Oberhausen. Eine Coronaimpfung macht unfruchtbar, impotent oder ist sogar tödlich – sind Zuwanderer für solche Horrorgeschichten empfänglicher als andere?

Die Behauptung steht schon lange im Raum: Menschen, die aus anderen Kulturen stammen, stecken sich häufiger mit dem Coronavirus an. Dass die Infektions-Wahrscheinlichkeit nichts mit der Herkunft der Infizierten zu tun hat, sondern nach Erkenntnissen von Soziologen und Gesundheitsökonomen häufig damit, wo und wie eng die Menschen zusammenleben und arbeiten, wie viel Geld sie verdienen, wie hoch ihr Bildungsgrad und wie gut ihre Sprachkenntnisse sind, scheint nicht jedem einzuleuchten. Denn jetzt, wo die Impfbereitschaft sinkt, sollen auch hierfür Zuwanderer oder Menschen mit Migrationshintergrund die Schuld tragen. Die Realität ist wie so oft komplexer.

Ercan Telli, Geschäftsführer des Oberhausener Integrationsrats.
Ercan Telli, Geschäftsführer des Oberhausener Integrationsrats. © FUNKE Foto Services | Kerstin Bögeholz

„Die Bedrohung, die vorher sehr präsent war, nimmt ab“, beobachtet Ercan Telli, Geschäftsführer des Oberhausener Integrationsrates. „Aber das sind Probleme, die es auch bei Bio-Deutschen gibt.“ Nach dem Tod von Familienangehörigen und Bekannten habe es in der türkischen Community eine Art Aufschwung gegeben. Corona war plötzlich real und ganz nah, die Impfung gegen das Virus gewann an Bedeutung.

„Es hat auch viel geholfen, dass es Aufklärungsarbeit durch Vereine gab und die Geistlichen in den Moscheen beim Freitagsgebet zur Impfung aufgerufen haben“, sagt Telli. Der Integrationsrat habe seinen Teil beigetragen, indem dieser Termine vereinbart und sogar einen Fahrdienst angeboten hat. Auch die sechs Quartiersbüros seien als Anlaufstellen wertvoll gewesen.

Viele kommen mit Dolmetscher ins Impfzentrum

Und wie ist die Lage jetzt? „Es ist genau wie in der gesamten deutschen Gesellschaft“, sagt Ercan Telli. „Es gibt die, die noch abwarten und zwei, drei Idioten, die an Weltverschwörungen glauben.“ Bezugspunkt für Letztere seien „grausame Geschichten“, die kursierten, zum Beispiel das Märchen von der Impotenz. „Aber das ist doch das Schöne“, fügt er ganz ironiefrei hinzu, „dass die Integration schon so weit vorangeschritten ist, dass es sogar in solchen Bereichen keine Unterschiede mehr gibt.“

Im Oberhausener Impfzentrum hat dessen Leiter Heinrich Vogelsang nicht den Eindruck, dass Menschen mit nichtdeutscher Herkunft unterrepräsentiert seien. „Da sind viele Frauen mit Kopftuch und Menschen, die offensichtlich aus Thailand, Indien oder Vietnam stammen“, beobachtet er. Was jedoch schon auffällig sei: Viele kommen mit einem Dolmetscher, oft sind das die eigenen Kinder. „Bei denen, deren Kinder integriert sind, da sehe ich keine Schwierigkeiten bei der Impfbereitschaft“, folgert Vogelsang daraus.

Vorbilder kommen gut an in der Community

Christian Ejodamen vom Verein NIVID („Nigeria Voice in Diaspora“) ist auch Mitglied des Integrationsrats.
Christian Ejodamen vom Verein NIVID („Nigeria Voice in Diaspora“) ist auch Mitglied des Integrationsrats. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Christian Ejodamen, ebenfalls Mitglied des Integrationsrates, hat einen Einblick in die vielfältige afrikanische Community der Stadt. „Die deutsche Sprache ist ein Problem“, sagt er. Viele, die sich impfen lassen wollten, wüssten nicht, wie sie an einen Termin kommen sollen. Mit dem Verein NIVID („Nigeria Voice in Diaspora“), dessen zweiter Vorsitzender er ist, seien sie deshalb schon von Tür zu Tür gegangen. Hauptsächlich sei es dabei um Aufklärung gegangen, nicht darum, zum Impfen zu überreden. Auch wenn natürlich auch einige Angst davor hätten. Ejodamens bestes Argument in diesen Fällen: „Ich nehme mich selbst als Beispiel.“

Genau so macht es auch Hatice Özdede. Die Gastroenterologin und Internistin ist von Anfang an im Oberhausener Impfzentrum dabei. Sie war auch an mobilen Einsätzen in Flüchtlingsunterkünften und Stadtteilen beteiligt. Als Kind türkischer Eltern kennt sie die Bedenken einiger Mitglieder dieser Gemeinschaft. „Zwei Jahre nach der Impfung ist man tot, das höre ich immer wieder“, erzählt sie. „Ich antworte dann immer: Bleibt mal locker, bis die Welt untergeht, dauert’s noch.“ Mit ihrer direkten, witzigen Art versucht die ehemalige Oberärztin des St-Vincenz-Krankenhauses, die abstrusen Theorien wegzuwischen. Oft wechsle sie bei ihrer Arbeit auch ganz fließend in ihre Muttersprache, um so noch mehr Vertrauen aufzubauen.

Ist Biontech-Chef Uğur Şahin schon geimpft?

Dass sie selbst geimpft ist, sei auch ein wichtiger Punkt. „Es ist nämlich ein großes Thema, ob sich der Biontech-Gründer Uğur Şahin mit seinem eigenen Impfstoff impfen lässt oder nicht“, sagt Özdede. Dies interessiere sehr viele, habe sie festgestellt. Ist also doch die Herkunft, in diesem Fall die türkische, der ausschlaggebende Punkt? Medizinerin Özdede hat eine andere Erklärung: „Bildung macht viel aus“, sagt sie. „Und wie sehr man auf Social Media unterwegs ist.“

Keine Daten, die Beweise liefern

Auch wenn einzelne Politiker oder Mediziner wie der Chef des Robert-Koch-Instituts Lothar Wieler öffentlich Beobachtungen mitgeteilt haben, dass mehr Migranten von schweren Corona-Verläufen betroffen sind: In Deutschland werden dazu keine offiziellen Daten erhoben und analysiert.Auch beim Thema Impfen gibt es keine Zahlen darüber, wie die Bereitschaft bei einzelnen Bevölkerungsgruppen aussieht, sich impfen zu lassen. – zumal ist es immer nicht einfach, zu entscheiden, wer noch zur Gruppe „Migrant“ zählt: Neu Eingewanderte? Vor Jahrzehnten Eingewanderte? Deren Kinder und Enkel? Eingebürgert oder nicht?Internationale Studien gibt es allerdings zum Zusammenhang zwischen sozioökonomischen Faktoren und Corona. Demnach sind Menschen, die schlechter gebildet sind, beengter wohnen, keine Möglichkeit für Homeoffice haben und auf den Öffentlichen Nahverkehr angewiesen sind, stärker von Corona-Infektionen betroffen.

In vielen Städten des Ruhrgebiets wird versucht, an jene heranzukommen, die Bedenken haben oder es selbst nicht schaffen, eine Impfung zu organisieren. Neben mehrsprachigen Flyern und Videos gibt es auch mobile Impfaktionen wie auch in Oberhausen und spontane Einsätze wie jenen von zwei Essener Ärztinnen, die den Piks ganz unbürokratisch in Dönerbude, Kiosk und Pizzeria setzten. Hatice Özdede macht gerne bei solchen Aktionen mit, gibt aber zu bedenken, dass zurzeit sehr viele Menschen in ihrem Urlaub verreist sind.

Şener Doğan, Vorsitzender der Moscheegemeinde Ulu Cami in Osterfeld, hält es ebenfalls gerade für keinen guten Zeitpunkt, dass sich die Stadt verstärkt um Impfwillige bemüht. „Bei uns haben sich die meisten auch schon impfen lassen“, sagt er über seine 160 Mitgliedsfamilien. Mehrere Corona-Fälle und Gerüchte über Todesfälle hätten für Angst und eine höhere Impfbereitschaft gesorgt. Der Faktor Betroffenheit scheint auch hier stark zu wirken. Und dennoch habe Şener Doğan, der im Integrationsrat der Stadt sitzt, seine Frau und seine Söhne nicht dazu überreden können, mit ihm zur Impfung zu kommen: „Sie haben da irgendetwas auf Youtube gehört...“

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