Oberhausen. Florian Fiedler nutzt die große Freiheit vor dem Abschied – und setzt damit auf ein aufgeschlossenes Abo-Publikum.
Die letzte Spielzeit darf ein scheidender Intendant durchaus als „Carte blanche“ verstehen: Das mehr als müßige Hickhack um Besucherstatistiken dürfte für Florian Fiedler seinen Schrecken verloren haben. Jetzt wird Theater gemacht.
Als sich Peter Carp von Oberhausen verabschiedete, setzte er – sicher sehr bewusst – auf jene „Greatest Hits“, von denen er in neun Jahren einige angesammelt hatte. Das Ergebnis war eine Super-Statistik der Spielzeit 2016 /’17, die seinem Nachfolger den Start noch ein bisschen schwerer machte. Bei Florian Fiedler waren die Hits eher Feuilleton-Erfolge – und das soll jetzt nicht hämisch gemeint sein.
Kollegialer, gleichberechtigter – und doch sehr hierarchisch
Das Schauspiel muss sich wandeln, muss auch den altüberlieferten Kanon aufbrechen. Schließlich sieht sich die gesamte Kunstform Theater, die schon zu Schillers „Sturm und Drang“-Zeiten ein möglichst fein justierter Seismograph der Gesellschaft sein wollte, in einem Umbruch – wieder mal, möchte man sagen. Die Bühne als Branche möchte kollegialer sein, gleichberechtigter – ist aber mit Intendanz und Dramaturgie nach wie vor betont hierarchisch aufgebaut. (Bevor ein treffender Einwand kommt: Im Journalismus ist es sehr ähnlich.)
Immerhin sind „Aschenbecher schmeißende Regisseure“, wie es Tom Liwa so schön plakativ erzählte, heute ein Gruselrelikt aus der vermeintlichen Glanzzeit bundesdeutschen Regietheaters. Und wenn zwei Schauspielerinnen des Ensembles sich selbst inszenieren, dann hat das Ergebnis Witz und Verve – und ist alles andere als ein Kuriosum.
Die noble alte Stadttheater-Tradition neu erleben
Man muss ja nicht gleich zu einer Handkeschen „Publikumsbeschimpfung“ ausholen (obwohl die in Oberhausen ja stolze Tradition hat) – darf aber dennoch sagen: Vielleicht sollte sich nach der langen Theater-Entbehrung zweier nur kurz unterbrochener Lockdowns mal das Publikum locker machen und dem überzeugten Neuerer Florian Fiedler einen würdigen Abschied bereiten.
Denn eine letzte Spielzeit vor allem aus Uraufführungen zu speisen und dafür komplett auf den Kanon von William Shakespeare bis Yasmina Reza zu verzichten, ist nicht einfach das Zücken der „Carte blanche“ oder eine hamburgische „Schietegal“-Haltung: Man kann sich als Abonnent auch mal überzeugen lassen, dass gerade die jüngste Generation es versteht, einen mit großen Augen und großer Freude die noble alte Stadttheater-Tradition neu erleben zu lassen.
Im Ensemble weiß man ohnehin, dass eigentlich mit jeder Spielzeit die Karten neu gemischt werden. Anders als in einer manchmal über-aufgeregten Kulturpolitik lehrt das Gelassenheit: Nach jeder vermeintlichen Apokalypse beginnt eine neue Saison.