeplant sein.

Als die Kinder wieder durch den Hof liefen

Die Chefin der technischen Abteilungen wird sehr deutlich, sollte es um dauernde Über-Beanspruchung gehen: „Ich könnte mich nicht über eine Premiere freuen, die zu hart erkämpft wurde.“ Eine solche Politik müsste sie nicht schlucken: „Ich kann es mir leisten, ungebunden zu sein.“

Eigene Premiere für die Tricks der Bühnenmagie

Das Große Haus des Theaters Oberhausen öffnet – eineinviertel Jahr nach der letzten Vorstellung vor langem Lockdown – am Freitag, 11. Februar, mit der Premiere von „Karneval“, inszeniert und choreographiert von Joana Tischkau.

Die Technikshow mit dem Titel „Wetterleuchten“ folgt am Freitag, 8. April. Als Intendant Florian Fiedler im Juni vorigen Jahres seine Abschiedssaison der Uraufführungen vorstellte, sagte Dramaturg Raban Witt, damit werde „die Bühne selbst zur Erzählerin“.

Simone Dede Ayivi erarbeitet eine Soundcollage aus den Stimmen jener Theater-Mitarbeiter aus dem technischen Stab, „die auf den Besetzungszetteln oft im kleiner Gedruckten stehen“, wie Witt erklärte. „Wetterleuchten“ verrate die Tricks der Bühnenmagie, ohne sie ihres Zaubers zu berauben.

In dieser Woche beginnt auch im Großen Haus endlich wieder der Regelbetrieb. Wie schmerzlich sie den während der Pandemie vermisst hatte, merkte Sina Rohrlack, als Anfang November im kleinen Saal 2 die Premiere von „Mermaids“ steigen konnte: „Als die Dötzkes ganz gespannt durch den Hof gelaufen sind, hätte ich heulen können. Das tat der Seele gut.“ Ihr Theater ist eben viel mehr als Illusion und Entertainment.