Oberhausen. An Schauwerten übertrumpft die Bühnenshow „Der Ursprung der Liebe“ die originale Graphic Novel um Längen – dank zweier Verwandlungskünstlerinnen.
Zum Schluss lesen sich Lise Wolle und Ronja Oppelt die SMS-Botschaften ihres Bildschirm-Publikums vor (oder war’s statt „live“ nur gut gespielt?): „Ihr seid eine Liebeserklärung an das Theater“, brachte diesen ersten Theaterabend seit Oktober jedenfalls auf den Punkt. Für die beiden Schauspielerinnen im Saal 2 am Will-Quadflieg-Platz war’s Theater – vor einer höchst beweglichen Kamera. Für die rund 120 auserwählten Zuschauer aus Abonnenten und Medien war’s der Beweis, dass selbst bestes Live-Schauspiel am Bildschirm das Theater-Erlebnis nur umso schmerzlicher vermissen lässt.
„Der Ursprung der Liebe“, die Graphic Novel der Schwedin Liv Strömquist, wurde für Oppelt und Wolle zu einer Herzenssache, für die beide erstmals ins Regiefach wechselten – mit der Dramaturgin Karoline Behrens als „drittem Augenpaar“. Das höchst erfolgreiche Bilder-Buch changiert zwischen feministischem Traktat und Soziologie-Geschichte (inklusive sehr klein gedruckter Fußnoten) sowie herbem nordischen Humor – und ist alles andere als virtuos gezeichnet.
Zwar gab’s in Oberhausen schon mal einen Theaterabend mit emphatisch gesprochenen Fußnoten (Wolfram Lotz sei Dank) – doch dergleichen erspart der einstündige Livestream seinen Zuschauern. In Live-Szenen und vielen kurzen Videos, voller Hingabe ausstaffiert und ins Bild gesetzt von Tanja Hagedorn, gelingt vielmehr ein „Best of“ des Strömquist-Werkes, das die Pointen noch zielsicherer platziert und dessen Bissigkeit mit Charme mildert.
Verblüffend nah am Comic-Original
So gewinnt bereits der Eingangs-Monolog der Verlassenen – gerade weil er hier nicht mehr Diana, Princess of Wales, zugeschrieben wird. Schwarze Verzweiflung will das Power-Duo in der angekitschten Show-Kulisse auch nicht aufkommen lassen: Wie zwei Kleinkunst-gestählte Comedians erzählen sich Lise Wolle und Ronja Oppelt mit Gusto peinliche Jugendsünden. Doch jener Angriffslust, mit der Liv Strömquist das Konzept der „romantischen Liebe“ zerlegt, wollen sie dieses älteste Thema der Welt nicht ausliefern.
Öffentliche Premiere folgt erst am 27. März
So funktioniert’s: Ronja Oppelt und Lise Wolle spielen und singen im Saal 2. Die Inszenierung wird live gefilmt und übertragen. Den Zugangslink verschickt das Besucherbüro nach Anmeldung, zu erreichen unter 0208 - 8578 184, montags bis freitags von 10 bis 15 Uhr. Allerdings müssen sich Theaterfans noch gedulden: Erst am Samstag, 27. März, folgt die Aufführung als öffentliche Livestream-Premiere. Karten gibt’s zu 15 Euro, ermäßigt 5 Euro – und zum „Sehnsuchtspreis“ von 25 Euro.Die Graphic Novel „Der Ursprung der Liebe“ von Liv Strömquist ist 2018 im Berliner Avant-Verlag erschienen und kostet 20 Euro.
Dafür sind schon die vielen, kleinen Video-Schnipsel viel zu vergnüglich (und dabei verblüffend nah am Comic-Original). Als verruchtes „Schneewittchen“ (pardon: als Freya) darf Lise Wolle sogar durch Zeichentrick-Kulissen schweben. Und Ronja Oppelt spielt gleich vier geile Zwerge.
Jede noch so trashige Freitagabend-Show braucht ein fieses Highlight: Bei Liv Strömquist ist’s die „Männer Pflege WM“ dreier Frauen, die sich für ihre verbiesterten, hinfälligen oder völlig senilen Männer aufopferten. Wie Lise Wolle dafür zum Mojitos sabbernden Ernest Hemingway wird, ist ein wahres Kunststück der Maskenbildnerei. Der Ausstattungszauber von Eva Lochner reicht bis zu jedem einzelnen goldgerahmten Vertiko-Foto im Reagan’schen Haushalt: jeweils mit Oppelt / Wolle in perfekter Maske als Nancy und Ronald. Das toppt die Strömquist’schen Zeichenkünste bei weitem.
Leidensbilder von Shakespeare bis Strindberg
Die Musik von Yotam Schlezinger tut den hier so gekonnt geschmähten Uralt-Machos sogar den Gefallen, ihnen den besten Song des Abends hinterher zu jagen: „Ich bin ein Wolf, ein Cowboy“, singen die auch stimmlich bestens aufgelegten Heroinen, „ein Hengst, ein Steppenwolf“. Das sei doch viel besser, als „den Literaturkanon“ zu spielen: All die geschundenen, verlassenen, betrogenen weiblichen Leidensbilder von Shakespeare bis Strindberg manifestieren sich im Saal 2 als kleine Horrorschau zu klassischen Zitaten: „Meine Ruhe ist hin, mein Herz ist schwer“.
Ins Off schreiten zwei coole Heldinnen mit Sonnenbrillen, die ihre Konfetti-Püster wie Pumpguns abfeuern. Wer weiß, vielleicht lässt sich ja dieser virtuose Hybrid aus Schauspiel und Video-Clip-Gewitter eines Tages tatsächlich im Saal 2 erleben.