OBERHAUSEN. . Tempo, Eleganz und Bosheit vereinen Lily Sykes’ „Gefährliche Liebschaften“. Das Duell von Vicomte und Marquise kennt nur eine Siegerin.
- Die Bühne in der Mitte wirkt wie ein Himmelbett, das Publikum getrennt nach Frauen und Männern
- Mit gezierten Anleihen an Rokoko-Pracht beginnt Lily Sykes den Geschlechterkrieg durch die Betten
- Ihre Deutung der „Gefährlichen Liebschaften“ setzt ein weiteres Glanzlicht der starken Spielzeit
Zum Schluss zerhämmert Cécile, die verführte Unschuld, jene kitschige Eisskulptur eines geflügelten Putto, die zuvor im schmalen Foyer des Malersaals eintretende Premierengäste zu einer vorsichtigen Berührung verführt hatte: eiskalt, also kein Glas. Auf der Bühne konnte man den herzigen Engel dann tropfen sehen.
Regisseurin Lily Sykes und ihr Team erzählen Christopher Hamptons „Gefährliche Liebschaften“ in bezwingenden Bildern – so eindrucksvoll, dass die degenscharf geschliffenen Dialoge nach dem Briefroman von Choderlos de Laclos davor verblassen. Die Siegerin dieser bösen Komödie zeigt sich ohnehin durch ihr Auftreten – mehr als durch Wortgewalt.
Der Libertin als schicker Loser
Zunächst heißt es fürs Publikum, getrennte Plätze einzunehmen – Männer links, Frauen rechts – auf zwei kleinen Tribünen. Mit ihren gerafften Gaze-Vorhängen an vier Pfosten evoziert die Bühne in der Mitte ein Himmelbett. Die Assoziation Boxring wäre allerdings auch nicht ganz verkehrt.
Galant und geziert, wie man es von einem Werk des Rokoko erwarten möchte, beginnt das Fest in Seidenkleidern und hochgetürmten Perücken. Cécile (Berina Musa), die Debütantin in Pink, bewegt sich wie einer jener menschlichen Automaten, die man im 18. Jahrhundert so schätzte. Bis der Vicomte de Valmont allen unter die breit ausgestellten Röcke greift.
Als Libertin mit Sonnenbrille und gepunktetem Einstecktuch hat Henry Meyer einen großen ersten Auftritt. Noch ist nicht erkennbar, dass jene Marquise de Merteuil – deren exaltierte Rokoko-Perücke der Vicomte wie auf einem Totempfahl platziert – den großmäuligen Galan souverän in der Hand hat.
Denn damit prescht Lily Sykes’ Deutung der „Liaisons dangereuses“ aus dem Ancien regime in die Gegenwart: Ihr Vicomte ist ein Getriebener, letztlich ein schicker Loser – und Elisabeth Kopp als Marquise hält das Heft in der Hand. Nicht das ehemalige Liebespaar, allein die elegante Witwe de Merteuil spinnt am Intrigen-Netz, gibt dem Spiel dunklen Glanz.
Mehr Partykleid als Witwengewand
Diese Entwicklung zeigen karikierend auch die Kostüme: vom Rokoko-Kostüm der Merteuil, das viel mehr Partykleid ist denn Witwengewand, zum Kleinen Schwarzen bis zur Andeutung eines Domina-Outfits. Mit hohen Stiefelschäften peitscht sie schließlich lustvoll ihre letzte Eroberung, den der kleine Cécile versprochenen Chevalier Danceny (Thieß Brammer). Dass diese Fürstin der kalt genossenen Intrige mit einem unbedarften Anfänger die postkoitale Zigarette teilt – man könnte es als einzige Schwäche in ihrem Machtspiel deuten. Oder als finale Demütigung ihres sich ebenbürtig wähnenden Mitspielers Valmont.
En passant vollziehen sich in diesem rasanten Reigen die Manipulationen an Céciles Mutter, Madame de Volanges (Susanne Burkhard), damit ihre unschuldige Tochter ihre Unschuld verliert – und an der tugendhaften Madame de Tourvel (Angela Falkenhan). Als Valmont sie grausam aus seiner Gunst fallen lässt, schmiert ihm die Marquise die rote Farbe auf die Handflächen: Der Triumph des zynischen Vicomte besiegelt seine Niederlage gegenüber der Marquise.
Das Schlussbild – der Hammermord am Eisklotz – wirkt wie ein Befreiungsschlag: Glotzt nicht so romantisch! Die Frauenseite des Publikums applaudierte entschlossener diesem weiteren Glanzpunkt einer großen Spielzeit.