Oberhausen. Der erfahrene Videokünstler erarbeitete sich das Vertrauen der Ruhrschäfer – und ihrer Herden. Oberhausens Beitrag zum Wettbewerb „City Artist“.

Volker Köster ist zwar Cineast und hat als Videokünstler für Schauspiel und Musiktheater erst im Januar die Inszenierung von Verdis „Il Trovatore“ an der Oper in Linz veredelt. Doch sein „Orange“-Film meint garantiert keine Anspielung ans „Clockwork Orange“, Stanley Kubricks grellbunte Satire um Gewalt, Rossini und Beethoven. Denn Schafe sind nun wahrlich friedliche Tiere – und das darf auch für „Orange“ gelten, das mit der Flasche aufgezogene Schaf mit der Kamera.

Dem Nachwuchs aus der Merino-Herde des Oberhausener Schäfers Florian Preis eine Mini-Kamera ans orangefarbene Halsband zu montieren, bedarf einigen Geschicks und guter Gaben in Gestalt orangeroter Möhren. „Schafe sind schlau“ – eine der vielen Lektionen, die Volker Köster auf dem langen Weg zu seinem Filmkunstprojekt auf Oberhausens grünen Weiden zu lernen hatte.

Aus Jungfilmer-Perspektive: eines der ersten Bilder aus der Orange umgeschnallten Mini-Kamera.
Aus Jungfilmer-Perspektive: eines der ersten Bilder aus der Orange umgeschnallten Mini-Kamera. © Ruhrpott-Film | Volker Köster

Ausgangspunkt war einer der vielen Frankreich-Urlaube des deutsch-französischen Ehepaares: In ihrer voralpinen Sommerfrische hörten sie von den großen Sorgen der Schäfer, die ihnen die Rückkehr des Wolfs bereitet. „Bis der Wolf mal zu uns ins Ruhrgebiet kommt?“, sinnierte Volker Köster – und war als nächstes bei einer Bürgerversammlung in Hünxe, wo man über die Wölfin „Gloria“ debattierte: seine erste Begegnung mit einer Ruhrschäferin.

Hundert Stunden bewegter Bilder

Der Filmkünstler gibt unumwunden zu, dass er sich das Vertrauen der Schäfer erarbeiten musste: „Alle hatten erstmal keine Lust. Aber ich habe keine Eile.“ Der 54-Jährige hat die Herden auch ohne Kamera begleitet – und festgestellt: „Das ist physisch harte Arbeit.“ Mit seinen rund 350 Schafen und den Hunden legt der Oberhausener Schäfer Florian Preis routiniert zwölf Kilometer zurück. Und findet in einem von Autobahnen, Kanälen und Bahnstrecken vielfach zerschnittenen Stadtgebiet für seine Herde wider Erwarten immer noch Wege. Selbst über die Henkelmannbrücke mussten sich die Huftiere wagen.

Dieses Projekt funktioniert nur mit Florian“, betont Volker Köster, der seine Stadt dank der Schafsrouten ganz neu entdeckte. Der Schäfer vergibt Patenschaften für jene Lämmer, die von den Mutterschafen nicht angenommen wurden und deshalb mit der Flasche aufgezogen werden: Sie sind besonders zutraulich – und so zündete beim Filmemacher die „Orange“-Idee. Für einen Dokumentarfilm, der vom Wanderleben der Ruhrschäfer und ihrer Herden erzählt, hat er bereits an die hundert Stunden bewegter Bilder angesammelt, die er sich während des Sommers am Schneidetisch vornehmen will.

Nicht nur lammfromm: Wenn Orange keine Kamera tragen mag, weiß sie sich gewieft in der Herde zu verstecken.
Nicht nur lammfromm: Wenn Orange keine Kamera tragen mag, weiß sie sich gewieft in der Herde zu verstecken. © Ruhrpott-Film | Volker Köster

Doch Orange, deren flauschige Ohren beim Schafsgalopp durchs Bild wippen, soll – in vielfachem Sinn – für eine andere Perspektive sorgen: Sie und ihre Mitschafe „haben mich Geduld gelehrt“, sagt Volker Köster. „Mit ihnen kann man die Dinge nicht forcieren.“ So sieht er denn die 20 Filmminuten von und mit Orange als Video-Triptychon. Aufzustellen wären die drei Projektionsflächen hinter Kunstrasen direkt am Boden – denn: „Schafe mögen keine Treppen.“

„Ich gelte als duldsam, einfältig und rein“

Auch die religiöse Tradition dreigeteilter Bildtafeln ist dem Filmemacher bewusst. In der gemeinsamen Bewerbung mit Orange für das Förderprogramm „City Artist“ lässt Volker Köster seine Protagonistin (nach einer Rast an der Sterkrader Heide) philosophieren: „Ich gelte als duldsam, einfältig und rein – und wurde so zum Symbol in drei Religionen.“

Volker Köster füttert „Orange“ – und Schäfer Florian Preis darf kurz entspannen.
Volker Köster füttert „Orange“ – und Schäfer Florian Preis darf kurz entspannen. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Doch keine Sorge: eine Synchronstimme soll’s im Orange-Triptychon nicht geben. Statt einer Erklärstimme, die sich in den meditativen Strom der Bilder drängen würde, soll eine Soundcollage aus den Geräuschen der Stadt zu hören sein. O-Töne aus der Herde waren dem Filmkünstler zu laut, denn derzeit wird mit blökendem Nachdruck zwischen Nachwuchs und Eltern kommuniziert.

Oberhausen nominiert „Orange“ für Wettbewerb

„Das ist kein Image-Film“, betont Volker Köster. Dennoch hat die Kulturverwaltung der Stadt ein starkes Votum für „Orange“ abgegeben – denn das Filmkonzept avancierte zu Oberhausens Beitrag im Wettbewerb „City Artists 2020“, ausgeschrieben vom NRW Kultursekretariat. Anders als etliche Nachwuchs-Konkurrenzen wendet er sich an Künstler jenseits der 50.

20 Mitgliedsstädte des Kultursekretariats konnten jeweils einen Favoriten nominieren. In Oberhausen standen die Projekte von elf Kreativen zur Wahl. Volker Köster überzeugte die Jury, so Volker Buchloh, Leiter des Kulturbüros, „mit seinem Einsatz moderner Medien und weil er die bebaute Stadt im Kontrast mit der Natur zeigen will“.

In einer zweiten Auswahlrunde gibt’s schließlich für zehn Künstler eine Förderung von jeweils 5000 Euro für ihr Projekt. Ob Stipendiat oder nicht – für Volker Köster ist „Orange“, der Film, längst eine Herzenssache geworden: „Mir macht das schon sehr großen Spaß.“

Die studierte Psychologin Leonie Swann inspirierte dieser Sound vor Jahren sogar zu zwei Schafskrimis mit Bestseller-Status: „Glennkill“ und „Garou“. Volker Köster kennt die Schafs-Schläue statt aus spaßig-thrilliger Literatur längst aus eigener Anschauung. Er kann nur staunen, wie gewieft sich Orange in der Herde versteckt, wenn sie partout mal keine Kamera tragen will: „Dann kann auch der Schäfer nichts machen.“