Die Polizei Oberhausen hat eine mutmaßliche Drogenbande gefasst. Ein vielen nicht bekanntes Stichwort spielt dabei die zentrale Rolle: Encrochat.

Der Fall Encrochat gilt als eine Zeitenwende in der europäischen Polizeigeschichte: Im Jahr 2020 gelang es einer Spezialeinheit der französischen Gendarmerie, den Server von Encrochat in Nordfrankreich zu knacken. Encrochat – das ist eine Art WhatsApp für Straftäter, also verschlüsselte Smartphones, so genannte Kryptohandys, deren Technik die Kriminellen bis dahin voll vertrauten. Doch von diesem Zeitpunkt an las die Polizei mit, ohne dass die Straftäter das zunächst wussten.

Wobei es hier nicht um ein paar Chats von Klein-Kriminellen geht, sondern um Millionen von geheimen Botschaften der internationalen Organisierten Kriminalität (OK): Die europaweiten Delikte reichen von Drogen- und Waffendeals bis hin zu Folter, Mord und Totschlag.

Über Europol und BKA zu den örtlichen Polizeibehörden

Die französische Polizei gab seinerzeit ihren Ermittlungserfolg über Europol und das Bundeskriminalamt an andere europäische Polizeibehörden weiter. Im Zuge solcher Encrochat-Auswertungen hat jetzt die Polizei Oberhausen einen spektakulären Fahndungserfolg erzielen können: Albanische Staatsangehörige sind ermittelt worden, die im Verdacht stehen, bandenmäßig einen bundesweiten Handel mit Drogen betrieben zu haben.

Marihuana-Lieferungen in Größen von mehr als 100 Kilogramm

Am frühen Donnerstagnachmittag, 9. Dezember, berichteten die Staatsanwaltschaft Duisburg und die Oberhausener Polizeipressestelle über den erfolgreichen Schlag gegen die Bandenkriminalität. Nach derzeitigem Ermittlungsstand sollen die beiden Hauptakteure die Lieferungen von Marihuana in der Größenordnung von mehr als 100 Kilogramm aus Albanien organisiert haben. Der Vertrieb soll dann vor Ort von vier weiteren albanischen Staatsangehörigen im Bereich Oberhausen, Essen und Bottrop abgewickelt worden sein. Im Bereich dieser drei Städte, so heißt es, dürfte die Bande „über mehr als ein Betäubungsmitteldepot“ verfügt haben.

Längere Zeit sind die Ermittlungen verdeckt erfolgt. Die Fahnder konnten zahlreiche Marihuana-Lieferungen von jeweils fünf bis 20 Kilogramm im Bundesgebiet nachvollziehen. Auf diesem Weg sind immer mehr Verdächtige in das polizeiliche Blickfeld gerückt und identifiziert worden. Letztlich ausgelöst durch die Entschlüsselung von Encrochat, sind so Cannabisplantagen in Nordrhein-Westfalen und Hessen „mit beträchtlichen Ausmaßen“, wie es heißt, entdeckt worden.

Aktionen an vielen Einsatzorten mit mehreren Hundert Beamten

Am frühen Morgen des 9. Dezembers haben dann mehrere Hundert Polizeikräfte in einer Großaktion zeitgleich die von der Staatsanwaltschaft Duisburg beim Amtsgericht Duisburg erwirkten Haftbefehle und Durchsuchungsbeschlüsse umgesetzt.

Die Einsatzbilanz kann sich sehen lassen: Ein Haftbefehl und 19 Durchsuchungsbeschlüsse sind in Nordrhein-Westfalen vollstreckt worden – in den Städten Oberhausen, Heinsberg, Lüdenscheid, Bottrop, Gelsenkirchen und Essen; zudem in Korbach (Hessen) und in Strassen (Luxemburg). Die ersten Ergebnisse der Aktion begründeten den Verdacht, dass sechs weitere Objekte (Garagen, Wohnungen, Lagerräume) in Gladbeck und weitere Objekte in Lüdenscheid sowie Gelsenkirchen im Zusammenhang mit den kriminellen Bandenaktivitäten stehen könnten. Auch hier hat die Polizei die Räume durchsucht. Sie traf insgesamt 20 Personen an und nahm sie vorläufig fest.

Bargeld in sechsstelliger Höhe, eine scharfe Schusswaffe, weitere Beweismittel

Die Durchsuchungen aller Objekte förderten neben drei Marihuana-Plantagen mit über tausend Pflanzen in unterschiedlichen Wachstumsphasen Bargeld in sechsstelliger Höhe, eine scharfe Schusswaffe sowie zahlreiche weitere Beweismittel zutage, die sichergestellt wurden und nun im Zuge der weitergehenden polizeilichen Ermittlungen ausgewertet werden sollen.

Ein Beispiel aus Aurich: Encrochat-Ermittlungen im Falle eines 38-Jährigen

Wie wichtig die Entschlüsselung von Encrochat für die bundesweite Polizeiarbeit ist, hat erst Anfang Dezember ein Urteil in Aurich (Ostfriesland) gezeigt: Dort wurde ein Mann wegen Drogenhandels zu einer Haftstrafe von 13 Jahren verurteilt. Das Landgericht in Aurich ordnete laut einer dpa-Meldung zudem an, den Gewinn aus den illegalen Drogengeschäften des Angeklagten einzuziehen – darunter ein Geldbetrag von einer Million Euro, ein Einfamilienhaus, ein Auto sowie Kryptowährungen. Der 38-Jährige wurde demnach wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Drogen und Geldwäsche in 83 Fällen verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Angeklagte als Mitglied einer Bande über Jahre kiloweise Marihuana, Kokain und Amphetamin aus dem Ausland einführte. Seine Frau half ihm laut Gericht dabei. Ausschlaggebend für den Fahndungserfolg und den Gerichtsprozess: die Entschlüsselung von Encrochat.

Polizeipräsident: „In akribischer Kleinarbeit die Bandenstrukturen erhellt“

Der Oberhausener Polizeipräsident Alexander Dierselhuis hat den jüngsten Schlag seiner Beamten gegen die Drogenkriminalität im Oberhausener Lagezentrum fortlaufend begleitet. Der Polizeichef zieht folgende Bilanz: „Durch unser konsequentes Sammeln und Bewerten von Informationen konnten wir auch in diesem Fall die ansonsten gerne im Dunkeln agierenden Bandenmitglieder gezielt in den Fokus nehmen. Unsere Ermittler haben in akribischer Kleinarbeit die Bandenstrukturen erhellt und alle Puzzleteile zusammengesetzt, was letztendlich zu diesem erfolgreichen Schlag gegen die organisierte Drogenkriminalität geführt hat.“