Oberhausen. Diese Gerüche blieben in Dominiks Nase hängen: Die Küche im Oberhausener Café Jederman ist heute sein Arbeitsplatz. Ein Klient wurde Mitarbeiter.
Putenröllchen mit Bandnudeln und geschmorten Tomaten? Käsespätzle mit Röstzwiebeln? Dominik Joostema kann sich nicht mehr genau daran erinnern, wonach es roch, als er das Bistro Jederman im Herzen von Oberhausen-Osterfeld zum ersten Mal betrat. Aber was es auch war, es blieb in seiner Nase hängen – und lockte ihn in die Küche. Was er dort fand, war mehr als ein Menü: Es waren ein Arbeitsplatz und eine Familie. Aus dem ehemaligen Klienten der integrativen Einrichtung ist ein Mitarbeiter geworden. Am Freitag, 23. Juli 2021, blickt das Bistro auf zehn Jahre inklusive Arbeit zurück. Was die bewirken kann, hat der 31-Jährige selbst erlebt.
Dominik Joostema kam damals mit einer Lernbehinderung ins „Jederman“ und mit einer unbehandelten posttraumatischen Belastungsstörung. Unbehandelt war die psychische Erkrankung geblieben, weil sie niemand erkannt hatte. Auch das Team des Bistros merkte davon zunächst nichts. Jederman-Teamchefin Sandra Emschermann fiel dagegen gleich auf, dass in Joostema ein großes Talent schlummerte. „Es zog ihn fast magisch in die Küche.“ Der dort arbeitende Koch war begeistert, die Gerichte des jungen Oberhauseners kamen an.
Ausbildung zum Koch begonnen
Was lag da näher, als ihm einen Ausbildungsplatz bei ZAQ, dem Oberhausener Zentrum für Ausbildung und berufliche Qualifikation, zu organisieren? „Der Start gelang super“, erzählt Emschermann. Doch die Theorie machte Dominik Joostema bald zu schaffen. Als sich die Zwischenprüfung näherte, brach er die Ausbildung ab. „Prüfungsangst“, sagt er selbst. Heute ist allen klar: Seine Kindheitserlebnisse haben Wunden hinterlassen. Wenn der Druck von außen zu groß wird, will er nur noch weg. „Es geht aber bei uns eben nicht um das, was jemand nicht kann, sondern um das, was er kann“, sagt Emschermann.
Das Caritas-Team holte Joostema sofort zurück ins Bistro. Er arbeitete, wo er sich wohl fühlte. Obwohl er die Ausbildung nicht abschloss, erhielt er im August 2020 einen festen Arbeitsvertrag. „Dominik ist in so vielen anderen Sachen wirklich fit“, freut sich Emschermann. „Wir arbeiten weiter daran, dass er irgendwann auch seine Prüfung vor der Industrie- und Handelskammer ablegt“, ergänzt sie bestimmt. Dominik Joostemas blaue Augen strahlen dazu mit dem Himmel um die Wette. „Irgendwann“, sagt er leise.
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Und dann beginnt der Mann, der von sich selbst behauptet, kein Mensch der großen Worte zu sein, zu schwärmen. Von den Königsberger Klopsen, die er am liebsten kocht, von spanischen Tapas und französischen Delikatessen, deutscher Hausmannskost und von seinen Kolleginnen und Kollegen, für die er alles tut. Mal beim Servieren einspringen, mal die Theke und die Tische abwischen. „Hier hilft jeder jedem“, erzählt er. Bescheiden lässt er dabei unter den Tisch fallen, wie wertvoll seine eigene Tätigkeit für das Bistro inzwischen geworden ist – nicht nur in der Küche.
Party zum zehnjährigen Bestehen findet am 14. August statt
Zehn Jahre „Jederman“: Die Caritas feiert am Samstag, 14. August 2021, ab 18 Uhr auf dem Marktplatz in Osterfeld eine kleine Party mit Musik, Speisen und Getränken. Zeitgleich lässt der Verband aber auch das Ambulante Betreute Wohnen für seine 20-jährige Arbeit in Oberhausen hochleben.
Im Bistro Jederman wird Inklusion gelebt: Menschen mit Beeinträchtigung nehmen aktiv am Betrieb teil. Sie helfen in der Küche, bedienen die Gäste und haben dabei immer Betreuerinnen als Unterstützung an ihrer Seite.
Außerdem gibt es Kreativ-Angebote und Mitmach-Aktionen, Veranstaltungen wie die „Kneipenkunst“, Leseabende und ein Adventsmarkt bereichern den Stadtteil kulturell. Getränke, Kaffee und Kuchen und eine kleine, aber feine Speisenkarte locken täglich viele Gäste an.
„Dominik gelingt es, einen Draht zu Menschen aufzubauen, die kaum noch jemand erreichen kann“, sagt Sandra Emschermann stolz. Mit Wertschätzung und Mitgefühl riss er Mauer um Mauer ein und holte Menschen zurück ins pralle Leben. Er ist vielleicht kein Mann der großen Worte, dafür einer der großen Taten – im Verborgenen. Das Bistro Jederman ist für ihn ein Zuhause geworden – und das gilt längst nicht nur für ihn allein.
Die Erfolgsgeschichte des „Bistro Jederman“
Am Marktplatz und damit im Herzen von Osterfeld hatte der Caritasverband 2011 das integrative Bistro eröffnet. Menschen mit geistigen und psychischen Erkrankungen sind dort beschäftigt. Am Anfang, erinnert sich Bistro-Teamleiterin Sandra Emschermann noch gut, habe es auch Vorbehalte gegeben. „Was sind das für Menschen, die hier arbeiten sollen?“ Fragen wie diese hörte sie damals oft. Doch das ist längst Geschichte. Die Osterfelder lieben ihr Bistro, das Jederman ist zu einem Treffpunkt im Viertel geworden.
Umso härter traf die Osterfelder die Corona-Pandemie. „Wir haben zwar im Innenraum mit Beschäftigungsangeboten für unsere Klienten weitergemacht und dort auch ein Testzentrum eingerichtet, aber unsere Kunden mussten draußen bleiben“, sagt Emschermann.
Oft genug spazierten die Gäste mit langen Gesichtern an den großen Fensterfronten vorbei. Eine 93-jährige Dame, als Stammgast regelmäßig im Jederman, vermisste ihre Anlaufstelle sogar so sehr, „dass es ihr während des Lockdowns seelisch richtig schlecht ging“, erfuhr Emschermann von der Familie. Doch kaum durfte das Bistro wieder öffnen, reiste die von allen nur „Ellen“ genannte fröhlich im Taxi an. „Das Leben hatte sie wieder.“