Oberhausen. . Stefanie Grawe und Yotam Schlezinger machen mit der temporären Klanginstallation „Through Tape“ eine rastlose Zeit erfahrbar.

Sie mutet unheimlich an an diesem Samstagabend, die obere Etage des Bahnhofsturms. Schon beim Aufstieg im Treppenhaus dringt ein dröhnendes Geräusch nach unten. Beim Betreten der sechsten oberen Etage des Turms verstärkt es sich in dem fast dunklen Raum.

Die beiden Künstler Stefanie Grawe aus Köln und Yotam Schlezinger aus Essen haben einen der beiden mächtigen Wassertanks hier oben für ein Kunstprojekt genutzt. „Through Tape“ („durchs Band“) nennt sich ihre temporäre Klanginstallation. Nur an diesem Wochenende konnte man sie hier erfahren.

Mit der Wucht ihrer 17 Meter Höhe beherrschen die beiden Betontanks das Obergeschoss des Turms. Von hier aus wurde noch in den 1970er Jahren die Gier der Dampflokomotiven nach Kesselspeisewasser befriedigt. Jetzt ist der ganze Raum von dem künstlichen Dröhnen erfüllt. Eine Leiter führt durch eine Öffnung in das Innere eines der beiden Türme. Yotam Schlezinger sichert die Leiter.

Die Welt rast vorbei

Einige Besucher trauen sich hinauf und über ein Gerüst nach drinnen. Andere lugen nur kurz über die Leiter hinweg. „Ich habe Höhenangst“, sagt ein Mann und belässt es bei einem kurzen Blick.

Die beiden Künstler Yotam Schlezinger und Stefanie Grawe am Samstagabend.
Die beiden Künstler Yotam Schlezinger und Stefanie Grawe am Samstagabend. © Gerd Wallhorn

Dabei muss man die Atmosphäre im Innern des ehemaligen Wasserbehälters auf sich wirken lassen. Hier wird das Dröhnen durch den Hall noch verstärkt. Aber es ist plötzlich gar nicht mehr störend, weil es zu dem gehört, was hier sonst noch zu erfahren ist. Zwei sich gegenüber stehende Beamer projizieren synchron einen Film an die Wände. Beim Blick aus dem Fenster eines Eisenbahnzugs rast draußen die Welt vorbei, allerdings in schwarz-weiß. Der Rausch eines hektischen Zeitalters.

Das Filmbild ist zudem noch zergliedert. Mehrere Bänder sind durch den Raum mit seinen vielleicht sieben Metern Durchmesser gespannt und werfen ihre Schatten auf die Filmwand. Man könnte sie für elektrische Drähte halten, die die Energie für das endlose Dröhnen zum endlosen Filmbild dieser bizarren Reise liefern.

Musikvideo gab den Ansporn

Die Betrachter im Innern blicken nach oben und lassen das Ruhrgebiet an sich vorbeiziehen. Sie nehmen Stefanie Grawe kaum wahr, die wie ein Schattenbild im Raum steht und fotografiert.

Eine Etage tiefer, in den Räumen des Vereins Kunst im Turm (Kitev), sitzen Besucher des Kunstprojekts gesellig beisammen. „In dem Tank selbst fand ich es eigentlich langweilig“, sagt Michael Jauernig aus Essen, einer der Gäste. Aber der Weg nach oben auf den Turm mit seinem verwinkelten Treppenhaus, immer dem Geräusch folgend und über die Leiter hinein, „das fand’ ich spannend. Ich brauche immer etwas Abenteuer“, erklärt er.

Yotam Schlezinger widmet sich jetzt auf der Etage unterhalb der beiden Tanks seinen Gästen. „Ich habe voriges Jahr oben ein Musikvideo gemacht. Da war mir sofort klar, da muss ich etwas Besonderes machen“, erzählt der israelische Musiker. Angesichts der Finsternis und des Halls habe schon bald festgestanden, „es musste etwas mit Klang und Licht sein“. Und es musste authentisch sein, also etwas mit dem Ruhrgebiet zu tun haben.

Denn die Hinterlassenschaften des Industriezeitalters hier haben es dem 36-Jährigen angetan. Stefanie Grawe kannte er von einer Videoproduktion für seine Band. Die 34-jährige Kölnerin befuhr mit ihrer Kamera die Strecke von Duisburg nach Dortmund und fing damit die Bahnfahrt ein. „Es mussten schon Bilder aus dem Ruhrgebiet selbst sein“, sagt sie. Dazu wiederum steuerte Schlezinger einen Mix aus sechs Geräuschen bei.

>>>Info: Eine angenehme Atmosphäre für Künstler

Seit 2013 renoviert der Verein Kultur im Turm (Kitev) die drei oberen Etagen des Bahnhofsturms. Immer wieder fällt er seitdem durch außergewöhnliche Kunstprojekte auf, die mit einfachen Mitteln eine andere Sicht auf die Gegenwart eröffnen.

„Wir haben hier sogar eine Fußbodenheizung eingebaut“, berichtete Agnies­zka Wnuczak von Kitev am Samstag. Das sei zwar vom Einbau her recht aufwendig, vom Betrieb her jedoch kostengünstig. Und es schafft eine angenehme Atmosphäre für die Künstler aus aller Welt, die hier zu Gast sind und auch übernachten.