Zum dritten Mal tritt Daniel Schranz (CDU) bei einer Oberbürgermeister-Wahl in Oberhausen an. Der Amtsinhaber äußert sich im großen Interview.
Herr Oberbürgermeister, Rechtsextreme stürmen ungehindert mit Reichsflaggen die Treppen des Reichstags in Berlin. Ist der Staat zu schwach, um mit Rechtsextremen und Aluhut-Verschwörungsgläubigen fertig zu werden?
Was in Berlin stattfand, ist in der Tat besorgniserregend. Das waren zwar nicht alles Rechtsextreme, aber die normalen Bürger müssen sich schon fragen lassen, ob sie mit ihrem Protest die Rechtsextremen unterstützen wollen. Der Staat muss dafür sorgen, dass gerade so symbolträchtige Gebäude wie der Reichstag nicht von Verfassungsfeinden gekapert werden.
Muss der Staat gegenüber Rechtsextremen härter vorgehen?
Wir reden hier nicht nur über politisch verirrte Ideologen, sondern wir reden auch über rechtsextreme Gewalt, bei der Menschen sterben: Hanau mit zehn Toten, Halle beim versuchten Anschlag auf die Synagoge mit zwei Toten, Walter Lübcke in Wolfhagen. Deshalb muss der Staat auf allen Ebenen massiv etwas dagegen tun, der Staat muss intensiver diese Szene bearbeiten. Wir müssen außerdem auch klare Kante gegen diejenigen zeigen, die mit ihren Parolen die Grenzen des Sagbaren verschieben wollen und den Boden für diesen Rechtsextremismus bereiten. Aber auch vor Ort kann man etwas unternehmen. Oberhausen macht als liberale Großstadt viel gegen diesen Extremismus: Als Beispiele nenne ich nur das internationale Jugendtreffen Multi oder die Partnerschaft mit der polnischen Stadt Tychy – wir alle müssen gegen Ressentiments und Nationalismus kämpfen.
Warum haben offenbar viele Menschen das Vertrauen in bisher bewährte Institutionen und demokratische Gremien verloren?
Wir müssen uns klarmachen, dass wir Demokraten die große Mehrheit sind, nicht die Gegner der Demokratie. In der Corona-Krise ist das Vertrauen in den funktionierenden Staat bei den Bürgern sogar deutlich gewachsen. Doch die Zahl der Verschwörungstheoretiker und der Menschen, die Vertrauen verloren haben, die eine völlig andere Realität als Politiker oder Medien wahrnehmen, nimmt bedauerlicherweise zu.
Warum ist das so?
Die Ursachen dafür sind nicht eindeutig. Auffällig ist, dass dieser Trend in vielen Staaten um sich greift, sogar stärker als in Deutschland. Deshalb glaube ich, dass die Globalisierung mit all ihren Unsicherheiten und Unübersichtlichkeiten eine wichtige Rolle spielt. Zum anderen ist unsere Demokratie so erfolgreich, dass viele Menschen Zeiten politischer Wirren und wirtschaftliches Chaos nicht mehr kennen und deshalb nicht mehr genug wertschätzen, was wir uns alle erarbeitet haben. Wir müssen auch in den Kommunen handeln: Deshalb haben wir das Jugendparlament eingerichtet, deshalb beteiligen wir Bürger intensiver an Entscheidungen.
Wenn nicht alles täuscht, wird die AfD in den nächsten Rat einziehen. Wie sollte ein Oberbürgermeister als Vorsitzender des Rates damit umgehen?
Korrekt und rechtssicher nach den Regeln der Demokratie – ohne Ansicht der jeweiligen Gruppierung. Aber wir müssen auch klare Kante zeigen für die Werte, die die übergroße Mehrheit der Stadtgesellschaft antreibt: Wir sind eine weltoffene, liberale und tolerante Stadt.
Seit fünf Jahren führen Sie die Stadt Oberhausen als Oberbürgermeister. Haben Sie sich die Arbeit so stressig und anstrengend vorgestellt?
Dass dies kein Halbtagsjob sein würde, war mir bewusst. Schon früher habe ich aber relativ viel gearbeitet, weil ich mich neben meinem Beruf auch gesellschaftlich und politisch engagiert habe. Was ich schon merke: Die Kombination aus Verwaltungschef, Vorsitzender des Rates, Erster Bürger der Stadt und Konzernchef einer breit aufgestellten Beteiligungsstruktur ist nicht ohne. Es waren fünf sehr, sehr ausgefüllte Jahre, die mir große Freude machten. Man muss zwar sehr viel Zeit investieren, aber am Ende kommt dabei etwas Gutes raus, es bewegt sich was in der Stadt – und das goutieren die Bürger auch.
Das ist schön, aber es gibt ja in Deutschland noch andere wundervolle Arbeitsplätze. Warum wollen Sie unbedingt noch weitere fünf Jahre Oberhausen regieren?
Ich bin hier geboren und aufgewachsen, die Stadt liegt mir am Herzen. In so gut wie allen Runden in der Stadt bekomme ich zurückgespiegelt, dass es sich lohnt und man gemeinsam eine ganze Menge schaffen kann. Deshalb würde ich meine Arbeit gerne fortsetzen.
Auf welche Erfolge in den vergangenen fünf Jahren sind Sie besonders stolz?
Vor allem darauf, dass wir eine neue Kultur der Augenhöhe, der Wertschätzung und der Gemeinschaft geschaffen haben. Wir haben einiges in den vergangenen fünf Jahren erreicht, in vielen Feldern haben wir eine neue Dynamik erzielt: Weniger Arbeitslose, mehr Beschäftigung, mehr Bürgerbeteiligungen als in den vielen Jahren davor. Aber all diese Entwicklungen fußen fast nie auf der Leistung des Oberbürgermeisters allein, sondern viele haben daran mitgearbeitet: Investoren, Parteien im Rat, Vereine, Initiativen und einzelne Bürger.
Haben Sie sich bei der Lösung der Arbeitsplatzsituation in Oberhausen bisher zu sehr auf die Ansiedlung von Logistikunternehmen konzentriert, die im Verhältnis zum Flächenverbrauch wenige Jobs mitbringen? Wurde der Mittelstand, wurden Existenzgründer vernachlässigt?
Nein, auf keinen Fall! Oberhausen hat aus seiner Wirtschaftsgeschichte gelernt, nicht auf eine einzige Branche zu setzen, sondern sich breit aufzustellen. Städtetourismus und Logistik sind zwar wichtige Faktoren, aber wir werden nicht alles auf diese Karten setzen. Wir siedeln hier wertschöpfende Logistik an, das sind nicht große Hallen, wo keiner arbeitet, sondern in denen viele Beschäftigte tätig sind. Angesichts der guten Verkehrsanbindungen von Oberhausen ist Logistik hier sinnvoll. Aber genauso haben wir uns auch um unsere Unternehmen vor Ort gekümmert, so dass beispielsweise GHH Radsatz und Apparatebau Franken an ihren Firmensitzen investieren konnten.
Haben Sie ihr Ziel aufgegeben, nach Oberhausen eine Hochschule zu holen?
Nein, natürlich nicht. Wir haben viele Gespräche geführt, aber eine neue Gründungswelle an Hochschulen in NRW ist derzeit nicht in Sicht. Deshalb verfolgen wir die Strategie, aus den vorhandenen Strukturen mehr wissenschaftliche Bausteine zu schaffen. Das funktioniert: Das Fraunhofer Umsicht engagiert sich stärker in der Stadt und erweitert sich; die Hochschule Ruhr West ist in Oberhausen angekommen: Das ZDI-Zentrum fördert die naturwissenschaftlichen Kenntnisse von Schülern; jetzt gibt es das neue Schülerlabor. Und über neue Gründeraktivitäten reden wir ebenso.
Bei ihrem letzten Wahlkampf hatten Sie versprochen, mittelfristig den Rotlichtbezirk aus der Innenstadt zu verlagern. Warum hat das bisher noch nicht geklappt?
Mittelfristig ist der richtige Hinweis. Wir arbeiten konsequent daran, dass wir hier Erfolg haben. Nach langem politischen Ringen haben wir nun den Auftrag des Rates hierfür erhalten, eine Verlagerung zu prüfen und konkrete Vorschläge für mögliche Alternativ-Standorte vorzulegen. Das werden wir in absehbarer Zeit auch schaffen, was einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung bedeutet. Einen über hundert Jahre alten Bordellbezirk zu verlagern, ist eben aber keine Kleinigkeit. Wenn wir das Rotlichtviertel in ein Gewerbegebiet umsiedeln wollen, wo es keine schädlichen Auswirkungen auf das Wohnumfeld, auf Kitas und Schulen haben kann, muss man das sehr sorgfältig machen. Wir wollen deshalb gleich mehrere Alternativen beschreiben. Klar ist aber: Die Flaßhofstraße würde man heute auf gar keinen Fall mehr als Standort wählen.
Die Bordell-Hauseigentümer haben aber alte Rechte, ihre Immobilien sind doch lukrativ und haben einen großen Wert. Die wollen sich sicherlich nicht aus der Innenstadt verabschieden.
Wir haben mit den Bordellbetreibern geredet, um die Interessenlage auszuloten. Sie sind bereit, an einem Modell mitzuarbeiten, mit dem alle Beteiligten zufrieden sind. Aber wir haben zum Zweiten auch die Möglichkeit, mit dem neuen Prostitutionsschutzgesetz die Bordelle besser zu kontrollieren. Nun sind schon zwei Häuser geschlossen, weil diese die Auflagen des Gesetzes nicht einhalten, zwei weitere Häuser sind in der Prüfung. Der Druck für die Bordellbetreiber wächst.
Sie sind angetreten, um die Steuerlast für Bürger und Firmen zu senken. Wieso sind die Gewerbesteuern in Oberhausen noch immer so hoch wie in keiner anderen NRW-Stadt?
Mein Ziel von 2015 war ja, dass die Steuerlast nicht weiter steigt und, wenn möglich, sinkt. Den ersten Teil haben wir geschafft, dabei lag zweimal schon der Vorschlag auf den Tisch, die Steuern weiter zu erhöhen. Und zudem gibt es erfreulicherweise im Rat jetzt den Konsens, dass es in der Vergangenheit falsch war, die Steuersätze immer weiter zu erhöhen. Wir wollten die Steuersätze 2022 senken, aber dann kam uns leider Corona dazwischen. Das Ziel, Steuern zu senken, bleibt aber.
Sie wollten viel Geld der Steuerzahler sparen, indem Sie das Personal stark zurückfahren – 300 Stellen sollten gestrichen werden, mehr als vom Stadtkämmerer für möglich gehalten. Seit 2015 beschäftigt die Stadt jedoch immer mehr Personal. Waren Sie damals zu naiv?
Nein, die Welt hat sich aber massiv geändert. Wir sind keine schrumpfende Stadt mehr, sondern eine wachsende, deshalb müssen wir Schulen und Kitas aufbauen, müssen Erzieherinnen einstellen. Zudem haben wir mehr Rettungseinsätze und neue gerichtliche Arbeitszeit-Vorgaben für Feuerwehrleute – da benötigten wir mehr Kräfte. Und auch die Not der Flüchtlinge bedurfte einen höheren Personaleinsatz. Ein Rückbau von kommunalen Aufgaben war also gar nicht möglich, sondern im Gegenteil ein Aufbau notwendig.
Zudem haben externe Gutachter der Gemeindeprüfungsanstalt bei verschiedenen Prüfungen festgestellt: Beim Personal kann nicht mehr gespart werden. Zum Glück können rund 70 Prozent der Kosten für das aufgestockte Personal aus anderen Quellen als dem städtischen Haushalt refinanziert werden.
Die großen privaten Investoren loben die Leistungskraft des Rathauses – bei Baugenehmigungen dieser Riesenprojekte ist Oberhausen sehr schnell. Doch bei Kita-Neubauten verzögern sich die Genehmigungen. Woran liegt das?
Natürlich gibt es angesichts der vielen Ansprüche und der Vielzahl an Genehmigungsanfragen an die Stadtverwaltung auch immer Bürger, die mit den städtischen Dienstleistungen unzufrieden sind. Eine bewusste Management-Entscheidung, wir priorisieren Großprojekte zulasten der kleinen Projekte, gibt es aber nicht. Außerdem gibt es auch viel Lob von kleinen Antragstellern. Aber wir wollen die Verwaltung digitalisierter aufstellen, um die Abläufe zu beschleunigen. Denn je mehr wir privat und öffentlich investieren, desto mehr Arbeit bedeutet dies für unsere Rathaus-Belegschaft.
Digitalisierung ist ein gutes Stichwort. Schon 2014 hat Dezernent Jürgen Schmidt die digital zu verfolgende Bauakte erwähnt, im Sommer 2014 ermittelte ein Expertenteam den Internet-Bedarf aller Schulen. Geschehen ist da bisher wenig. Warum dauert das alles so lange?
Die digitale Bauakte ist auf dem Weg, das läuft. Deutschlandweit haben wir ja bei der Digitalisierung der Schulen aber einen hohen Nachholbedarf, nicht nur in Oberhausen. Wir haben als Staat zu spät reagiert, da sind andere Länder weiter. Wir verlegen jetzt Glasfaser zu den Schulen selbst, weil es noch länger dauern würde, wenn wir auf die Kommunikationskonzerne warten. Das ist allerdings teuer, deshalb waren wir gut beraten, auf entsprechende Fördermittel zu warten. Nun ist die erste Grundschule angeschlossen, jetzt folgen die anderen Schulen Schlag auf Schlag – mit Glasfaser, WLAN und digitalen Geräten.
Wenn Sie wiedergewählt werden, welches Problem würden Sie als erstes anpacken, um es zu lösen?
Wir müssen zunächst einmal in der Corona-Pandemie alles dafür tun, dass kein dauerhafter Schaden für die wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Strukturen in der Stadt entsteht. Im Vergleich zu anderen Städten und Ländern kommen wir bisher noch glimpflich durch die Krise. Und danach müssen wir daran anknüpfen, was wir vorher so erfolgreich geschafft haben: Dynamik, Bewegung -- und Investitionen ermöglichen.