Oberhausen. Sie leben in größeren Familien, haben einfache Dienstleistungsjobs mit vielen Kontakten – stecken sich mehr Menschen aus Zuwandererfamilien an?
Auf den Straßen und in den Kommentaren der üblichen sozialen Medien ist es immer wieder ein Diskussionsthema: Da und dort hat jemand eine Gruppe von Jugendlichen, offensichtlich aus Zuwanderungsfamilien, gesehen, die sich nicht an Masken- oder Abstandsgebot halten, die Maske nur über dem Mund mit freier Nase tragen – oder lässig am Hals baumelnd. Auf dem Sportplatz treffen Spaziergänger auf Mannschaften, die aus jungen Erwachsenen der türkischstämmigen Community im Ruhrgebiet bestehen – und sich um das geltende Spiel- und Sportverbot größerer Menschenmengen dicht an dicht wenig scheren. Das sind Beobachtungen, die im Alltag auch bei anderen Oberhausenern zu sehen sind, etwa bei älteren Damen und Herren in Supermärkten, die ganz nah den Verkäufer befragen – aber geredet wird öfter über das Verhalten von Zuwanderern.
Die Hälfte aller stationär aufgenommenen Patienten mit Zuwanderergeschichte
Gibt es hier also ein grundsätzliches Problem, dass sich Zuwandererfamilien weniger an die strikten Corona-Regeln halten als andere? Oder dass sie durch Bildung, Sprache, Job, größere Familien und Wohnsituation stärker gefährdet sind?
Das Evangelische Krankenhaus Oberhausen (EKO) gibt jedenfalls offiziell auf Nachfrage an, dass geschätzt rund die Hälfte aller stationär aufgenommenen Corona-Patienten in der Pandemie Oberhausener Bürger sind, die einen Zuwanderungshintergrund haben – das ist deutlich höher, als ihr eigentlicher Anteil an der Bevölkerung ist. „Doch wir wissen überhaupt nicht, was die Gründe dafür sind. Hier haben wir keine Erkenntnisse“, sagt eine Sprecherin. Im Gegensatz dazu geben die Oberhausener Ameos-Kliniken noch nicht einmal eine Zahl heraus, dort will man über dieses Thema erst gar nicht sprechen.
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Allerdings hat sich der Krisenstab der Stadt Oberhausen, breit besetzt mit Ordnungskräften, Medizinern, Feuerwehr und Wohlfahrtsverbänden, schon mehrmals zu Beginn der Pandemie und während der zweiten wie dritten Welle mit dem Thema „Corona und Zuwanderer“ beschäftigt.
Corona in Oberhausen: Bislang kein Hotspot ausgemacht
Anhand der in Maßen aufgeschlüsselten Corona-Infektionsdaten der Stadt kann man sehr gut ablesen, dass es keinen Hotspot an Erkrankungen in irgendeinem der sechs statistischen Sozialräume in Oberhausen gibt. Über einen langen Zeitraum verlief die Zu- und Abnahme der Fallzahlen infizierter Menschen erstaunlich parallel. Gemessen an 1000 Einwohnern lag die Infektionsdichte in allen sechs Sozialräumen eng beieinander. Mit anderen Worten: Anhand der tatsächlich infizierten Menschen kann man in Oberhausen keine Verbindung ziehen, dass in Stadtbezirken mit einer höheren Zahl an Zuwanderern tatsächlich relativ mehr Menschen mit Corona infiziert sind.
Und auch der Oberhausener Ordnungsdienst meldet, dass deren Kräfte bei den Corona-Kontrollen keine besonderen Auffälligkeiten bei Migranten feststellen. Dies kann aber nur ein gefühlsmäßiger Eindruck sein, da die Stadt bei Corona-Verstößen keine Nationalität und keinen familiären Details statistisch festhält.
Mülheim: Versäumnisse der Integrationspolitik und eine Parallelkultur
Andere Beobachtungen machen dagegen die Mülheimer und Essener. In Mülheim sind die Inzidenzen vor allem in Styrum und Eppinghofen hoch. Mehr als ein Viertel der Einwohner dort sind Ausländer, knapp 39 Prozent haben einen Migrationshintergrund. „Wir erleben dort Desinteresse, Sprach- und Kulturprobleme sowie Bildungsschwäche“, formuliert der Mülheimer Krisenstabsleiter Frank Steinfort so deutlich wie kaum ein anderer im Ruhrgebiet. Das Problem, dass sich Teile der Bevölkerung nicht an die Regeln halten, sei Folge von Versäumnissen der Integrationspolitik in den vergangenen zwei Jahrzehnten. „Wir haben eine Parallelkultur entstehen lassen, in der legale Arbeit nicht möglich ist.“ Diese Parallelkultur erreiche die Stadt nicht – und Corona werfe das Scheinwerferlicht auf dieses Problem. Dies alles mache es schwer, die Pandemie in diesen Stadtteilen in den Griff zu bekommen.
Der Essener Gesundheitsdezernent Peter Renzel hat sich sogar beispielhaft die Nachnamen aller Neu-Infizierter vom 1. März bis 14. April angeschaut. Ergebnis: „Von den 3921 Menschen jedweden Alters hatten 2001 einen Namen, der auf einen Migrationshintergrund schließen lässt.“ Das entspricht 51 Prozent. Der Zuwanderer-Anteil an der Essener Gesamtbevölkerung beträgt aber nur 35 Prozent. Zu beobachten sei in den migrantischen Communitys auch ein sorgloserer Umgang mit den Corona-Regeln. Renzel erklärt sich das so: „Die persönliche Betroffenheit durch die Erfahrung schwerer Vorläufe ist nicht so ausgeprägt, es sind mehr die Jüngeren, die sich anstecken.“
Keine Inzidenzzahlen zu den Stadtbezirken
Im Unterschied zur Oberhausener Nachbarstadt Duisburg veröffentlicht die Stadtverwaltung Oberhausen bisher keine Inzidenzzahlen zu den einzelnen Stadtbezirken oder gar Stadtteilen. Nach Angaben der Stadtspitze liegen solche Inzidenzzahlen, die sich nach der Zahl der Neuinfektionen gerechnet auf je 100.000 Einwohner bemessen, nicht vor.
Die Stadt teilt vielmehr das Oberhausener Stadtgebiet in sechs Sozialräume ein – und ermittelt hier die Infektionsdichte mit den Zunahmen und Abnahmen von Infektionsfällen. Die Infektionsdichte drückt die Anzahl der Infektionen je 1000 Einwohner im jeweiligen Sozialraum aus. Die Sozialräume sind Alstaden/Lirich, Oberhausen-Mitte/Styrum, Oberhausen-Ost, Osterfeld, Sterkrade-Mitte und Sterkrade-Nord.
Nach Darstellung des Oberhausener Familien- und Integrationsbeigeordneten Jürgen Schmidt stellt sich nach Analyse des Krisenstabes allerdings hier vor Ort im Gegensatz zu den Nachbarstädten nur wenig Verblüffendes heraus: Je enger Menschen in kleinen Räumen leben, je mehr ihre Arbeit Kontakte zu anderen Menschen bedingt, desto eher infizieren sich die Bürger mit Corona. „Wie in den anderen Städten auch, ist in Sozialräumen mit hoher Bevölkerungsdichte die Gefahr, sich anzustecken, höher als anderswo. Menschen leben dort vielfach in beengten Wohnverhältnissen, nutzen den öffentlichen Nahverkehr, üben Tätigkeiten in Branchen aus, die kein Homeoffice anbieten bzw. in denen Abstand halten schwierig ist, wie beispielsweise im Einzelhandel. Das trifft aber auf alle Menschen zu.“ Es gilt ebenso diese logische Regel: Wer in größeren Familien lebt, steckt im Fall des Falles auch mehr Menschen an.
Anhaltende Sorgen bereitet es dem Oberhausener Krisenstab allerdings, wie die Corona-Regeln Menschen aller Migrationshintergründe vermittelt werden können. Selbst für äußerst sprachbegabte und regelbewusste Bürger wurde es in dieser Pandemie immer schwieriger, in Erfahrung zu bringen, welche Corona-Vorschriften gerade jetzt im Detail gelten. Immerhin leben in Oberhausen Menschen aus über 140 verschiedenen Staaten - all diesen Menschen die stetig wechselnden Verhaltens-Vorschriften gut zu erklären, so dass sie sich daran halten können, bleibt für die Verantwortlichen schwierig. Wie kann man das Verständnis für Corona-Regeln gerade bei Zuwanderer-Familien mit geringen Deutschfähigkeiten erhöhen?
Flugblatt in zwölf Sprachen über Corona-Regeln
Schon früh ließ der Krisenstab deshalb ein Flugblatt in zwölf Sprachen drucken und dieses in Krankenhäusern, Apotheken, Quartiersbüros und Arztpraxen verteilen, um möglichst viele Zuwanderer zu erreichen. „Wir haben praktische Empfehlungen zum angemessenen Verhalten und wichtige Hygienetipps in Flyern in mehreren Sprachen abgefasst – und informieren auch über die sich ändernden Rahmenbedingungen der Pandemie, um die Menschen mit Zuwanderungsgeschichte für die Herausforderungen der Infektionsgefahren zu sensibilisieren“, meint Schmidt.
Die Stadt wirbt dabei gerade auch bei Zuwanderern dafür, sich auf Corona kostenlos testen zu lassen und an den Impfaktionen teilzunehmen. Eine Idee bringt dabei mit Blick auf die schwierige Termin-Internet-Organisation besonderen Erfolg: „In Zusammenarbeit mit den Quartiersbüros wurden über 300 Impfpatinnen und Impfpaten gefunden, die Impfberechtigte zu ihrem Impftermin bringen und begleiten. Auch für die aktuelle Zeit des Ramadan wurde für das Testen und Impfen geworben.“
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