Oberhausen. Die Ausstellung „Unveröffentlicht!“ versammelt im Schloss Oberhausen gezeichnete Schätze von Wilhelm Busch und Erich Ohser bis zu den Newcomern.
Ganz taufrisch ist die „Sensation“ nicht mehr, die Direktorin Christine Vogt mit dem ihr eigenen, sprühenden Elan verkündete: Die sensationellen acht Panels im Foyer der Ludwiggalerie unter der Überschrift „Der Kuchenteig“ stammen nämlich aus den frühen 1860ern – sind damit älter als die Stadt Oberhausen oder das wilhelminische Kaiserreich. Aber ein erst 2008 wiederentdeckter Ur-Comic von Wilhelm Busch schmückt eine Ausstellung namens „Unveröffentlicht!“ natürlich ungemein.
Dicht auf den fein geschnitzten Fersen der „Trinitarischen Pietà“ öffnet nun die Ludwiggalerie auch die anderen Räume des Großen Schlosses für eine vor Exklusivität berstende Comic-Ausstellung – allerdings mit eindeutigem Schwerpunkt im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert. „Die meisten Blätter kommen direkt aus der Schublade“, betont Linda Schmitz-Kleinreesink. Die Kuratorin nutzte den langen Lockdown für „eine lange Arbeitsphase“, um bei insgesamt 60 Künstlern staunenswerte 500 Blätter einzuwerben – und räumt gerne ein, sie wäre statt der intensiven E-Mail-Korrespondenz viel lieber zu den Ateliers von Adrian von Baur bis Julia Zejn gereist.
Arrivierte und Newcomer sind in dieser außergewöhnlichen – auch außergewöhnlich attraktiv präsentierten – Leistungsschau der „neunten Kunst“ versammelt. Denn zwei der drei Schlossetagen gehören „aktuellen Positionen“, so Schmitz-Kleinreesink, „mit ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten und Handschriften“. Der Halbsatz, dass man „Comics vielleicht belächeln würde“, entfuhr denn am Podium auch nur Sparkassen-Vorstand Thomas Gäng (immerhin Finanzier des wuchtigen 260-seitigen Kataloges). „Nur in Deutschland“, konterte prompt Christine Vogt.
Der „Kasperlgraf“ schuf treffliche Karikaturen
Womöglich fehlt es hier wirklich noch an jener Hochachtung, die Franzosen und Belgier der „Bande dessinée“ (oder liebevoll „Bédé“) entgegenbringen. Dabei hat die „Unveröffentlicht!“-Schau hier neben Wilhelm Busch, der sich in späteren Jahren ganz der „seriösen“ Malerei verpflichtet fühlte, noch ganz andere, entzückende Pioniere versammelt: Allen voran Graf Franz von Pocci (1807 bis 1876). Der in München als „Kasperlgraf“ verehrte Förderer des Marionettentheaters schuf bereits in den 1850ern treffliche „sequenzielle“ Karikaturen. Und diese Kleinode entschloss sich die bayrische Graf Pocci-Gesellschaft, erst jetzt zu veröffentlichen.
Erich Ohser hatte einen unvergleichlich anderen Nachruhm: Seine „Vater und Sohn“-Comics, von der Kuratorin „reine Pantomimen“ genannt, gerieten zu Evergreens in etlichen Zeitschriften des späteren 20. Jahrhunderts. Ihr Schöpfer jedoch, der als „e. o. plauen“ zeichnete, hatte sich im April 1944 aus Angst vor NS-Scharfrichter Roland Freisler das Leben genommen.
Im Dekor des „Restaurants am Ende des Universums“
Welche Spuren die Nazi-Ideologie in manchen Nachkriegscomics hinterließ, wäre womöglich Thema einer eigenen, umfassenden Ausstellung. Im großen Sprung zu den glücklich geöffneten Schubladen (oder eher Festplatten) der heutigen Zeichner baut Matthias Schultheiss die thematische Brücke: Der heute 75-jährige Nürnberger beeindruckte mit mehrbändigen Reihen wie „Die Haie von Lagos“ selbst die große Comic-Nation Frankreich. Die Ludwiggalerie zeigt Bögen seines unvollendeten Werkes von 1978 über einen Meldegänger im Ersten Weltkrieg: Adolf Hitler.
Mit dem Wort von der „extremen Bandbreite“ der künstlerischen Positionen hat Linda Schmitz-Kleinreesink kein bisschen übertrieben. Die Ludwiggalerie zeigt Jan Thürings wie ein taffes Action-Heft gezeichnete „Abenteuer von Dibbles“, einem jungen Jack-Russell-Terrier. Mit Steff und Uwe Murschetz’ „Tanz des Hyperspacers“ beamt sich der Betrachter in ein grelles Sci-Fi-Dekor, als wär’s Douglas Adams’ „Restaurant am Ende des Universums“. Und die Österreicherin Ulli Lust erzählt in „Heute ist der letzte Tag“ schmerzlich genau vom wilden Szeneleben am Wiener Südbahnhof.
Hella von Sinnen moderiert den „Comictalk“
Die Ausstellung „Unveröffentlicht! Die Comicszene packt aus“ eröffnet am Samstag, 2. Oktober, um 19 Uhr. Dann dürften noch mehr Zeichner vorbeischauen als schon zur Vorbesichtigung.
Der Eintritt kostet 8 Euro, ermäßigt 4 Euro, für Familien 12 Euro. Den großformatigen Katalog, erschienen in der Edition Alfons, mit 260 Seiten – und randvoll mit Erstveröffentlichungen – gibt’s für 29,80 Euro im Museumsshop und Buchhandel.
Hocherfreut ist das Team der Ludwiggalerie, für „Unveröffentlicht“ wieder ein ausgiebiges Begleitprogramm für Jung und Älter auflegen zu können: Erstes Highlight ist der „Comictalk“, den Hella von Sinnen mit Szenegrößen führt, am Sonntag, 3. Oktober, um 18 und 20 Uhr, Eintritt 5 Euro, limitiertes Kartenkontingent unter 0208 - 412 49 28.
Fazit: Die Zeichnerinnen und Zeichner sind unfassbar produktiver als ihre Verlage. „Wir könnten diese Ausstellung achtmal machen“, meint die Kuratorin – ohne sich wiederholen zu müssen. Und keine Sorge vor zu viel Kleingedrucktem: Nur die Altvorderen wie Wilhelm Busch strichelten auf kleinsten Papierchen. Die traumschöne bis apokalyptische Comic-Kunst von heute hat längst Museumsformat.