Oberhausen. Jannine Koch und Patrick Lohse arbeiten als „Residenten“ bis Mai im Kunsthaus Mitte. Fotograf und Autorin forschen für ihre Arbeit in Oberhausen.
„Schritt für Schritt“ geht’s aufwärts mit „seinem“ Kunsthaus Mitte, meint Thomas Lehmen. Auch die Pandemie kann das Residenz-Programm nicht stoppen. In der zweiten Runde arbeiten nun Jannine Koch als Autorin und der Fotograf Patrick Lohse bis Mai in dem einst als Gemeindearchiv genutzten Haus an der Paul-Reusch-Straße 60.
Die Adresse ist für den 38-jährigen Kamerakünstler bereits Herausforderung. Denn Patrick Lohse will sich die Straßennamen vornehmen. „Die Stadt als Archiv“ hat der Bochumer das Exposé für seine Residenzzeit überschrieben: Schließlich verweise ein großer Teil der Straßenschilder auf Personen oder Ereignisse der Geschichte. Mit den Teams der Gedenkhalle und der Geschichtswerkstatt hat der Folkwang-Absolvent bereits Kontakt aufgenommen – und weiß, dass es in Oberhausen Debatten gab zu „kritischen“ Namen.
Wie Paul Reusch (1868 bis 1956): Der Vorstandschef der Gutehoffnungshütte galt in der Nachkriegszeit noch „als Wirtschaftspionier“, wie Patrick Lohse sagt. Die Rolle des Industriellen als Förderer und Finanzier des Aufstiegs von Adolf Hitler beleuchteten Historiker erst Jahrzehnte später.
Sachlichkeit prägt seine Schwarz-Weiß-Fotografien
Der Fotograf sucht aber nicht nur kritikwürdige Straßennamen. Sein Interesse gilt „interessante Biografien von Menschen, die einen wichtigen Beitrag geleistet haben“ – also einen Straßennamen verdient hätten. Wie die kritische Sängerin Fasia Jansen, nach der immerhin bereits eine Gesamtschule benannt ist. Patrick Lohse „möchte Ortsangaben verändern“, wie er betont sachlich formuliert. Sachlichkeit prägt auch seine Schwarz-Weiß-Fotografien, doch in diesen „dokumentarischen Modus“ will der Fotograf einen „doppelten Boden“ einziehen.
Beim Nachbarn des Kunsthauses droht der Verfall
Im kurzen Abschnitt südlich der Marktstraße reihen sich einige schmucke Gründerzeithäuser entlang der Paul-Reusch-Straße. Umso unschöner fällt der direkte Nachbar des Kunsthauses Mitte aus diesem Rahmen: Die Haustür ersetzt durch eine Holzplatte, die Rollos ‘runter, ein frischer Anstrich ebenso ferne Vergangenheit wie die Gültigkeit des Schildes „Immobilienbüro Baufinanz“.
„Jetzt könnte man aus dem Gebäude noch etwas machen“, meint Thomas Lehmen über diesen „Zwilling“ des Kunsthauses, von ihm getrennt nur durch die Brandmauer. Der 58-Jährige fürchtet das Desinteresse der Eigentümerfirma – und damit den einsetzenden Verfall. Erst nachdem er die Polizei gerufen hatte, ist der Eingang in das bereits „offene Haus“ zumindest provisorisch verschlossen worden: eine Bauruine in spe mit Potenzial.
Ob eine Ausstellung möglich sein wird, ist noch offen – der Künstler wäre begeistert. Auf jeden Fall will Lohse einen gründlich recherchierten Bildband als Ergebnis seiner Residenzzeit vorlegen. Denn an einem Buch arbeitet auch Jannine Koch.
Die 40-jährige, aus Cottbus stammende Gelsenkirchenerin hätte sich auch mit ihren strahlend farbigen, großformatigen Drucken für die Residenz in nächster Nachbarschaft zur traditionsreichen Fitscher-Gussfabrik bewerben können. Die Ausschreibung entdeckte sie schließlich in „Atelier“, der Zeitschrift für bildende Künstlerinnen und Künstler. Doch sie wollte endlich erleben, wie es ist, „einen ganzen Monat jeden Tag zu schreiben“ – und nicht nur gelegentlich, wie bisher praktiziert.
So bezog Jannine Koch denn auch gleich das Wohn-Zimmer im Kunsthaus Mitte, diesem Pilotprojekt der Kunststiftung NRW – um unter der Woche hier zu bleiben. Sie genieße diese Auszeit vom Homeschooling mit ihrem achtjährigen Sohn: „Für einen Monat kann man das gut leisten.“
Lernen, leben und jung sein in der Pandemie
Gedichte zu eigenen Fotografien gehen der Autorin „schnell von der Hand“ – und sind wahrscheinlich die Basis für den im Kunsthaus entstehenden Band. „Hinter den Dingen“, so der Arbeitstitel, passe aber auch gut zur den ausführlichen Gesprächen, die Jannine Koch mit Schülerinnen des Sophie-Scholl-Gymnasiums führte: Lernen, leben und jung sein in der Pandemie: Den Kontakt nach Sterkrade zu diesem großen Thema fand sie dank ihres Mannes, der Theaterprojekte am „Sophie“ gestaltet hatte.
Um aus den Gesprächen während der ein- bis mehrstündigen Spaziergänge mit den 14- und 18-Jährigen ihren eigenen Text zu formen, wählte Jannine Koch „eine ganz kurze, knappe Sprache: Man kommt dann in einen Sog.“ In ihrem grafischen Werk arbeitet sie oft mit Motiven einer hoch technisierten Welt der binären Codes und Überwachungstechnik. „Wir werden aktuell nur verwaltet“, hörte sie auch von den „Sophie“-Schülerinnen.
Die Stoffsammlung ist für Jannine Koch längst nicht abgeschlossen. Aber die kleine Schreibstube im Kunsthaus schenkt ihr die Zeit, diszipliniert an ihren Ideen zu arbeiten: „Dank der Residenz ist jetzt mehr an die Oberfläche gekommen.“