Oberhausen. Auf 52 Seiten erinnert das Heft der Geschichtswerkstatt Oberhausen an Ewigkeitslasten des Bergbaus und skizziert die NS-Karriere eines Klempners.

„Wasser“ ist der für ein Geschichtsjournal überraschende Themen-Schwerpunkt. Doch damit ist das neue „Schichtwechsel“-Heft alles andere als eine dünne Suppe, sondern präsentiert sich mit 52 reich bebilderten Seiten sogar noch etwas praller als gewohnt.

Die 25. Jubiläums-Ausgabe aus der Geschichtswerkstatt im Zentrum Altenberg erzählte 2018 – mit durchaus makabrer Note – von der studentischen Planer-Vision eines „Ruhrlandsees“, der sich quer durchs Revier gezogen hätte. Wenn man nämlich auf die sogenannte „Wasserhaltung“ in den stillgelegten Zechen verzichten würde. Sie ist im neuen Heft das Thema für Christoph Strahl. Der „Schichtwechsel“-Redakteur bringt die Leserschaft auf den neuesten Stand in Sachen Grubenwasserhaltung und Steinkohlenbergbau. Die so genannte Ewigkeitsaufgabe, die mit salzhaltigen und Schadstoffen belastete „Brühe“ abzupumpen, stellt an die Planer des Wassermanagements der Ruhrkohle AG hohe Ansprüche. Denn das Grubenwasser darf sich nicht mit den Grundwasser vermengen. Und wenn die Pumpen versagten – dann entstünde der „Ruhrlandsee“ von Bottrop bis Bochum.

Die Tafelkirche in Lirich als wegweisende Architektur – und vor allem als soziales Projekt – beschreibt André Wilger.
Die Tafelkirche in Lirich als wegweisende Architektur – und vor allem als soziales Projekt – beschreibt André Wilger. © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel

Die zweite Hälfte der insgesamt elf „Wasser-Seiten“ widmet Daniel Sobanski einer technischen Pionierleistung, die man heute ebenfalls allzu selbstverständlich hinnimmt: Unter der Schlagzeile „Verderbnis des Grundwassers“ geht es um die Zinkfabrik Altenberg (das heutige Domizil der „Schichtwechsel“-Redaktion) als Brunnenwasser-Vergifter und um die vielen Einzelschritte von der Brunnengemeinschaft einer Siedlung zur selbstverständlich sprudelnden öffentlichen Wasserversorgung. Die hatte im 19. Jahrhundert noch ihre liebe Not, die schnell steigende Einwohnerzahl aus einem immer weiter verzweigten Netz an Rohrleitungen mit dem nassen Lebensmittel zu versorgen.

Terrortruppe SA ermöglichte den Aufstieg

Wie in fast jedem „Schichtwechsel“-Heft erkunden wieder mehrere Beiträge die Zeit des Nationalsozialismus. Allerdings ist „Leben für die Partei“ im Kontext der Geschichtswerkstatt ein ungewöhnlicher Text: Basierend auf zwei Quellen im Bundesarchiv stellen Peter Gnaudschun und Thomas Pawlowski eine Täter-Karriere vor. Und dieser Werdegang des Klempners Gustav Dittmer vom gerade 18-jährigen Soldaten in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs zum Oberleutnant der Gendarmerie 1944 in der Ukraine – und damit wahrscheinlich zum Kriegsverbrecher – scheint eine geradezu exemplarische Laufbahn eines beruflich Gescheiterten, dem stattdessen die Terrortruppe der SA ein Auskommen und Aufstieg bietet.

Sara und Uri Atzmon, hier bei einem Besuch in Hamburg: Im Interview erzählt Uri Atzmon von seinem aus Oberhausen stammenden Vater Walter Bein.
Sara und Uri Atzmon, hier bei einem Besuch in Hamburg: Im Interview erzählt Uri Atzmon von seinem aus Oberhausen stammenden Vater Walter Bein. © Roland Magunia / Hamburger Abendblatt

Die andere Seite, die Vernichtung einer weit verzweigten Oberhausener Familie, skizziert Klaus Offergeld in „Die Familie Mettbach“: Fast alle elf Kinder des Sinti-und Roma-Paares Erna und August Mettbach durchlitten die Schikanen, pseudo-„medizinischen“ Misshandlungen und später die Mordlager der NS-„Zigeunerpolitik“.

Ein Kibbuz-Pionier schon in den 1920ern

Einer, der mit seinen Angehörigen den Verfolgungen glücklich entkam, war der jüdische Oberhausener Walter Bein, der als 20-Jähriger bereits 1924 im Sinne der „Alijah“ genannten Rückkehr nach Palästina übersiedelte. Seinen Bruder und seine Eltern holte der Kibbuznik 1934 noch rechtzeitig ins heutige Israel. Im Interview berichtet sein Sohn Uri Atzmon von den Pionierjahren des Vaters.

Wie sich unter Jugendlichen mit der Erinnerung an die NS-Tyrannei umgehen lässt, schildert Stephanie Mantaj im Bericht über die Bildungsarbeit des Vereins „Jugendclub Courage“, der immer wieder Gedenkstätten von Buchenwald bis Theresienstadt mit jungen Oberhausenern besucht.

Erhältlich in den Oberhausener Buchläden

Der neue Schichtwechsel bietet wieder vielfältige Lektüre für Geschichtsinteressierte. Das Journal kostet 3,50 Euro, erhältlich in den Oberhausener Buchläden oder direkt bei der Geschichtswerkstatt, Hansastraße 20, 0208 - 307 83 50, per Mail an info@geschichtswerkstatt-oberhausen.de.

Das eigentlich erfreuliche Thema „Buchgestöber“ kostet die Macher der Geschichtswerkstatt lesbar Nerven: Zweimal durchkreuzten Lockdowns die Termine für den größten Bücherflohmarkt des Reviers im Zentrum Altenberg. Und als es im Oktober endlich soweit gewesen wäre, wollte das Wetter nicht mitspielen.

Da wird man vorsichtig: Zwar widmen die Schichtwechsler dem Ärgernis das Editorial des neuen Heftes – verzichten aber auf eine vierte Ankündigung. Dennoch versprechen sie, wieder zum Stöbern einzuladen.

Last, not least, widmet Redakteur André Wilger die letzten sechs Seiten des Journals dem Tafelverein, der in diesem Jahr sein 20-jähriges Bestehen feierte. Er erzählt die Vorgeschichte der Liricher Kirche „Heilige Familie“, die vor 65 Jahren ganz im Sinne des Konzilsgedankens einen Altar in der Mitte des katholischen Gotteshauses erhalten hatte. Seit 2007 lässt hier die Tafel bedürftigen Menschen lebensnotwendige Hilfe zukommen. Auch die Entwicklung des Tafelvereins beschreibt der Historiker. Mehr als hundert ehrenamtliche Helferinnen und Helfer sind derzeit für die gute Sache aktiv.