Oberhausen. Das Schauspiel feiert „101 Jahre Theater Oberhausen“ mit Revierkomödie. Die Spielzeit startet in einer lange nicht mehr theatral genutzten Tonne.
Die Wehmut trug Florian Fiedler unter dem blauen Sakko. Als es galt, seine letzte Spielzeit als Intendant in Oberhausen vorzustellen, verwies der 44-Jährige auf seinen neuen Pullover mit dem Schriftzug „Hello – Goodbye“. Er „werde diese Stadt vermissen“, versicherte der Hamburger – zeigte sich aber, was die kommende Spielzeit betrifft, höchst optimistisch.
„Wir wollen nicht die Not-Varianten für 2021 /’22 vorstellen“, sagte Fiedler und präsentierte stattdessen eine Spielzeit der Uraufführungen. Mit der einzigen Ausnahme der großen Familienproduktion „Peter Pan“, die ja bereits in der vorigen Spielzeit bis zur Generalprobe vollendet war, bringt das Theater Oberhausen in seinem 101. Jahr nur neue Texte – zu einem Gutteil als Auftraggeber dieser Produktionen. Etwas verspätet 101 Jahre Theater zu feiern, meinte der Intendant, „sieht grafisch auch schöner aus als 100“. Das Auftragswerk zum „Jubiläum plus 1“ wird Florian Fiedler selbst inszenieren.
Die Spielzeit allerdings, über die er von der leeren Bühnen-Baustelle des Großen Hauses berichtete, soll am 9. Oktober an einer anderen Noch-Baustelle starten: im Gasometer. Dort inszeniert der New Yorker Choreograph Jeremy Nedd „Songs on the Sun“ als Bewegungstheater auf Inline-Skates. Klingt nach einem gewagten Gegen-Entwurf zum unverwüstlichen Bochumer Rollschuh-Evergreen „Starlight Express“.
Bühnentechniker sind Stars der Sound-Collage
„Wetterleuchten“, die erste Premiere im Großen Haus am 16. Oktober, hatte Chefdramaturgin Simone Sterr im Kulturausschuss schon mal etwas prosaisch als „Technikshow“ angekündigt: Tatsächlich werde „die Bühne selbst zur Erzählerin“, sagte jetzt ihr Kollege Raban Witt. Für ihre Inszenierung erarbeitet Simone Dede Ayivi eine Sound-Collage aus den Stimmen jener Theater-Mitarbeiter aus dem technischen Stab, „die auf den Besetzungszetteln oft im kleiner Gedruckten stehen“, wie Witt erklärte. „Wetterleuchten“ verrate die Tricks der Bühnenmagie, ohne sie ihres Zaubers zu berauben.
Für „Kohlenstaub und Bühnennebel“ schließlich, die Hommage an 100 Oberhausener Theaterjahre, sind Florian Fiedler und Autor Akin Emanuel Sipal tief ins Stadtarchiv abgetaucht. Die verwegene Kombination aus Diskurssatire und Revierkomödie lässt „Hausgeister“ aus vergangenen Sprech- und Musiktheaterzeiten auf die anstrengende Gegenwart treffen.
Die ersten Premieren im Saal 2 lassen drei Schauspielerinnen des Ensembles als Autorinnen glänzen: „Mermaids“ von Shari Asha Crosson war ebenfalls schon bis zur Generalprobe vollendet, als der zweite Lockdown dazwischenfuhr. Das aufklärerische Märchen um einen kleinen Jungen und eine afrikanische Wassergöttin steigt nun als Uraufführung am 16. Oktober.
„Nimmerland“ erfüllt alle Vorstellungen
Nina Karimy und Sophia Hankins-Evans (die Darstellerin des Peter Pan) schrieben gemeinsam „Queendom“: Aus dem sexuellen Übergriff eines Lehrers wird ein Mordfall. „Krimi und Empowerment für junge Menschen“, so beschreibt Hausregisseurin Babett Grube ihre Inszenierung.
„Peter Pan“, die Fast-Premiere der letzten Spielzeit, folgt dann am 20. November als letzte Regiearbeit des Intendanten. Fiedler verspricht dank seines Stamm-Teams „große Bilder“, dazu „tolle Musik“ von Martin Engelbach: „Nimmerland ist immer so, wie man es sich vorstellt.“
Als bedeutende Größe der freien Szene stellte Fiedler die Choreographin Joana Tischkau vor. Der Arbeitstitel „Karneval der Kulturlosen / Karnevalismus“ mag alles andere als freundlich klingen. Dabei war das Kind Joana noch ganz vernarrt in Schlager, Schunkeln und Deutsch-Pop. Für ihre Uraufführung am 14. Januar im Großen Haus will sie das Repertoire der fünften Jahreszeit so ernst nehmen – wie Beyoncé, auf deren Liederzyklus „Lemonade“ sie ausdrücklich verweist.
Den R’n’B-Superstar nennt auch Magda Korsinsky als Inspiration. Ihr Kinderstück „Wasser und ich“ rühmt aber vor allem die Kinder selbst als „Experten des Alltags“ und spannt am 22. Januar 2022 den (Regen)Bogen vom Pfützenspringen bis zum Klimawandel.
150 Jahre Oberhausener Migrationsgeschichte
Dass Mangas nicht nur Kinderlektüre sind, dürfte sich herumgesprochen haben. Babett Grube versucht für die Uraufführung von „Bin ich Shingo?“ am 11. Februar ein Kondensat des siebenbändigen Manga-Epos von Kazuo Umezu. Es ist die rührende Geschichte jenes einarmigen Fabrikroboters, den Saturn vor der Verschrottung rettet und der so menschliche Freundschaft kennenlernt.
Hoffnung auf die Herdenimmunität
Ein Spielzeitbuch mit perforierten Seiten „zum Umbauen“ möchte das Theater Oberhausen nicht auch noch für 2021 / ‘22 auflegen – und lässt sich darum noch Zeit. Gedruckt soll es erst kurz vor dem Neustart im September vorliegen.Auch beim Vorverkauf rät Intendant Florian Fiedler noch zum Abwarten: „Wir wollen erst wissen, wie hoch wir bestuhlen können“ – also ob das Große Haus nun 100, 200 oder mehr Plätze anbieten darf. So ist denn auch die Folge der neuen Produktionen in der zweiten Spielzeithälfte dichter als beim Start im Herbst – in der Hoffnung, dass gegen die Pandemie dann eine „Herdenimmunität“ erreicht sein wird.
„Ankommen“ schließlich ist der Arbeitstitel für jene große Co-Produktion von Theaterfaktorei und Stadtarchiv zur Oberhausener Migrationsgeschichte. Ayse Güvendiren übersetzt das mutmaßlich reiche Recherchematerial in eine bühnenwirksame Uraufführung für den 7. Mai 2022 – die letzte dieser Abschieds-Spielzeit aus lauter Neuheiten.