Oberhausen. Die neue geschäftsführende Dramaturgin des Theaters Oberhausen avanciert 2022 zur Intendantin in Gießen.
„Das ist der Ursprungszauber“, sagt Simone Sterr mit Emphase. „Der ist so magisch, der funktioniert auch in jeder Krise.“ Die neue geschäftsführende Dramaturgin hat das Theater Oberhausen schließlich erst unmittelbar vor dem Shutdown kennengelernt. Doch selbst die ersten gemeinsamen Leseproben konnten die 50-Jährige wieder betören.
Für zwei Spielzeiten zählt Simone Sterr nun zum Leitungsteam von Intendant Florian Fiedler. In ihrer baden-württembergischen Heimat war sie selbst Intendantin – und zwar als Jüngste der Republik von 2003 an für zwei Jahre in Aalen, dann für neun Jahre in der Universitätsstadt Tübingen. Und 2022 übernimmt sie die Intendanz am Dreispartenhaus im hessischen Gießen. Sie hätte sich womöglich anders entschieden, sagt Sterr zum Ende des Gesprächs, wäre das Team um Florian Fiedler von der Politik für weitere fünf Jahre bestätigt worden. Stattdessen entschieden Kulturausschuss und Rat für den Wechsel der Intendanz.
Zwei Jahre mit voller Kraft vorangehen
„Es bleibt unsere Aufgabe“, betont die Dramaturgin, „diese zwei Jahre mit voller Kraft voranzugehen“. Dabei macht sie deutlich, dass gerade „in dieser verunsicherten Situation“ dem Theater die personelle Konstanz fehlen wird. Die frühere und zukünftige Intendantin arbeitete seit der Spielzeit 2015/16 als leitende Dramaturgin am Schauspiel des Theaters Bremen – eines großen Fünfspartenhauses „mit einer ganz anderen Tradition“, wie Sterr betont. Oberhausen (obwohl die größte deutsche Stadt ohne Universität) vergleicht sie, was das Theater angeht, eher mit Tübingen: „Klein, beweglich, ein sehr modernes reines Schauspielhaus – das finde ich sympathisch.“
Wie Oberhausens Schauspielhaus und wie vor allem sein Publikum tickt, das wollte sie nach ihrer Verpflichtung im Januar in diesem Frühjahr erkunden. „Dann kam der Lockdown.“ Die letzte Musical-Vorstellung von „Peer Gynt“ wurde ebenso abgesagt wie die Premiere von „Der Funke Leben“ unmittelbar vor dem bundesweiten Stillstand des Kulturlebens. Wie kann jetzt ein Neubeginn gelingen?
Proben zwischen mobilen Plexiglaswänden
„Wir wollen als Theater ja auch Gastgeber sein“, sagt Simone Sterr. Doch Vieles, was diese Gastlichkeit ausmacht – und sei es das Flanieren im Foyer – ist gerade verunmöglicht. Die selbstgestellte Frage „wie empfängt man das Publikum?“ lässt die Dramaturgin noch unbeantwortet. Der erste Probenbetrieb in Buschhausen dagegen, der einem unbefangenen Beobachter wohl skurril vorkommen dürfte, lasse sich gut an. In Bremen hatte Sterr noch Proben von Armin Petras begleitet, des für seine wuchtig-energetischen Inszenierungen bekannten Regisseurs: Selbst dieser Regie-Stil sei noch möglich.
Den allerorten vorgeschriebenen Eineinhalb-Meter-Abstand müssen allerdings auch probende Ensembles einhalten: So ist der Boden der Probenbühne in Buschhausen jetzt gepflastert mit einem entsprechenden Raster, sorgen mobile Plexiglaswände für die gebotene Sicherheit. „Was in der Welt ist, ist auch im Theater“, sagt Simone Sterr. „Das Erzählen verändert sich.“ Die Motivation des Ensembles aber sei ungebrochen.
In der Stadt verankert – und über sie hinaus ausstrahlend
Wie lange Schauspielhäuser und Musiktheater unter diesen Bedingungen arbeiten müssen – diese Frage ließe sich nur als „Spekulation“ beantworten. „Aber das Allerwichtigste“, so Sterr, „ist die Erfahrung mit dem Publikum“: Kann das Theater Oberhausen es wieder überzeugen?
„Herkunft“ eröffnet die Spielzeit im Großen Haus
Die erste Premiere im Großen Haus am Freitag, 9. Oktober, um 19.30 Uhr mit Saša Stanišićs „Herkunft“ ist zugleich die erste Produktion, die Simone Sterr als Dramaturgin in Oberhausen verantwortet.
Etliche Theater wetteiferten um den Stoff, für den Stanišić 2019 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet worden war. Der Romancier gab schließlich Oberhausen den Zuschlag. „Das Ensemble hat ihn und den Stoff ausgesucht“, sagt Simone Sterr. „Es ist toll, dass wir die Ersten sind. Wir freuen uns total auf diese Premiere.“
Regie führt bei der Oberhausener Uraufführung der 53-jährige Sascha Hawemann, dessen eigene deutsch-ex-jugoslawische Biografie jene des elf Jahre jüngeren Saša Stanišić spiegelt.
Für eine Bühne im Ruhrgebiet sieht die bisherige Bremerin eine doppelte Aufgabe: Das Theater sollte zu einer Identifikation mit „seiner“ Stadt finden – und zugleich über sie hinaus ausstrahlen. „Das hat auch mit Weitsicht zu tun“, meint Simone Sterr. „Es ist der Platz, von dem man die Welt sieht.“