Oberhausen. Deutschland erhält erstmals seit 16 Jahren einen neuen Kanzler – doch die Wahlkämpfer in Oberhausen wirken noch entspannt. Nur die CDU wird laut.
Seit dieser Woche hängen die ersten Wahlkampf-Plakate für die Bundestagswahl am 26. September in Oberhausen – für viele traditionell ein Weckruf: Ja, es steht wirklich ein Urnengang bevor. Nur noch gut sechs Wochen vergehen bis zur Wahl, die diesmal auf jeden Fall historisch wird: Zum ersten Mal seit 16 Jahren erhält Deutschland einen neuen Kanzler oder eine neue Kanzlerin.
Telefoniert man allerdings mit Parteiverantwortlichen, ist in Oberhausen noch wenig von einer fiebrigen Begeisterung für die heiße Phase des Wahlkampfes zu spüren. Die Wahlkämpfer laufen sich erst langsam warm: Grünen-Büroleiter Peter Kremer-Plew unterrichtete die Neulinge auf dem Saporishja-Platz, wie man Plakate richtig aufhängt; die Linken klingelten probeweise an ein paar Haustüren in Stadtteilen ihrer Klientel (Lirich, City), SPD-Kandidat Dirk Vöpel, bereits seit 2013 per Wahlkreis-Mehrheit Bundestagsabgeordneter, ließ erstmals ein 90-Sekunden-Video über sich drehen und kleisterte ein paar Plakate; CDU-Bundestagsabgeordnete Marie-Luise Dött kaufte sich extra Laufschuhe, um bei Wahlkampf-Spaziergängen mehr Stammwähler ansprechen zu können.
Wahlkämpfer rechnen mit Rekordzahl an Briefwählern
Dabei rechnen alle Wahlkämpfer damit, dass die Zahl der Briefwähler auf ein Rekordniveau steigen wird – zwischen 50 und 60 Prozent. So viele von gut 150.000 Wahlberechtigten in Oberhausen treffen also ihre Entscheidung bis zu drei Wochen vor dem Wahltag am 26. September. Wenn man Wähler gewinnen will, dürfen die Wahlkämpfer also nicht zu spät in die Hände spucken.
Vor vier Jahren haben zwar 72 Prozent der Oberhausener ihre Chance genutzt, die Bundespolitik mitzubestimmen, aber über 42.600 Einwohner verweigerten sich. Nicht alle sind so optimistisch wie Sozialdemokrat Dirk Vöpel oder auch der jüngste Bundestagsabgeordnete Roman Müller-Böhm (FDP), die beide von einer hohen Wahlbeteiligung ausgehen. „Das politische Interesse ist derzeit hoch – noch nie zuvor wurde so vielen Bürgern klar, wie enorm der Einfluss der Politik auf ihr Alltagsleben ist. Das wollen viele mitbestimmen“, meint Müller-Böhm.
Parteien setzen auf digitale Medien
Die örtlichen Parteien setzen im Wahlkampf in Corona-Pandemie so sehr auf den digitalen Wahlkampf mit Hilfe der sozialen Medien wie noch nie zuvor. Dabei konzentrieren sie sich vor allem auf Facebook und Instagram – Facebook für die Älteren, Instagram für die Jüngeren. Auf Youtube veröffentlichen Grünen-Kandidatin Stefanie Weyland und SPD-Kandidat Dirk Vöpel Werbevideos zu ihrer Person. Wie fünf weitere Direktkandidaten ist Marie-Luise Dött (CDU) beim Kandidatencheck des WDR im Film dabei.
Twitter sehen die Partei-Verantwortlichen nicht als Kanal, der sehr viele Bürger erreicht: Hier treffen vornehmlich Politiker auf Medienvertreter. Auf TikTok lassen sich die Parteien bisher nicht ein: Der Kanal ist in China gegründet worden, wird deshalb durchaus kritisch gesehen. Bisher tummeln sich auf TikTok vor allem sehr junge Menschen, die viel Spaß mit sehr kurzen Tanz-, Musik- und Witzvideos machen.
Auch wenn der 28-Jährige kaum Chancen auf den zweiten Einzug in den Bundestag hat, weil er auf der Parteiliste der FDP nicht auftaucht, will er mit seinem Team kräftig werben: „Wir wollen hier in Oberhausen ein gutes Bild abgeben. Wir hoffen, unser Wahlergebnis von 2017 übertreffen zu können.“ 500 Plakate und 15 Großplakate sind geordert, Politik-interessierte Bürger können FDP-Politiker auch nach Hause einladen.
Bis auf die Oberhausener Grünen plant niemand eine große Kundgebung
Wie sehr allerdings Corona auch diesen Wahlkampf beeinflusst, sieht man daran, dass sich CDU, SPD, aber auch die FDP entschieden haben, keine Großkundgebung auszurichten. Die Linken planen höchstens einen kleinen Protestmarsch gegen hohe Mieten sowie die übliche Friedenskundgebung am 1. September.
Nur die Grünen hoffen auf die (nach Corona-Regeln geordnete) analoge Anziehungskraft ihres Bundesvorsitzenden Robert Habeck, der am Mittwoch, 25. August, auf dem Altmarkt auftritt. Vöpel setzt dagegen auf einen digitalen Auftritt des Kanzlerkandidaten Olaf Scholz für Bürger im Ruhrgebiet.
Die in Umfragen stark schwächelnden Linken (bundesweit nur noch sieben Prozent) spüren bei ihren Kontakten mit Bürgern in Stadtteilen mit eher schwierigen sozialen Strukturen vor Ort, wie schwer es ist, Menschen zur Wahlurne zu bitten. „Viele glauben nicht mehr, dass sie mit ihrem Kreuz die Politik für ihren Alltag verändern können. Wir sagen dann immer: Diejenigen, die nicht eure Interessen vertreten, gehen auf jeden Fall wählen“, erzählt Linken-Mitarbeiter Henning von Stoltzenberg.
Oberhausener CDU macht Ansage für ein historisches Wahlziel
Dagegen lässt die Oberhausener CDU, früher eher duckmäuserisch unterwegs, ihre Muskeln spielen – und setzt sich ein historisches Ziel: Erstmals seit vielen Jahrzehnten glaubt die Parteiführung, der SPD den Wahlkreis abluchsen zu können. „Wir haben in Oberhausen einen guten Lauf, die SPD stürzt dagegen ab, gut möglich an uns vorbei“, stichelt CDU-Kreisgeschäftsführer Christian Benter. „Dirk Vöpel ist doch in Oberhausen kaum in Erscheinung getreten – und in Berlin in seinen zwei Amtsperioden Hinterbänkler geblieben.“
Zweifler wollen CDU-Teams, allen voran Kandidatin Marie-Luise Dött, seit 1998 vor allem Kämpferin für den unternehmerischen Mittelstand im Bundestag, durch Gespräche draußen auf den Bürgersteigen und vor Gartenzäunen gewinnen. „Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Innenstädte nicht ausbluten: Wir müssen sie stärken und wieder attraktiver machen“, ist eines der Ziele von Dött.
Der in Berlin auch im Verteidigungsausschuss arbeitende Dirk Vöpel nimmt die tönende Herausforderung der CDU gelassen auf. Der 50-Jährige formuliert höflich, aber deutlich: „Ich will den Christdemokraten ihren Optimismus nicht nehmen, aber alle Bürger, die die Interessen der Ruhrgebiets-Städte im Blick haben, können eigentlich nur SPD wählen.“ CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet habe sich bisher nicht fürs Ruhrgebiet, sondern nur für den ländlichen Raum eingesetzt. Er habe kein Interesse an einer Altschuldenlösung für arme Kommunen gezeigt, die Scholz vorgelegt habe. Die Pandemie habe gezeigt, wie wichtig eine gute staatliche Infrastruktur ist. „Die SPD will den Staat nicht kaputt sparen, setzt nicht auf Privat vor Staat. Was wir für Beschäftigte in der Koalition erreicht haben, kann sich sehen lassen. Zudem wurden die Städte bei den Sozialkosten entlastet, die Städtebauförderung ausgebaut und der Digitalpakt für Schulen beschlossen.“
Die AfD Oberhausen übrigens beteuert zwar auf ihrer Internetseite ihre Dialogbereitschaft mit Oberhausener Bürgern und will mit Infoständen nicht nur in Wahlkämpfen ständig Präsenz zeigen, allerdings hat sie Fragen der Redaktion nach ihrem Wahlkampfkonzept bisher nicht beantwortet.
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An ihren Infoständen in Oberhausen präsentierten sie nach eigenen Angaben AfD-Bundestagsbewerber der Partei-Landesliste: Die Bundestagsabgeordneten Stefan Keuter und Michael Espendiller sowie die Kandidaten Lutz Wagner, Matthias Helferich und Jessica Malisch – sowie natürlich ihren Direktkandidaten des Wahlkreises, den Chemie- und Physiklehrer Olaf Wilhelm.