Oberhausen. 2012 war die SPD in Oberhausen die uneinholbare Macht, erhielt über 51 Prozent. Vom anschließenden Fall der SPD profitierte die CDU aber nicht.

Will man bei gesellschaftlichen und politischen Trends abschätzen, was die Zukunft bringen mag, hier also das Ergebnis der Bundestagswahl 2021, hilft oftmals auch ein Blick zurück in die jüngere Vergangenheit. Bei der NRW-Landtags- und der Bundestagswahl im Mai und im September 2017 setzte sich der seit vielen Jahren andauernde Abstieg der beiden großen einstigen Volksparteien fort: Die noch bei der Landtagswahl 2012 über 51 Prozent liegende Oberhausener SPD büßte besonders stark ein, erreichte noch nicht einmal mehr die 35-Prozent-Marke.

Erstaunlich: Die jahrzehntelange Dauer-Oppositionspartei in Oberhausen, die CDU, profitierte von diesem Fall der Roten nicht: Die Schwarzen verloren bei der Bundestagswahl 2017 ebenfalls – und krebsten um die 26 Prozent herum. Die Stimmen gingen an die kleineren Parteien: an die FDP (9,5 Prozent), die AfD (13,1 Prozent), die Grünen (5,5 Prozent), die Linken (8,3 Prozent), die Tierschutzpartei (1,0 Prozent), die Satirepartei „Die Partei“ (0,9 Prozent), die Allianz Deutscher Demokraten (0,6 Prozent), die Piratenpartei (0,6 Prozent).

Das Oberhausener CDU-Ergebnis bei der Bundestagswahl 2017 begeisterte die christdemokratischen Parteimitglieder nicht – allen voran Bundestagsabgeordnete Marie-Luise Dött, die sich ein besseres CDU-Resultat gewünscht hätte.
Das Oberhausener CDU-Ergebnis bei der Bundestagswahl 2017 begeisterte die christdemokratischen Parteimitglieder nicht – allen voran Bundestagsabgeordnete Marie-Luise Dött, die sich ein besseres CDU-Resultat gewünscht hätte. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Bei diesen beiden Wahlen vor vier Jahren zeichnete sich bereits ab, was jetzt aktuelle Umfragen noch deutlicher widerspiegeln: Die Bindungskraft der Volksparteien nimmt ab, die Zersplitterung der Parteienlandschaft nimmt zu. Was früher die Schwarzen und Roten in ihren jeweiligen Parteien vom Ortsverband bis hin zum Präsidium der Bundespartei schafften, gelingt immer weniger – nämlich die diversen auseinanderstrebenden Interessen einer demokratischen Gesellschaft aufzunehmen, zu bündeln und durch parteiinterne Kompromisse in Wahlprogramme für deutliche Mehrheiten zu gießen.

Diese Interessenabwägung, dieser Interessenausgleich muss erst später – meist recht mühsam – in Gesprächen mit verschiedenen gewählten Parteien erledigt werden: in Koalitionsverhandlungen, die zu Dreier- oder gar Viererbündnissen führen müssen, um überhaupt die absolute Mehrheit im Parlament erreichen zu können. So können diesmal am 26. September 2021 sogar 27 Parteien in NRW für den Bundestag gewählt werden: Für jedes Spezialthema gibt es eine Spezialpartei – sogar eine Hip-Hop-Partei, eine Tierschutz- und eine Veganer-Partei sind dabei.

Umfrage-Prognosen zur Bundestagswahl zeigen die Volksparteien fast gleichauf

Diese Entwicklung wird sich offenbar bei dieser Bundestagswahl fortsetzen – glaubt man den Umfrageergebnissen der Wahlforscher: Die einst großen Parteien auf fast gleichem, aber deutlich kleinerem Niveau im 20er-Bereich, die Parteien Grüne, FDP und AfD hinterher. Diese politische Entwicklung ist Ausdruck einer Gesellschaft, die immer diverser, bunter, vielfältiger, spezialisierter geworden ist. Das hat auch einen wirtschaftlichen Hintergrund.

Im vergangenen Jahrhundert ähnelten sich die Interessen und Lebensstile von Hunderttausenden Bergleuten und Stahlarbeitern in Großkonzernen. Sie waren gleichförmiger als die Wünsche, Träume und Absichten von Menschen in einer individualisierten, zersplitterten Wirtschaftswelt wie heute. Unternehmen benötigen in ihrem internationalen Kampf um Umsatz und Marktanteile heutzutage eine andere Art von Beschäftigten: Menschen, die durch ihre markante Persönlichkeit, die durch ihre individuellen speziellen Talente auffallen und die fantasievoll Innovationen als erste vorantreiben.

Bei der Bundestagswahl vor vier Jahren schockte die Oberhausener Verantwortlichen aller Ratsparteien, aber auch viele Bürger der erstaunlich deutliche Erfolg der AfD. Die Blauen holten damals ihr bisher bestes Oberhausen-Ergebnis – und sprangen von 4,2 Prozent (Bundestagswahl 2013) auf 13,3 Prozent.

Beim Kampf gegen Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Intoleranz immer an vorderster Front: Die Stadtgesellschaft Oberhausens, hier bekennen die Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule Osterfeld (GSO) in einer Aktion im Februar 2020 Farbe gegen Rassismus.  
Beim Kampf gegen Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Intoleranz immer an vorderster Front: Die Stadtgesellschaft Oberhausens, hier bekennen die Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule Osterfeld (GSO) in einer Aktion im Februar 2020 Farbe gegen Rassismus.   © Gesamtschule Osterfeld

Vielleicht waren viele engagierte Kräfte in Oberhausen besonders getroffen von dieser Hinwendung der Bürger zu einer ziemlich rechten Partei, weil die Stadtgesellschaft seit dem Ende der Nazi-Diktatur stolz darauf ist, intensiv gegen das Aufkommen rechter, rassistischer, ausländerfeindlicher und faschistischer Elemente gekämpft zu haben. Immerhin 14.226 Oberhausenerinnen und Oberhausener machten am 24. September 2017 ihr Kreuz bei der AfD.

Nach Wahlen geben sich SPD und CDU selbstkritisch

Damit sorgten sie für einen Zuwachs der AfD um 8,9 Prozentpunkte – im Vergleich anderer Städte in NRW (im Schnitt plus 5,5 Prozent) und im Bund (im Schnitt plus 7,9 Prozent) war das überdurchschnittlich viel. Das AfD-Ergebnis lag in Oberhausen 3,7 Prozentpunkte über dem Landesergebnis und 0,5 Prozentpunkte über dem Bundesergebnis. Noch besser als in Oberhausen mit 13,3 Prozent schnitt die AfD allerdings in Gelsenkirchen (17 Prozent) und Gladbeck (14,7 Prozent) ab.

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„Das ist eine Katastrophe für die Demokratie“, urteilte damals SPD-Landtagsabgeordneter Stefan Zimkeit. Und selbstkritisch fand der damalige SPD-Ratsherr Klaus Kösling: „Wir haben zu wenig reagiert auf die Ängste und Sorgen unserer Wähler.“ SPD-Vorsitzender Dirk Vöpel sprach von einem tiefen Misstrauen der Wähler – auch wegen des SPD-Schröderschen-Sozialkürzungsprogramms „Agenda 2010“. Dass sich die AfD schnell entzaubern lässt, glaubte bereits am Wahlsonntag Polit-Urgestein Wolfgang Große Brömer nicht: „Der Missmut gegenüber den großen Parteien hat sich schließlich über viele Jahre angestaut.“

Was später bei der Kommunalwahl im Herbst 2020 noch detaillierter und klarer wurde: Vor allem in den Wahlbezirken, in denen wenige Wähler wählen gehen, also etwa in Lirich-Süd, war das AfD-Ergebnis besonders hoch. Es sind die Wählerschichten, die sich von den früher dominierenden Parteien der ehemaligen Bonner Republik verlassen fühlen; sich aber auch von Gewerkschaften, Kirchen, Medien zu wenig beachtet, vielleicht gar gering geschätzt sehen: Sie gehen entweder gar nicht zur Wahl oder wählen Kleinst-, Spaß- oder Protestparteien.

Volksparteien wollen sich wieder wie einst um die Bürger vor Ort kümmern

Die früher großen Parteien reagieren auf diese Wahlergebnisse, auf die zunehmende Minimalisierung der Volksparteien ähnlich: Sie würden sich nun intensiver um die Bürger in den Stadtquartieren kümmern, sie würden künftig wieder dorthin gehen, „wo es stinkt und brodelt“, sie würden mehr Bürger beteiligen an großen und kleinen Stadtprojekten, versprechen sie. Doch das Hauptproblem, das vor allem die SPD und die CDU haben: Die Zahl der Mitglieder schwindet, vor allem der Aktiven. Die Volksparteien können personell und finanziell nicht mehr aus dem Vollen schöpfen.

Schon im jetzigen Wahlkampf war es für SPD und CDU nicht einfach, Leute zu finden, die uneigennützig Wahlplakate im Stadtgebiet aufhängen. Erst recht sind diejenigen rar, die von Tür zu Tür oder von Betrieb zu Betrieb gehen und einfach zuhören, was die Menschen bewegt – und für ihre Partei werben. Das ist recht anstrengend, sehr mühsam und nicht von schnellem Erfolg gekrönt. Ob die Parteien ihre selbst gegebenen Versprechen tatsächlich in den vergangenen Jahren umgesetzt haben? Auch dies wird sich am Wahlergebnis vom 26. September 2021 ablesen lassen.