Oberhausen. Das Schriftenarchiv in der Kufita-Villa bewahrt auch einen Schatz grafischer Kunst: von bescheidenen Anfängen bis zum heutigen Corporate Design.

Zwei Ausgaben der Internationalen Kurzfilmtage gab’s ausschließlich digital zu erleben – und im nächsten Jahr will das Traditionsfestival „hybrid“ weitermachen: also im weltweiten Netz und im Kino. Da könnte man doch mutmaßen: Was will ein während zweier Lockdowns so radikal umgekrempeltes Filmfestival noch mit dem alten „Holzmedium“ namens Plakat? Doch selbst für die beiden PC-Ausgaben der Kurzfilmtage gab’s große Poster, gestaltet mit besonderem Pfiff und Hintersinn.

Stimmige Komposition: Das schwungvoll getuschte Filmband rollte durch mehrere Jahrgänge der Kurzfilmtage.
Stimmige Komposition: Das schwungvoll getuschte Filmband rollte durch mehrere Jahrgänge der Kurzfilmtage. © Archiv der Kurzfilmtage

Die Plakate aus 67 Jahren der Kurzfilm- (oder zunächst Kulturfilm-)Tage sind ein Schatz grafischer Kunst, den Carsten Spicher gerne vervollständigen würde. Denn noch fehlen dem Leiter der deutschen und NRW-Wettbewerbe sowie des Kufita-Archivs einige Perlen – sprich Jahrgänge. „Hilmar Hoffmann war eben nicht klar, dass er ein Archiv anlegt.“ Dabei hätte man gerade dem selbstbewussten Gründervater der Kurzfilmtage eher unterstellt, die Bedeutung dieses Filmemachertreffens sehr bewusst für die Nachwelt festzuhalten. Tatsächlich, sagt der 55-jährige Archivar der Filmstreifen und Festplatten wie der Korrespondenzen und Fotos, „haben wir damit erst vor 15 Jahren angefangen“.

Cineastische „Dreikämpfe“ der Länderprogramme

Dabei sind gerade die in jedem Sinne plakativen Großformate mit ihrer markant wechselnden Bildsprache sprechende Zeitdokumente: mal eingängig, mal auf attraktive Weise rätselhaft. „Es gibt Phasen“, bestätigt Carsten Spicher entspannt. Die Anfänge waren bescheiden, doch schon damals stilbewusst. „Man spürt sofort, dass die Komposition stimmt“ – so beschreibt Spicher das bis in die 1960er Jahre gültige Design: eine schwungvoll stilisierte Filmrolle, darüber in römischen Ziffern der Jahrgang und die drei Worte „Westdeutsche Kurzfilmtage Oberhausen“.

Der Hüter des Archivs: „Das Programm“, in den letzten Jahren unmittelbar vor der Pandemie ein 400-Seiten-Werk, „passte damals auf ein Plakat“. Den Archivar amüsiert „der olympische Gedanke“ der Länderprogramme, von denen die besten alljährlich prämiert wurden. Die Kinogänger sahen dann in einer Aufführung „Dreikämpfe“ in Kombinationen wie Japan/Argentinien/Brasilien – und Carsten Spicher rätselt: „Was ist das verbindende Element?“

New Wave der 1980er: In derart zackigen Schrifttypen kamen auch die Plattencover der „Neuen deutschen Welle“ daher.
New Wave der 1980er: In derart zackigen Schrifttypen kamen auch die Plattencover der „Neuen deutschen Welle“ daher. © Archiv der Kurzfilmtage

Eine nahezu barocke Phase der Plakatgestaltung für die Kurzfilmtage waren die 1970er und ‘80er Jahre mit dem durchgängig gültigen Motto: „Weg zum Nachbarn“. Gemeint war die Öffnung nach Osteuropa; Gestalter waren meist Könner des Animationsfilms. Auf den Litfaßsäulen Oberhausens sah man surreal-verspielte Motive, wie sie bis zum Ende des 20. Jahrhunderts die polnische Plakatkunst prägten – auch wenn für die Kurzfilmtage bevorzugt Künstler aus Jugoslawien aufschlussreich-verrätselte Bilder entwarfen.

„Weg zum Nachbarn“ mit Hexe und Ordensfrau

So zeigt das 1987er Plakat Hexe und Ordensfrau Stirn an Stirn und Hand in Hand – eine giftig leuchtende „Nachbarschaft“. Das 1985er Plakat zitiert Michelangelos göttlichen Fingerzeig aus der Sixtinischen Kapelle. Doch hier hält die himmlische Hand ein Filmpäckchen, natürlich adressiert an die Kulturvilla in „4200 Oberhausen“. So wird ein kleines Auftragswerk zur Fußnote der Technik- und Kommunikationsgeschichte.

„Mit den 1990er Jahren wurde es anders“ – aus Carsten Spicher spricht gepflegtes Understatement. Man könnte es auch als Bruch auffassen: Der „Weg zum Nachbarn“ war passé mit der Wende in Osteuropa. Die Plakate trugen nicht mehr die sehr individuelle Handschrift bildender Künstler – auch Oberhausens Stadtkünstler Walter „Kuro“ Kurowski hatte den diplomatischen „Drahtseilakt“ der Kurzfilmtage ins Bild gesetzt. Jetzt gingen die Aufträge an Werbeagenturen, die bevorzugt Filmstills nutzten.

Online-Portal macht Lücken im Bestand sichtbar

Im Treppenhaus der Kurzfilmtage-Villa an der Grillostraße sind neun historische Plakate in „Petersburger Hängung“, dicht an dicht, ein staunenswerter Blickfang. Inzwischen lassen sich die Poster aber auch im Online-Portal kurzfilmtage.de scrollen (dazu am Ende der Startseite auf „Plakatarchiv“ klicken).

Die 50 online abgebildeten Plakate machen deutlich: Vor allem aus den frühen Jahren gibt’s doch noch Lücken im Bestand – die Carsten Spicher als Archivar gerne schließen würde.

Vereinzelt verfügt das Plakatarchiv auch über künstlerisch gestaltete Plakate für einzelne Kurzfilme wie etwa Vlado Kristls „Die Hälfte des Reichtums für die Hälfte der Schönheit“ (1994).

Film-Forschende erhalten nach Terminabsprache einen Einblick wird vor Ort.

Für den Archivar ragen zwei auf den ersten Blick „stille“ Motive heraus. Eines brachte die Kurzfilmtage sogar fast in Verruf: 2002 war’s das Jahresthema „Katastrophen“, illustriert durch ein Still von Doug Aitken. Es zeigt Linien wie Kondensstreifen am Himmel, dazu am linken Bildrand ein Flugzeug. „Man hat uns vorgeworfen, von den Attentaten des 9. September 2001 profitieren zu wollen“, erinnert sich Carsten Spicher.

Post für „4200 Oberhausen“: Das Plakat von 1985 (hier ein Ausschnitt) zeigt ein typisches Päckchen für Filmspulen.
Post für „4200 Oberhausen“: Das Plakat von 1985 (hier ein Ausschnitt) zeigt ein typisches Päckchen für Filmspulen. © Funke Foto Services GmbH | Kerstin Bögeholz

Das 2007er Foto eines leeren Museumsraums unter gläsernem Oberlicht markiert für den 55-Jährigen „ein ganz wichtiges Jahr“: Es war das Jahr des jungen britischen Kurators und Performance-Künstlers Ian White (1971 bis 2013), der die Kurzfilmtage neu einordnete „zwischen Film- und Kunstwelt“. Längst sind Kurzfilme – meist unter dem Signet „Installationen“ – in abgedunkelten Galerie-Kuben und Museen viel selbstverständlicher zuhause als in Kinos.

Flatternd im Rüschenhemd zum Jupiter

Doch das wohl charmanteste Beispiel dieser Zeit der Neuorientierung stammt aus einem der allerersten Science-Fiction-Filme: Eine bäuchlings schwebende Gestalt im Rüschenhemd aus „Voyage sur Jupiter“ von 1909 war der Blickfang für den 2010er Jahrgang.

Vom skurrilen Unikat zum Corporate Design: Gegen derlei Possierlichkeit können die betont auf Wiedererkennbarkeit setzenden Plakate der jüngsten Jahrgänge nicht mithalten. Die Ziffern- und Schrifttypen bleiben sich gleich, dafür wechseln mit den Jahrgängen die Farben. Das waren übrigens während der letzten 2010er Jahre vor der Pandemie geradezu prophetisch: rot, gelb und grün. Hohe Banner prägten dann, noch mehr als die Plakate, das Stadtbild von Alt-Oberhausen.

Festivals und Programmkinos in aller Welt zeigen die Poster für „Oberhausen on Tour“ – Oberhausen selbst leider nicht.
Festivals und Programmkinos in aller Welt zeigen die Poster für „Oberhausen on Tour“ – Oberhausen selbst leider nicht. © Archiv der Kurzfilmtage

Und doch waren einige der schönsten Poster hier nie zu sehen: Es sind die für „Oberhausen on Tour“ ausgewählten Filmstills. Für Kurzfilme werden ja sonst sehr selten eigene Plakate produziert, weiß Carsten Spicher. Doch die auffälligen „On Tour“-Aushänge „verschicken wir all over the world“. Konkret: von der „Pix Film Gallery“ in Toronto bis zum „Blickle Kino“ in Wien ganz im Stil der 1950er Jahre. Sogar im mexikanischen Weltkulturerbe San Luis Potosí auf fast 2000 Metern Kordillerenhöhe gibt’s ein „Centro Cultural Alemán“ – und dazu eine Oberhausener Auswahl experimenteller bis ergreifender Geschichten in bewegten Bildern.