Der frühere Staatsanwalt Alexander Dierselhuis ist neuer Oberhausener Polizeipräsident. Nach wenigen Tagen im Amt gibt er sein erstes Interview.
Herr Dierselhuis, mit 36 Jahren stehen Sie an der Spitze der Oberhausener Polizei. Ist es ein Vorteil oder ein Nachteil, in so jungen Jahren in eine solche Top-Position zu kommen?
Dierselhuis: Mir ist durchaus bewusst, dass das Lebensalter für Gesprächsstoff sorgen kann. Ich denke aber, wenn man zuvor Gelegenheit hatte, einschlägige Berufserfahrungen zu sammeln, dann ist das Alter nicht entscheidend. Ich habe als Staatsanwalt in Düsseldorf gearbeitet, zunächst in der Allgemeinen Abteilung, dann in der Abteilung für Organisierte Kriminalität, und war ab 2018 als Geschäftsführer der „NRW-Regierungskommission zur Sicherheit im Land“ tätig. Ich sehe mich trotz meiner jungen Jahre also gut gerüstet für das Amt des Polizeipräsidenten in Oberhausen. Es war schon immer mein Traum, einmal eine Sicherheitsbehörde zu leiten. Dass dieser Traum so schnell wahr wird, hätte ich allerdings nicht gedacht.
Sie haben damit eine steile Karriere hingelegt. Ist Oberhausen für Sie nur ein Sprungbrett in Ihrer Karriere?
Nein. Ich arbeite bestimmt nicht gezielt darauf hin, in drei Jahren wieder weg zu sein, um woanders Aufgaben zu übernehmen. Allerdings - Ich weiß ja auch gar nicht, was für berufliche Angebote ich noch in meinem Leben bekomme. Jetzt bin ich erst einmal in Oberhausen und freue mich auf diese Aufgabe, der ich mich mit aller Kraft widmen werde.
Sie leben ja im beschaulichen Neuss am Rhein. Welchen Eindruck macht eine solche Großstadt wie Oberhausen mitten im Ruhrgebiet auf Sie?
Ich habe einen positiven Eindruck gewonnen: Das ist eine lebendige Stadt, hier ist was los. Es wäre allerdings vermessen zu sagen, ich würde schon alles kennen. Aber ich habe mich in der Stadt umgeschaut, habe mir zum Beispiel die großen Veranstaltungsgelände und ihre Verkehrsanbindung angesehen. Ich will ja schließlich wissen, worum es geht, wenn mir eine konkrete Einsatzplanung vorgestellt wird. Mir sind die drei Stadtzentren Alt-Oberhausen, Sterkrade und Osterfeld besonders aufgefallen. Das ist etwas ganz Besonderes, das es so in den meisten Städten nicht gibt.
Oberhausen ist gemessen an der Zahl der Straftaten statistisch die drittsicherste Großstadt in Deutschland, trotzdem haben hier viele Menschen zunehmend Angst vor Kriminellen. Woran liegt das?
Das ist ein komplexes Phänomen, das bundesweit festzustellen ist. Eine wesentliche Rolle spielen dabei sicher die Sozialen Medien. Wenn Sie heutzutage Facebook anklicken, stoßen Sie in Ihrem News-Feed schnell auf eine Fülle von Medienberichten aus allen möglichen Städten zu Straftaten, die von anderen Nutzern geteilt und weitergegeben wurden. Über diese lokalen Fälle hätte man früher bundesweit nichts erfahren. Heute kann so in der Summe schnell der Eindruck entstehen, es werde immer schlimmer, obwohl es objektiv im jeweiligen lokalen Umfeld sicherer geworden ist. Bei den Wohnungseinbrüchen zum Beispiel ist der Polizei die Wende gelungen. Das Oberhausener Konzept wirkt. Die Zahl der Fälle ist um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Verstärkte Fahndung, Präventionsprogramme und eine gezielte Aufklärung der Bevölkerung haben gefruchtet. Doch bis sich dann das Sicherheitsgefühl der Bürger verbessert, dauert es.
Behörde mit vier Direktionen
Alexander Dierselhuis leitet seit 1. August mit der Oberhausener Polizei eine Behörde mit fast 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, darunter etwa 400 Polizeibeamte. Der 36-Jährige absolvierte sein Jura-Studium in Trier und sein Referendariat in Kleve und Duisburg. Er ist Mitglied der CDU und gehört in seiner Heimatstadt Neuss dem Vorstand der Union als Beisitzer an.
Das Polizeipräsidium ist in die vier Direktionen Gefahrenabwehr/Einsatz, Kriminalität, Verkehr und Zentrale Aufgaben unterteilt. Zudem gibt es den Leitungsstab, einschließlich der Pressestelle.
Die Polizei Oberhausen ist derzeit wegen des Umbaus des Präsidiums nicht nur am Friedensplatz, sondern auch in einem Bürokomplex an der Lindnerstraße untergebracht.
Zuletzt sind viele schlimme Straftaten in Deutschland geschehen: Eine Frau, ein Kind wurden vor dem Zug gestoßen, mit der Machete wurde auf offener Straße ein Mann getötet, ein Regierungspräsident Walter Lübcke auf seiner Terrasse erschossen, dazu der jahrelange Missbrauch von Kindern in Lügde. Nehmen solche brutalstmöglichen irren Taten zu?
Nach dem subjektiven Eindruck nehmen solche Taten zu, aber statistisch werden sie nicht in einer besonderen Kategorie erfasst, deshalb lässt sich das objektiv nicht feststellen. Solche Taten wie der Stoß eines kleinen Jungen vor einen Zug berühren das Ur-Sicherheitsgefühl eines jeden Bürgers – man fühlt sich plötzlich gefährdet, völlig grundlos Opfer einer Attacke eines vollkommen fremden Menschen zu werden. Das trifft auch auf terroristische Taten zu, wie das Attentat auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin. Richtigerweise verbessern die Behörden anschließend die Sicherheit, etwa durch schwere Poller. Doch dies wiederum sorgt dafür, dass die schrecklichen Taten stets präsent bleiben.
Kann man das Sicherheitsgefühl der Bürger durch mehr Videoüberwachung stärken – in Oberhausen etwa auf dem Willy-Brandt-Platz am Hauptbahnhof?
Das muss man genau untersuchen, bevor man dies realisiert. Gibt es hier wirklich einen Kriminalitäts-Schwerpunkt? Wie ist der Kosten-Nutzen-Wert des Personaleinsatzes? Denn wenn man Kameras aufstellt, müssen deren Bilder auch 24 Stunden/7 Tage lang beobachtet werden. Der Bürger erwartet dann zu recht, dass er sofort Hilfe bei Straftaten bekommt. Ich verfolge mit großem Interesse das Mannheimer Modell zur „Intelligenten Videoüberwachung“. Die Kameras erkennen dabei auffällige Bewegungsmuster und schlagen Alarm. Aber auch ein solches Programm kann nur erfolgreich sein, wenn es von Polizisten begleitet wird und im Fall des Falles sehr schnell Polizei vor Ort ist. In der Düsseldorfer Altstadt am Bolker Stern etwa hat die Videoüberwachung wirklich etwas gebracht. Dort stimmen aber auch die Voraussetzungen: einer extrem hohen Tatfrequenz steht eine ausreichend große Stärke der Polizei in der Nähe gegenüber, die unter einer Minute reagieren kann.
Erfüllen auch mehr gemeinsame Streifen von Ordnungsamt und Polizei das Sicherheitsbedürfnis der Bürger?
Fußstreifen helfen sicherlich der subjektiven Sicherheit der Passanten, aber fachlich bewertet kann eine Pkw-Streife deutlich mehr Raum abdecken und kontrollieren – sie bringt mehr Nutzen als eine Fußstreife. In der Fußgängerzone ist das natürlich etwas anderes, wo man nicht mit dem Auto fahren kann. Hier sind gemeinsame Streifen natürlich sinnvoll. Mit der mobilen Wache nehmen wir diesen Wunsch nach mehr Sichtbarkeit der Ordnungsbehörden auf und verbessern das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger.
In der Oberhausener Innenstadt soll ja auf der Marktstraße eine gemeinsame Anlaufstelle von Polizei und Kommunalem Ordnungsdienst eingerichtet werden. Was halten Sie davon?
Das ist eine sehr gute Idee! Wäre das Projekt nicht längst geplant, hätte ich es selbst vorgeschlagen. Sicherheit muss stets im Zusammenwirken aller Behörden erreicht werden, auch der Kommunale Ordnungsdienst (KOD) gehört dazu. Der Bezirksdienst Mitte der Polizei wird für den Zeitraum der Sanierung des Polizeipräsidiums zunächst einmal mit vier Bezirksbeamten zusammen mit dem Ordnungsdienst in der Innenstadt Präsenz zeigen. Das verbessert objektiv die Sicherheit und das Sicherheitsgefühl der Bürger. Zudem kann die Polizei ihre Präventionsangebote, etwa gegen Einbrüche, an der Marktstraße künftig viel besser präsentieren als bislang.
Nicht wenige Bürger, darunter auch genügend Polizeibeamte, ärgert, dass nach monatelanger Ermittlungsarbeit Kriminelle sehr schnell wieder laufen gelassen werden. Ist die Justiz in Deutschland zu lasch?
Auf solch ein pauschales Urteil kann ich nur pauschal mit Nein antworten. Man muss das differenziert betrachten. Es liegt tatsächlich immer an den Details des Einzelfalls und den handelnden Personen. Alle Fakten, die zur Urteilsfindung herangezogen werden, sind oftmals der Öffentlichkeit nicht bekannt und eine Bewertung der Entscheidung ist daher schwierig. Mir sind Richter begegnet, die sich in ihren Urteilen eher an den milderen Möglichkeiten orientierten, aber es gibt auch Richter, die sich an den härteren Strafbereich anlehnen. Es gibt aber sicher auch Einzelfälle, in den das Urteil aus meiner Sicht zu milde war.
Viele Bürger ärgert auch, dass die Justizverfahren zu lange dauern. Benötigen wir schnellere Verfahren, etwa gegen Kleinkriminelle?
Ja, auf jeden Fall. Idealvorstellung wäre natürlich, es wird innerhalb weniger Tage ermittelt, dann geht es zum Gericht und das Urteil erfolgt in kurzer Zeit. Gerade bei jungen Leuten sollte die Strafe der Tat auf dem Fuße folgen. Aber können wir das auch verwirklichen? Es mangelte vor einigen Jahren bei Justiz und Polizei erheblich an Personal sowie an technischer Ausstattung. In der letzten Zeit sind wir aber hier auf einem guten Weg: Es gibt massive Neueinstellungen des Landes bei Polizei und Justiz, die Digitalisierung der Verfahren mit elektronischer Akte soll in den nächsten Jahren abgeschlossen sein. Die heutigen Verfahrensabläufe, die Papierakten von A nach B durch Boten von Behörde zu Behörde tragen zu lassen, dauern viel zu lange. Die eingeleiteten Maßnahmen können aber erst in einigen Jahren ihre volle Wirkung entfalten. Beispielsweise benötigen die Auswahl und Ausbildung von Polizeivollzugsbeamten entsprechend Zeit.
Sie waren drei Jahre Staatsanwalt in der Abteilung für Organisierte Kriminalität (OK) der Staatsanwaltschaft Düsseldorf. Hat Deutschland jahrelang die Organisierte Kriminalität, also die kriminelle Arbeit von Rockern oder libanesischen Großfamilien, unterschätzt?
Das ist tatsächlich ein Feld, bei dem wir früher nicht genug getan haben. Wir müssen da genau hinschauen, benötigen dafür aber spezialisiertes Personal. Die Ermittlungen hier sind sehr aufwändig, weil bei Geldwäsche, Schutzgelderpressung, Rotlicht, Waffenhandel in der Regel kein Betroffener eine Anzeige stellt. Doch diese Mehrkosten fürs Personal sollte der Staat aufbringen, weil Organisierte Kriminalität eine zersetzende Wirkung auf die Gesellschaft hat. Man hätte hier früher einen Schwerpunkt setzen müssen. Immerhin haben wir in Oberhausen eine eigenes Kriminalkommissariat, das sich nur um Organisierte Kriminalität kümmert – und das ist richtig so.
Wie schätzen Sie die Gefahr durch Organisierte Kriminalität in Oberhausen ein, haben wir hier auch Clans?
Wir haben dazu eine kriminalfachliche Lageauswertung gestartet, die genau das analysiert. Haben wir hier Clans? Wie agieren diese kriminellen Familienverbünde konkret? Wir wollen da noch tiefer reinschauen als bisher und müssen dafür intensive Ermittlungsarbeit leisten, deshalb dauert das einige Monate.
In Duisburg und in Essen hat die Polizei den Druck auf kriminelle Clan-Familien erhöht. Besteht die Gefahr, dass solche Familien ihre Machenschaften nun nach Oberhausen verlegen?
Ja, die Möglichkeit besteht durchaus. Und auch aus diesem Grund erstellen wir den Lagebericht. Wir müssen vorausschauend erkennen, ob wir hier ein Problem mit Clans bekommen, um dann entschlossen darauf zu reagieren. Die Bürger können sich darauf verlassen, dass sich meine Teams und ich hier vor Ort intensiv mit dem Thema Organisierte Kriminalität beschäftigen werden.
Für wie gefährlich halten Sie das Rotlichtviertel Flaßhofstraße? Ist naturgemäß ein Rotlichtviertel immer ein Hort der Organisierten Kriminalität?
Zum Oberhausener Rotlichtviertel kann ich Ihnen noch nichts sagen, ich bin ja noch ganz am Anfang meiner Amtszeit. Ich sehe Kriminalität im Rotlichtmilieu grundsätzlich sehr kritisch. Ich habe mich als Staatsanwalt in Düsseldorf auch mit Fällen von Zwangsprostitution und Menschenhandel beschäftigt. Wenn man dann sieht, wie ein 16-jähriges Mädchen über lange Zeit mit psychischem Druck zur Prostitution gezwungen wird, dann schüttelt man solche Schicksale nicht einfach aus den Kleidern, das nimmt man mit nach Hause. Wenn man als Staatsanwalt Zuhälter hinter Gittern bringen und jungen Frauen helfen kann, sich aus solchen Zwängen zu befreien, ist das eine sehr positive Erfahrung. Um allerdings diese Kriminalität zu bekämpfen, muss man einen hohen Kontrolldruck über lange Zeit aufbauen – auch dies benötigt Personal.
Sie haben jetzt in Oberhausen einen anstrengenden Job angetreten – wie tanken Sie auf? Wie erholen Sie sich in Ihrer Freizeit?
Ich gehe gerne schwimmen, ziehe einmal in der Woche ein paar Bahnen, um den Kopf frei zu bekommen. Einmal im Jahr fahre ich in die Berge, gehe Ski fahren. In meiner Heimatstadt Neuss bin ich Mitglied im Schützenverein, dass gehört in Neuss aber einfach dazu. Das Schützenfest ist für Neuss wie für Köln der Karneval.
Waren Sie denn schon einmal Schützenkönig?
Nein, das war ich noch nie und strebe das auch nicht an. Ich bin ganz normaler Schütze und bleibe das auch.
Das Interview führten die Redakteure Michael Bresgott und Peter Szymaniak