Oberhausen. Die kleine Kabinettschau im Großen Schloss macht auf sinnliche Weise ein kompliziertes Glaubens-Dogma anschaulich: Die Dreieinigkeit Gottes.

Die Namen jener Bildhauer, die vor rund 600 Jahren so vollendet in Linden- oder Eichenholz gearbeitet haben, sind der Nachwelt ebenso wenig erhalten, wie die geschnitzte Gottestaube, die meist über den ausdrucksvollen Figuren schwebte – und deren Flügel die Jahrhunderte geknickt haben. Mit einem sehr speziellen Rätselthema der Kunstgeschichte öffnet die Ludwiggalerie nach monatelanger Pause wieder im Schloss Oberhausen.

Genauer gesagt: sie eröffnet ein reich bestücktes Kabinett im Parterre. Denn das Foyer ist noch leer – bis auf ein Banner, das allzu Neugierige davon abhält, hier falsch nach links abzubiegen. Dahinter zeigen Paletten und Stapel, dass die Handwerker das Schloss noch nicht verlassen haben. Dennoch meint Christine Vogt strahlend: „Wir freuen uns so sehr, dass wir endlich wieder Museum sein können.“ Und diese Teil-Wiedereröffnung, ehe am 3. Oktober die große Comic-Schau „Unveröffentlicht!“ folgen wird, gründet auf der stolzen Tradition des Austauschs „innerhalb der Ludwig-Familie“, wie die Direktorin sagt.

Ein frühes Beispiel einer „Engels-Pietà“, geschnitzt, bemalt und vergoldet als frommer Schmuck eines Holztürchens.
Ein frühes Beispiel einer „Engels-Pietà“, geschnitzt, bemalt und vergoldet als frommer Schmuck eines Holztürchens. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Dr. Vogt klopft auf einen ansehnlichen Stapel fünf gewichtiger Kataloge als Belege für die gemeinsame Ausstellungs- und Forschungsarbeit mit dem Aachener Suermondt-Ludwig-Museum. 224 reich illustrierte Seiten gelten nun auch der „Trinitarischen Pietà“. Wer kunstbeflissen nach Rom in den Petersdom pilgert, der sieht – massiv gesichert hinter Panzerglas – die marmorne Pietà von Michelangelo: sieht den toten Christus und seine trauernde Mutter Maria.

Ergreifend anschaulich statt „sehr theoretisch“

Die Bildgattung der „Trinitarischen Pietà“ aber zeigt den Leichnam des Erlösers, gehalten von Gottvater (und meist nur auf Grafiken ist die über der Szene schwebende Taube erhalten): Den überwiegend analphabetischen Menschen des ausgehenden Mittelalters soll die ergreifende Szene das katholische Dogma von der Dreieinigkeit anschaulich machen – einen Glaubenssatz, den auch Dagmar Preising „sehr theoretisch und schwer nachvollziehbar“ nennt.

Die Kunsthistorikerin hat sich als Hauptautorin des großen Kataloges zur kleinen, feinen Ausstellung in ein Thema vertieft, „zu dem es keine Schriftquellen gibt“. Warum ist ein zentrales Dogma des Katholizismus ausgerechnet im tief katholischen Südeuropa nie zum beliebten Genre der Bildhauerei geworden? Im reformierten Nordeuropa dagegen haben Bildnisse der „Trinitarischen Pietà“ weiter Karriere gemacht – dank eines Genies des Holzschnitts.

Ein Blickfang der Ausstellung ist die aus einer flämischen Werkstatt stammende Lindenholz-Pietà mit der erhaltenen Bemalung, die Gottvater einen purpurroten Königsmantel tragen lässt.
Ein Blickfang der Ausstellung ist die aus einer flämischen Werkstatt stammende Lindenholz-Pietà mit der erhaltenen Bemalung, die Gottvater einen purpurroten Königsmantel tragen lässt. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Denn neben dem Dutzend eindringlicher Skulpturen unbekannter Meister darf man nicht das großformatige Blatt von Renaissance-Superstar Albrecht Dürer übersehen: Seine „Heilige Dreifaltigkeit“ zeigt die vollbärtigen Christus und Gottvater Wange an Wange. Dieses Bild der Innigkeit findet nach dem Dürer-Druck von 1511 weite Verbreitung bei Künstlern folgender Generationen.

Der Katalog gilt bereits als Standardwerk

Die Ausstellung „Der Schmerz des Vaters? Die Trinitarische Pietà“ eröffnet am Sonntag, 26. September, um 11 Uhr mit Vorträgen von Direktorin Christine Vogt und Kuratorin Dagmar Preising.

Der Eintritt kostet 8 Euro, ermäßigt 4 Euro, für Familien 12 Euro – und diese Preise gelten auch, wenn im Schloss vom 3. Oktober an die „Unveröffentlicht!“-Comicschau zu sehen sein wird.

Den großformatigen Katalog zur „Pietà“-Ausstellung sieht Dr. Vogt als „Standardwerk“ für dieses spezielle Thema, erschienen im Deutschen Kunstverlag mit 224 Seiten zu 39,80 Euro.

Im Barock der Gegenreformation ändert sich das Sujet – verändert sich vor allem der „Leib Christi“: In Grafiken und Skulpturen der „Engel-Pietà“ halten geflügelte Himmelsboten den dahingesunkenen Erlöser: Doch der ist nicht mehr „Schmerzensmann“ des späten Mittelalters, sondern – wie auf einem Kupferstich von Cherubino Alberti – ein muskulöser Modellathlet: „der starke und mächtige Gott“.

Die Kunst, Gott ein Gesicht zu geben

Womöglich war es der mutigste Kunstgriff von Albertis namenlosen Vorgängern in ihrer Arbeit an Kupferplatte und Holzstamm, nicht nur Gott ein Gesicht zu geben – sondern ein schmerzvolles, mitleidendes. Hatten sie doch von ihren Priestern gehört: „Gottvater klagt niemals, er ist unendlich erhaben über alles irdische Sein.“ Ein gelungenes Forschungsprojekt muss längst nicht alle Widersprüche auflösen.