Oberhausen. Musiker contra Militär: Die Jusos wünschten sich einen Namenspatron, der zum Jugendzentrum passt. Doch das ist mitsamt „John’s Café“ abgerissen.
Ein verkniffen in den Fotoapparat blickender Kavallerie-Offizier in winterlichem Feldgrau: So zeigt sich Gottlieb Ferdinand Albert Alexis Graf von Haeseler (soviel Zeit sollte sein) auf einer vergilbten Ansichtskarte aus dem Ersten Weltkrieg. Nach dem preußischen Generalfeldmarschall (1836 bis 1919) auf hohem Ross sind noch heute etliche „ Graf Haeseler “-Reitvereine benannt. Und in Oberhausen war der adlige Militär der direkte Vorgänger von John Lennon (1940 bis 1980), dem laut einer Millenniums-Umfrage der BBC achtbedeutendsten Briten aller Zeiten . Der Sänger von „Love me do“ etablierte sich damit nur drei Plätze hinter William Shakespeare.
Zum 40. Todestag am 8. Dezember und kurz nach dem 80. Geburtstag John Lennons, der immerhin im Film „ How I Won the War “ einen fast chaplinesk unmartialischen Soldaten gespielt hatte, geht es um den John-Lennon-Platz . Allerdings geht’s nicht um dessen bis heute so unvollendete wie umstrittene Gestaltung – sondern um die Namensgebung. In einer Zeit, die den grotesken Humor des Liverpudlian Lennon gut brauchen könnte, erzählt der Rückblick auf den kurzen, aber pointierten Namensstreit auch von den Mühen, bis heute der Historie des deutschen Militarismus zu begegnen.
Im Herbst 1990, zum 50. Geburtstag des Beatles-Bosses (jedenfalls bis der fleißigere Paul McCartney diese Rolle übernahm), unternahmen die Jungsozialisten Oberhausen-Mitte den Vorstoß zur Umbenennung mit einem wortgewaltigen Antrag an OB Friedhelm van den Mond : Sie zielten vor allem auf den Kontrast von Kriegstreiber (Graf Haeseler) und Friedensaktivist (der Sänger von „Give Peace a Chance“). Interessant ist allerdings auch der Blick in jene biografischen Kurzporträts aus Nachschlagewerken, die zur Information für die Bezirksvertreter kopiert worden waren.
Der alte Platz-Patron löste Schikane durch Härte ab
Der Militär und Militarist Graf Haeseler erwarb sich nämlich seine Verdienste (aus damaliger preußischer Sicht) und die Beförderungen bis zum Generalfeldmarschall in der langen Friedenszeit von 1871 bis 1914: Ein Kavallerie-Ausbilder, der Schikane durch Härte ablöste, durfte damals als progressiv gelten. Die Jusos zitierten in ihrem Antrag den markigen Lexikon-Satz: „Er scheute nicht einmal davor zurück, bei Manövern körperliche Verletzungen und bedeutende Sachschäden zu riskieren.“ Ein echter Anti-Lennon.
Denn der Brite galt nicht erst als ausgesprochen bewegungsmüdes Genie, seitdem er für den Frieden mit Yoko Ono das Hotelbett hütete und so das „Bed-in“ erfand. Doch die Kurzbiografie aus dem Munzinger-Archiv , die im Bezirksausschuss die Namensdebatte unterfüttern sollte, lässt an Lennon kaum ein gutes Langhaar: Im Ton unfassbar pampig, zeichnete dieser Text das Zerrbild eines Dauerbedröhnten, dessen Musik nach dem Ende der Beatles nur noch „therapeutisch interessant“ war. Keine gute Argumentationshilfe für die Jusos.
Der Lennon’sche Segen hielt 21 Jahre
Perfide argumentierte der konkurrierende Bürgerantrag des damaligen NPD-Kreisvorsitzenden: Der Rechtsextremist plädierte in einem höflich formulierten Schreiben an den SPD-Oberbürgermeister dafür, den Platz nach Kurt Schumacher zu benennen, der bis 1943 fast zehn Jahre in den Gefängnissen und KZ der NS-Tyrannei durchlitten hatte. 1990 gelte es, „des mutigen Kämpfers für die Einheit Deutschlands zu gedenken“. Eine Antwort von Friedhelm van den Mond ist in der Handakte nicht überliefert.
Vor der laut Protokoll „kontroversen Diskussion“ im Februar 1991 im Bezirksausschuss hatten die Jusos das musikalisch schlichteste Lennon-Lied einstudiert und stimmten im Rathaus „Give Peace a Chance“ an. Der SPD-Nachwuchs warb für die Umbenennung auch mit dem einzigen Anlieger des John-Lennon-Platzes: dem Jugendzentrum, das damals zu einem Zentrum für die Musikerszene umgebaut werden sollte. „ John Lennon könnte als Namenspatron“, so berichtete die WAZ damals geradezu lyrisch, „schützend seine Hand über das städtische Projekt zur Förderung der Rockmusiker halten“.
Ein paar Meter „George-Harrison-Straße“
Der so beschworene Lennon’sche Segen hielt allerdings nur 21 Jahre, denn 2012 kam das Aus für das in der Bausubstanz marode Jugendzentrum – mitsamt „John’s Café“. Das Pro und Contra zwischen dem feministischen Beatle und dem „rücksichtslosen Kriegstreiber“ aus Potsdam (so die Jusos) wogte allerdings weniger um die Charakterzüge beider Persönlichkeiten. Den sechs Stimmen von CDU und FDP für den damaligen Status quo ging es ums Grundsätzliche. „Die Akzeptanz in der Bevölkerung fehlt“, meinte Christdemokrat Peter Hoffmann. „Wir müssten dann konsequenterweise noch einige andere Straßennamen ändern – wie die Sedanstraße .“
Musik vom Todestag bei den Legendary Shorts der Kurzfilmtage
Ein schicksalhaft mit dem Todestag von John Lennon am 8. Dezember 1980 verbundenes Tondokument zählt zum Bestand der „Legendary Shorts“ im Online-Portal der Internationalen Kurzfilmtage (dazu dem „Shorts“-Link 2018 folgen): Der von Yoko Ono 1981 als Single „For John“ veröffentlichte Song „ Walking on Thin Ice“ enthält mit einem Gitarrenpart den letzten musikalischen Beitrag John Lennons, eingespielt an seinem Todestag.
Als Mark David Chapman vor dem Dakota-Building in New York auf Lennon schoss, war das Ehepaar Ono-Lennon auf dem Heimweg vom Tonstudio und Lennon trug das Tonband von „Walking on Thin Ice“ bei sich. Im sonst meist gering geschätzten musikalischen Oeuvre der Aktionskünstlerin Yoko Ono fand dieser Song die höchste Anerkennung, wurde von Elvis Costello und Siouxsie Sioux gecovert und 2003 als Remix erneut veröffentlicht.
Das ist der Punkt, bis heute: Verherrlichen wir mit dem Namen des Städtchens in den Ardennen und den Schlachten von 1870 und 1940 die Kriege gegen Frankreich? Oder lässt sich „Sedanstraße“ auch als mahnende Erinnerung verstehen? Die nördlichsten Meter der Sedanstraße mit hübschen Gründerzeit-Häusern grenzen übrigens an den John-Lennon-Platz . Zumindest sie könnten doch auch „George-Harrison-Straße“ heißen . . . die beiden Beatles-Gitarristen hätten wieder zusammengefunden.