Unsere Buchempfehlungen für die Zeit der Corona-Krise weist heute in die Zukunft: Mit Aldous Huxley, Douglas Adams, Cormac McCarthy und anderen.
Welt – wohin? (Aldous Huxley)
Ursprünglich wollte ich Orwells „1984“ empfehlen, aber ich fand im Exemplar meiner Frau, das die Zusammenlegung unserer Bibliotheken damals als einziges überlebt hat, auf dem Vorsatzblatt die Bleistiftnotiz: „Liebe Marion! Vielen Dank, daß Du mir das Buch geliehen hast.“ Ich hätte es natürlich noch einmal lesen können, bevor wir es an Marion, mit der wir zum Glück immer noch befreundet sind, zurückgeschickt haben. Aber ich hatte das Buch besser in Erinnerung als es ist: Der erste Satz ist ein ganzer Absatz, Übersetzung (von 1982) ein Graus, steifleinen und bieder. Also rate ich zu „Brave New World“, aber in der ersten deutschen Übersetzung „Welt – wohin?“, die noch 1932, im gleichen Jahr wie das Original erschien. Da sind fast alle Firmen- und Ortsnamen auf deutsche Verhältnisse übertragen, und der Roman spielt in Berlin und im norddeutschen Flachland. Interessant ist das Buch heute noch durch die Formen der Bewusstseinsmanipulation durch Kultur- und Freizeitindustrie inklusive Drogen. Da sind wir näher dran als am Jahr 2540. Umso beruhigender, dass wir von einer zentralen Weltregierung viel weiter entfernt sind als von 2540.
Die Schule von morgen (Isaac Asimov)
„Ein Mann? Wie kann ein Mann ein Lehrer sein?“ Wir schreiben den 17. Mai 2157. Zu diesem Zeitpunkt ist die Frage, wie ein Mensch ein Kind unterrichten können soll, ganz selbstverständlich. „Ein Mann ist dafür nicht klug genug“, weiß das Mädchen Margie. Es ist ein Tag, an dem sie darüber staunt, dass Kinder früher angeblich gemeinsam Unterricht hatten und es Bücher aus Papier gab, „ungemein komisch, Worte zu lesen, die stillstanden, statt sich über einen Bildschirm zu bewegen, wie es sich gehört.“
Ein paar Seiten nur, ein Zeugnis aus Hellsicht und analytischer Härte: das ist Isaac Asimovs 63 Jahre alte Miniatur „Die Schule“. Zu finden ist die düstere Didaktik-Vision, in der bloß noch ein Tölpel vom Wartungsdienst bei den mechanischen Lehrern vorbeischaut, in „Geliebter Roboter“. Der bahnbrechende Auftakt zu Asimovs „Foundation-Zyklus“ ist ein Bändchen schaurig zukunftsperspektivischer Erzählungen. Die Vergangenheit, die Margie verpasst hat, verrät der Originaltitel freilich besser: „The Fun They Had“, der Spaß, den sie hatten.
Morgenwelt (John Brunner)
Auch bei Zukunftsaussichten lohnt sich manchmal ein Griff ins Regal der Vergangenheit: 1968 erschien „Morgenwelt“, der wegweisende Zukunftsroman von John Brunner. Der britische Autor entwirft ein Szenario der Erde im Jahr 2010, ausgebeutet von einigen wenigen Konzernen im Kampf um die letzten Rohstoffreserven, unter rasendem Geburtendruck ächzend, die Bevölkerung mit Drogen ruhig stellend. Keine fröhliche Zukunft, die Brunner da entwirft, sondern eine Dystopie, hart am Abgrund der Apokalypse. Was ist von heute gesehen eingetroffen? Der technische Fortschritt ist so umwälzend, wie Brunner sich das nicht einmal vorstellen konnte. Drogen sind heute eher geächteter als 1968. Aber die Globalisierung mit ihrem Hyperkapitalismus führt durchaus zu Situationen, die Brunner literarisch vorhersieht. Was beim Wiederlesen begeistert, ist die sprachliche Meisterschaft, mit der diese Collage aus Nachrichtenschnipseln, Werbespots und Erzählstücken den Leser erst verwirrt und dann ins Buch hineinzieht.
Per Anhalter durch die Galaxis (Douglas Adams)
Es muss nicht immer Mr. Spock sein. Auch ganz normale Leute mit dem Namen Arthur Dent können eine Weltraum-Karriere hinlegen. Man mag rätseln, warum „Per Anhalter durch die Galaxis“ und die nachfolgenden Bücher von Douglas Adams ein so anhaltender Erfolg wurden. Liegt es an der geschickten Bedienung der Wertschöpfungskette mit Hörspiel, Fernsehserie, Kinofilm, Computerspiel, Comic, Musical und Theaterstück als Kassenschlager? Oder liegt es an dem unerreichten schwarzen Humor von Douglas Adams, der im Namen des Unwahrscheinlichkeitsprinzips zusammenbringt, was nicht zusammengehört? Nehmen wir nur die Sache mit der Erde, die ein Wahrheit eine Computersimulation der Mäuse ist, mit uns Menschen als Laborratten. In Coronazeiten ist der Anhalter wertvoller denn je. Sein Motto lautet ja: Keine Panik!
Alles, was wir geben mussten (Kazuo Ishiguro)
Die Zukunft ist ein ehrwürdiges britisches Internat auf grünem Hügel: Hailsham. Hier leben Erzählerin Kathy und ihre besten Freunde Ruth und Tommy in einer komplizierten Dreiecksbeziehung, von Kindheit an bis ins frühe Erwachsenenalter. In Hailsham lernen die drei früh, dass sie sehr besondere Kinder sind, man legt Wert auf das Malen, Zeichnen, Dichten. Doch Seite für Seite lässt der britische Autor Kazuo Ishiguro, 2017 mit dem Literaturnobelpreis geehrt, Schwärze in die helle Welt sickern. Denn Kathy und ihre Freunde sind Klone, einzig dazu herangezogen, den Menschen als Ersatzteillager zu dienen – und all die Förderung ihrer kreativen Talente dient allein der Erforschung der Frage, wie individuell ihre Seele sein kann. Literatur, die schockt und schüttelt.
Die Straße (Cormac McCarthy)
Ich mochte schon „All die schönen Pferde“ und viele andere Romane von Cormac McCarthy, aber „Die Straße“ ist einfach umwerfend. Mit archaischem Muster wie all die McCarthys, eine Vater-und-Sohn-Geschichte, die sofort das Herz packt und bis zur letzten Seite nicht mehr loslässt. Ich hab’s 2007 am unpassendsten Ort verschlungen, an einem Urlaubsstrand. Und konnte nicht aufhören.
Heute, gerade einmal 13 Jahre später, lese ich das Buch komplett anders. Damals erschien mir eine ökologische Katastrophe, die alle gesellschaftlichen Regeln außer Kraft setzt und uns auch sozial in die Steinzeit zurückwirft, ungefähr so real wie eine Geisterbahn.