Songwriter Tom Liwa kokettiert im Interview mit großen Plänen. Der Komponist der „Salome Songs“ über Amerika, Spiritualität und Oscar Wilde.
Emmy, der Border Collie von Tom Liwa, springt freudig grüßend am Kassentresen des Theaters hoch. „Ich reize hier ein Privileg nach dem anderen aus“, meint der Songwriter und Komponist für Stef Lernous’ Inszenierung von „Salome“ nach Oscar Wilde. Aber wer wollte wohl Emmy mit ihrem Hundeblick den Einlass verwehren? So geht’s zum Gespräch in den Theater-Pool.
Oscar Wildes „Salome“ spielt hier ja unter den „Leuten im Sumpf“, wie es im letzten der zwölf Songs heißt. Wie ist denn Ihr Verhältnis zu Amerika und zu den Südstaaten?
Es ist wie bei vielen europäischen Intellektuellen eine Hassliebe. Ich selber war nie in den USA, aber Stef Lernous war tatsächlich in den Südstaaten, ist dort ‘rumgefahren und sprach immer davon, wie ihn die Gesichter dort faszinierten.
Und die Musik aus dem Süden?
Es ist wie eine hundertmal gehörte Platte. So als würde man viele Songs gleichzeitig hören und im selben Moment alles erinnern, was man mit ihnen erlebt hat. Als würde man ein verwunschenes Land betreten.
Americana als Musikstil war also gesetzt?
Stef wünschte sich etwas, das wie Bluegrass und Country klingen sollte. Die erste Entscheidung war: keine elektrische Verstärkung, kein Schlagzeug. In diesem Theater ist es enorm schwierig, mit Schlagzeug leicht zu klingen. Die „Salome Songs“ könnte man auch im VW-Bus spielen. In fast jeder Alltagssituation. Es galt also: form follows function.
Und es ist eine Musik, die Tom Liwa entspricht?
Sie entspricht dem, wie ich schreibe: meistens zur Akustik-Gitarre, in der Küche, im Wohnzimmer oder draußen. Die Kunst und die Schwierigkeit ist es dann, es im Studio genauso nah wirken zu lassen.
Im Ensemble sind unterschiedliche Gesangstalente
Zu der schlichten akustischen Musik gibt es aber recht derbe, auch aggressive Texte.
Es ist grundsätzlich ein bisschen wie bei Neil Young: Man könnte sich die Lieder wie „Harvest“-Songs in der Scheune vorstellen – oder laut rockend wie mit Crazy Horse.
Und Sie haben für ganz unterschiedliche Sängerinnen und Sänger geschrieben.
Das fand ich klasse. Ich fand’s auch klasse, die Songs immer wieder umzuschreiben und anzupassen. Primitivität war dabei erstes Prinzip. Im Ensemble sind sehr unterschiedliche Gesangstalente. Ich wollte niemanden herausstellen, sondern Lieder, die für alle innerhalb der eigenen Grenzen funktionieren.
Die Texte scheinen eine Brücke zu bilden zwischen dem US-Sujet und Oscar Wilde. Gibt es da eigentlich auch wörtliche Zitate?
Ich habe mich um eine Angleichung der Sprache bemüht. Ich sah mich als Grenzgänger – und als Hofnarr.
Und die Rolle auf der Bühne: Wurden die Musiker zu Schauspielern?
Bei Konzert-Tourneen ist es meist so, dass ich anfangs meine Ansagen komplett improvisiere. Gegen Ende ist es wie ein Skript. Stef sagte: „Do, but don’t play!“ So sammelte ich mir was zusammen – bewusster als auf einer Tournee. Das Songwritertum ist ja eine aussterbende Kunst, die vermutlich in den ‘70er Jahren ihren Höhepunkt hatte. Heute herrscht da eine Fake-Authentizität vor, ist zwar immer die Rede von großen Persönlichkeiten, die eine Show alleine tragen, aber in den seltensten Fällen füllen die Protagonisten wirklich eine Bühne.
Schlechtes Schauspiel . . .
. . . das so tut, als wär’s keins. Mir geht es immer darum zu lernen. Und ich habe hier viel gelernt. Die angenehme Arbeitsatmosphäre ist das eine. Stef Lernous ist definitiv kein Regisseur, der mit Aschenbechern wirft. Man darf die Atmosphäre aber nicht mit dem Ergebnis verwechseln.
Stimmt das Ergebnis?
Definitiv! Mir war noch nie langweilig nach bisher fünf Vorstellungen, denn jede ist anders. Mal ist Daniel als Prophet ganz besonders gut, mal leuchtet jemand anderes und zieht alle mit. Mal spielen alle verhaltener und gerade dadurch gewinnt das Ganze. Die Unterschiede sind sehr fein und schön.
Tom Liwa: „Zwei Jahre spiele ich das sehr gerne“
Findet sich denn in „Salome“ und überhaupt bei Oscar Wilde auch die Spiritualität, für die der US-Süden berühmt ist?
Auf jeden Fall. Oscar Wilde war ja beschenkt mit funkelnden Sternen. Er hat 25 Leben gelebt und ist dafür auch 25 Tode gestorben. Wie könnte da keine Spiritualität sein? Heute ist Spiritualität ein kontroverses Thema. Was auch darin zum Ausdruck kam, wie Daniel sich an der Rolle des Propheten gerieben hat.
Die Rolle des Jochanaan ist aber auch parodistisch angelegt – wie ein US-Fernsehprediger.
Das war ja vermutlich schon bei Jesus so: Ein Teil macht sich lustig; andere folgen mit totaler Ernsthaftigkeit. Die Spiritualität im Süden hat ja oft auch dieses Mörderische: Giftige Schlangen in der erhobenen Hand zu halten – das ist sehr alttestamentarisch und polarisierend.
Dazu die Dekadenz Oscar Wildes.
Dekadenz lässt sich nicht wiederholen. Sie hängt ab von der Brechung, nicht vom Inhalt. Wenn eines Tages alle Leute sich Hyänen hielten, dann wäre das nicht mehr dekadent. Dann müsste man sich einen Hai ins Wohnzimmer holen.
Wären Sie denn bereit zu vielen weiteren „Salome“-Vorstellungen?
Die nächsten zwei Jahre spiele ich das sehr gerne. Mich hat die Arbeit an „Salome“ enorm bereichert und inspiriert. Also: Zunächst werde ich für jede zweite Premiere hier die Songs schreiben; 2021 kommen meine Stücke ins Große Haus. Und 2025 übernehme ich dann die Intendanz.
Wow, das geht ja sogar über einen Fünf-Jahres-Plan hinaus . . .
Richtig! Noch sechs Jahre: Dann übernimmt Tom Liwa die Weltherrschaft am Theater Oberhausen.
>>> Velosung: Theaterkarten und die Songs auf CD
Für die „Salome“-Vorstellungam Samstag, 16. März, um 19.30 Uhr können fünf unserer Leser jeweils zwei Eintrittskarten gewinnen. Dazu spendiert das Theater Oberhausen auch die CD mit den zwölf „Salome Songs“. Rufen Sie am Donnerstag, 28. März, an unter 01378 78 76 23 (0,50 € / Anruf aus dem dt. Festnetz, höherer Mobilfunktarif), nennen Sie das Stichwort „Salome“ und ihre Telefonnummer. Die Gewinner werden benachrichtigt und erhalten ihre Karten an der Theaterkasse am Will-Quadflieg-Platz.
Oscar Wildes einzige Tragödie „Salome“ ist auch das einzige Werk, das der irische Literat zuerst in französischer Sprache zu Papier brachte. Sein Drama erzählt vom Verlangen der Prinzessin Salome nach dem Propheten Jochanaan (Johannes der Täufer). Als der Gefangene von Herodes sich ihr verweigert, verlangt sie vom König den Kopf des Täufers.