Oberhausen. Der Brexit-Schock im Jahre 2016 hat Oberhausen bewegt, auf Suche nach einer polnischen Partnerstadt zu gehen – um das Europa-Gefühl zu fördern.
Um Punkt 15.44 Uhr ist es vollbracht: Die Stadtoberen von Tychy und von Oberhausen unterschreiben im hiesigen Ratssaal an der Schwartzstraße die offizielle Partnerschaftsurkunde – und damit ist die schlesische 130.000-Einwohner-Kommune die sechste Partnerstadt Oberhausens.
So ist das erste Kapitel der neuen Verbindung zwischen dem einstigen Kohle- und Stahlstandort Oberhausen und der jetzigen Steinkohle-, Auto- und Bier-Stadt Tychy (Tichau) geschrieben, das der Oberhausener Ältestenrat im Brexit-Schockjahr Ende 2016 aufgeschlagen hatte. Damals haben die Spitzen der Stadt und des Rates mit Blick auf die zunehmenden Europa-Zweifel der Bürger entschieden, das europäische Verständnis mit einer Städtepartnerschaft zu einer schlesischen Stadt zu stärken.
Keine Partnerschaft mit französischer Stadt
Oberhausen hat mit dem neuen polnischen Städtepartner Tychy nun sechs offizielle Partnerstädte: Im Westen die nordenglische Montanstadt Middlesbrough (seit 1974) am Fluss Tee mit ihren 140.000 Einwohnern, im Osten die süd-ukrainische Stahlkocher- und Maschinenbau-Stadt Saporishja (seit 1986) am Fluss Dnjepr mit 760.000 Bürgern, im Süden die sardischen Nachbarstädte Carbonia und Iglesias (seit 2002), Hauptzentrum des italienischen Kohlebergbaus, mit ihren insgesamt über 60.000 Einwohnern am Mittelmeer sowie die südosttürkische Hafenstadt Mersin mit 1,7 Millionen Einwohnern (seit 2004).
Mit der sächsischen Stadt Freital besteht aus DDR-Zeiten zwar eine gewisse Partnerschaft, doch die hat sich mittlerweile überlebt. Die vom Rat seit dem Jahr 2013 angestrebte Städtepartnerschaft mit einer französischen Stadt hat sich nicht verwirklichen lassen – die Stadtspitze hat schlichtweg eine geeignete und willige Kommune im Nachbarland nicht gefunden.
Schlesien und das Ruhrgebiet haben schließlich seit mehr als 150 Jahren eine gemeinsame Tradition: Fleißige Arbeiter aus Schlesien schufteten in den Kohlegruben des Reviers, gründeten Familien; zugleich ist Schlesien mit seiner Hauptstadt Katowice (Kattowitz) die am stärksten industriell geprägte Region (Woiwodschaft) – und seit Jahrzehnten Bergbauregion. Deshalb ist Schlesien seit 1995 auch Partnerland von NRW.
Auf den ersten Blick viele Gemeinsamkeiten der Partnerstädte
Auf den ersten Blick scheinen Oberhausen und das gut 1000 Kilometer entfernte Tychy gut zu harmonieren: Sie liegen an der Europäischen Route der Industriekultur, sind Sport-Städte, kulturell vielseitig aufgestellt, haben Härten im wirtschaftlichen Strukturwandel durchgemacht – und werden in ihrer Attraktivität unterschätzt. Wer Tychy 20 Kilometer südlich von Katowice besuchen will, stößt nach einer zehnstündigen Autofahrt über Kassel, Dresden und Woclaw (Breslau) auf eine Stadt, die mit vielen Parks, Alleen, Wäldern und einem künstlich angelegten zwei Kilometer langen flachen See einen hohen Freizeitwert hat.
Offenbar trinken die Einwohner dort ähnlich wie die Oberhausener hier gerne Bier, bevorzugt die in Tychy hergestellte größte polnische Biermarke Tyskie. Der süffige Gerstensaft wird in Oberhausen ja im deutsch-polnischen Kulturrestaurant Gdanska am Altmarkt ausgeschenkt. Mindestens so bekannt wie die Gitarren-Live-Konzerte und das Oberhausener Gitarrenfestival von Gitarrissimo ist der Schlesische Gitarrenherbst in Tychy. Auf jeden Fall erfolgsverwöhnter als die Oberhausener Fußballfreunde sind die sportverrückten Anhänger von GKS Tychy: Vier Mal polnischer Eishockeymeister (zuletzt im vergangenen Jahr) und Fußballspiele im neuen, 2015 eröffneten Stadion in der ersten Liga, der zweithöchsten polnischen Fußballklasse.
Jugendaustausch zwischen Tychy und Oberhausen vorbereitet
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Zur Besiegelung der Partnerschaft reisten die Schlesier mit einer fünfköpfigen Delegation für drei Tage an. Sie besuchten die dreidimensionale Karikaturen-Ausstellung von Jacques Tilly und die Linda-McCartney-Foto-Schau in der Ludwiggalerie, ließen sich von Intendant Florian Fiedler durchs Theater führen. Sie bereiteten zudem den Jugend- und Sportaustausch vor und besichtigen am Dienstag den touristischen Erfolg der Neuen Mitte. Da der seit 2000 amtierende Stadtpräsident Andrzej Dziuba fiebrig erkrankte, unterzeichnete Vize-Stadtpräsident Maciej Gramatyka am Montag die Partnerschaftsvereinbarung.
Nur 20 Kilometer von Auschwitz entfernt
In seiner Rede beim Festakt im Ratssaal erinnerte Oberbürgermeister Daniel Schranz an die dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte – Tychy ist nur 20 Kilometer vom Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau entfernt, das als Synonym für die Shoa steht, für den Genozid an Millionen Menschen. „Der deutsche Überfall und die Besetzung haben unzähliges Leid über Polen gebracht. Kein Land war dem Terror des NS-Besatzungsregimes länger ausgesetzt als Polen“, sagte Schranz.
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Um so wichtiger sei die heutige Verständigung der Völker – gerade über Städtepartnerschaften. „Denn die europäische Idee hat spürbar an Überzeugungskraft verloren. Nationalisierungs- und Abschottungstendenzen beschäftigen die öffentliche Wahrnehmung. Wir müssen neuen Mut entwickeln, die Vorzüge der Gemeinsamkeit mehr ins Bewusstsein rücken und mit gleicher Stimme sprechen. Das wollen unsere liberalen, pro-europäischen und weltoffenen Städte Tychy und Oberhausen.“ Tychys Kulturdezernent Maciej Gramatyka betonte in seiner Ansprache die gemeinsame industrielle Geschichte der beiden Städte – und ihre gemeinsamen Werte: „Die Zusammenarbeit zwischen unseren Städten ist ein hervorragendes Beispiel dafür, dass die Ideen der Gründer der Europäischen Gemeinschaft weiterleben. Die Beachtung der Bürgerrechte ist für uns Europäer sehr wichtig. Das gemeinschaftliche Europa ist ein übergeordneter Wert – nur gemeinsam werden wir uns weiterentwickeln.“