Oberhausen. Der Rückkehr des Wolfs bis an den Rand von Oberhausen widmet der Förderkreis Burg Vondern einen historischen Essay und erschließt rare Dokumente.

Auch die 2022er „Burgpost“ ist wieder eine Fundgrube: Das Jahresheft des Förderkreises Burg Vondern nimmt auf 48 Seiten natürlich vor allem die Ereignisse, Forschungen und Restaurierungsarbeiten an Oberhausens ältestem Gemäuer in den Blick – blickt aber auch weit über die Burgzinnen hinaus.

Denn auf kompakten drei Seiten machen sich Walter Paßgang, der rührige Vorsitzende des Förderkreises, und sein Stellvertreter Dr. Matthias Böck an eine kleine Kulturgeschichte des Verhältnisses zwischen Mensch und Wolf. Sie fanden einige sprechende Dokumente über die uralte Angst vor „Isegrim“ – die jetzt, seitdem die Wölfin Gloria vor dreieinhalb Jahren ihr eigenes Schermbecker Revier begründete, wieder zurückkehrt. Und zu diesem amtlichen Wolfsgebiet zählt immerhin auch das ländlichste Oberhausen nördlich der A2/A3.

Zwischen Furcht und Faszination: Der Wolf (Canis lupus lupus) ist ein Raubtier mit besonderem Charisma.
Zwischen Furcht und Faszination: Der Wolf (Canis lupus lupus) ist ein Raubtier mit besonderem Charisma. © picture alliance/dpa | Bernd Thissen

Vor mehr als 200 Jahren war der weitläufige Norden des Vests Recklinghausen, damals inklusive Osterfeld, noch kaum von Straßen erschlossen – geschweige denn von Autobahnen zerschnitten. Damals schien Canis lupus lupus, der graue Ahnherr unserer Haushunde, zwischen den vereinzelten Weilern noch die Oberhand zu haben. Denn die von Walter Paßgang und Matthias Böck zitierten Quellen künden von großer Sorge: So hatten die Osterfelder während der Wintertage unter angreifenden Wölfen zu leiden.

Rom betete für die Marienthaler Eremiten

Um die Augustinereremiten im nahen, aber noch etwas abgelegeneren Kloster Marienthal an der Issel flehten sogar die Ordensoberen im fernen Rom (einst von den Ziehsöhnen einer Wölfin gegründet) anno 1747 um himmlischen Beistand: „Lasst uns für die Beylarensischen Brüder beten, auf dass sie nicht von den Wölfen gefressen werden.“

Wer derart sogar die Geistlichkeit bedroht – gegen den wird auch von der Kanzel zur Jagd geblasen. Die Akte einer solchen Wolfsjagd von 1797 entdeckten die „Burgpost“-Autoren im Münsteraner Staatsarchiv: Der klevische Landjäger Timmermann, zuständig für Sterkrade, Osterfeld und Vondern, schreibt dem Vestischen Statthalter von Wölfen in seinem Revier, „die den Untertanen schon Schaden zugefügt haben und in der Folge noch mehr Schaden zufügen können“. Dringend plädiert der Landjäger für eine weiträumig organisierte Jagd gegen „dieses besonders für den Landmann höchst schädliche Raubtier“.

Blick ins Kirchenschiff von St. Pankratius, hier zu Pfingsten 2020 geschmückt mit hundert Papiertauben. Von der Kanzel verpflichtete man die Osterfelder Männer zur Wolfs-Treibjagd.
Blick ins Kirchenschiff von St. Pankratius, hier zu Pfingsten 2020 geschmückt mit hundert Papiertauben. Von der Kanzel verpflichtete man die Osterfelder Männer zur Wolfs-Treibjagd. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

So geschah es – allerdings mit sehr mäßigem Erfolg – am 17. Mai 1797: Von der Kanzel in St. Pankratius gab man bekannt, dass jeder Haushalt einen Mann zu stellen habe. Von Recklinghausen her, wo Wolfsnetze aufgestellt waren, wurden die Wälder durchstreift, um die Wölfe zum Hiesfelder und Sterkrader Wald zu jagen. Von Norden, aus Gahlen und Hünxe, sollte die Treibjagd den Schrecken der Weidetiere einkreisen. In Hiesfeld und Sterkrade warteten die Jäger, ausgestattet mit Flinten und grobem Schrot.

Kein einziger Wolf kam zur Strecke

Kugeln erschienen der Obrigkeit zu gefährlich – oder man wollte in revolutionären Zeiten seine Untertanen nicht leichtfertig überbewaffnen. Zur Strecke kam bei dieser Treibjagd jedenfalls kein einziger Wolf. Man hatte die klugen Tiere nur vorerst verscheucht.

Wie schwierig es ist, Wölfe zu „vergrämen“, ohne sie zu töten, beweisen nun schon im vierten Jahr im Schermbecker Revier „Gloria“ und ihre Familie. Diesen Aspekt nutzen die beiden Autoren Paßgang und Böck für ihre – etwas makabre – Schlusspointe. Allerdings beleuchten sie zuvor noch in einem gerafften Streifzug das besondere Charisma von Canis lupus lupus zwischen Furcht und Faszination. Sie zeigen den Wolf zwischen Greifvögeln auf einer kirchlichen „Bestiensäule“ – und daneben die treuherzig aufgereihten Vonderner Schafe.

„Zum Heulen gut“: Petra Ahnes Wolfs-Porträt

Die weiteren Themen der aktuellen „Burgpost“ sind so weit gestreut wie die Aktivitäten des Förderkreises Burg Vondern. Sie reichen vom neuen Lichtkonzept für die Burg über die Lockdown-Zeit bis zu Rückblick und Vorschau auf die musikalischen Burgmatineen. Auch an das Heimatblatt „Kickenberg“ erinnern die Burgpostillone.

Eine ausführliche Motiv- und Kulturgeschichte des komplizierten Verhältnisses von Mensch und Wolf – von Rotkäppchen bis zum Werwolf – lieferte auf 144 Seiten Petra Ahne in ihrem „Porträt“ genannten Band „Wölfe“, erschienen 2016, erhältlich für 20 Euro. Er zählt zur schön gestalteten Reihe „Naturkunden“ des Berliner Verlags Matthes und Seitz. „Zum Heulen gut“, kalauerte die Illustrierte Stern.

„Wer das immer noch seltene Tier vermisst“, so der Schluss des Essays, „mag sich Hoffnungen auf seine Rückkehr auch auf die Burg Vondern machen. Denn in deren unmittelbarer Nachbarschaft leben ja seit einiger Zeit Schafe.“ Nur gut, dass Isegrim keine „Burgpost“ liest.