Oberhausen. Zu der eindrucksvollen Schau des Vereins für aktuelle Kunst mit 22 Künstlern zählen auch letzte Arbeiten des großen Bildhauers Emil Cimiotti.

Ein überlanger Tisch voller Künstlerbücher war der Coup der großen Vorjahres-Ausstellung „Papier – Farbe – Malerei“. Jetzt platzierten die Aktiven des Vereins für aktuelle Kunst, kurz VfaKR, ein ungleich kleineres Tischchen ins schmalste Kabinett der einstigen Klempnerei im Zentrum Altenberg. Doch die darauf versammelten Kostbarkeiten „en miniature“ hatten im Jubiläumsjahr des VfaKR die weiteste Reise hinter sich: Die abstrakte Origami-Kunst von Eri Kato passte für den Versand nach Oberhausen in einen größeren Schuhkarton.

Japanisches Origami gegen die traditionellen Regeln: Aus Papierresten faltet – und vernäht – Eri Kato ihre Miniaturen.
Japanisches Origami gegen die traditionellen Regeln: Aus Papierresten faltet – und vernäht – Eri Kato ihre Miniaturen. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

„Reinste Arte Povera“, sagt Elisabeth Sonneck bewundernd. Denn die Japanerin benutzt ausschließlich „ärmliche“ Papierreste, die sie auch – bewusst die Regeln der traditionellen Papierfaltkunst brechend – teils mit Nadeln und Faden in Form bringt. Gekonntes Anti-Origami zählt also auch zum weit aufgefächerten Repertoire der am Sonntag, 30. August, eröffnenden Ausstellung „Papier skulptural“.

Rhythmische Akzente mit wenigen Farbschwüngen

Die Vorjahresschau zur Farbmalerei auf Papier hatte Wilfried Darlath, der Vize-Vorsitzende des VfaKR, mit Nikola Dimitrov kuratiert. Jetzt erlebte er mit der Berliner Künstlerin Elisabeth Sonneck die so ansteckende wie anstrengende Freude, Papier-Skulpturen von 22 Künstlern – teils nach akribischen Vorgaben – in der weiten Halle einzurichten.

Und die Größe des hohen 960-Quadratmeter-Raumes erlaubt kontrastreiche Begegnungen, ohne dass es zwischen sehr unterschiedlichen Positionen „knirschen“ würde. Selbst die letzten Werke eines Großen der Bildhauerei im öffentlichen Raum fügen sich charmant ins so farben- wie formenreiche Miteinander: Als Emil Cimiotti (1927 bis 2019) die Kraft fehlte, um schweren Ton für seine Bronzen zu formen, „knautschte er Papier wie Ton“, wie Elisabeth Sonneck sagt: Mit wenigen Farbschwüngen setzte er auf diesen Reliefs rhythmische Akzente.

Die gegenüber hängenden Werke der 40 Jahre jüngeren Sophia Schama wirken wie dramatische Luftbilder eines anderen Planeten: Nach kräftigen Griffen hat die aus Bulgarien stammende Malerin ihre Papiere wieder geglättet, um mit virtuoser Malerei aus zartem Relief schluchtentiefe Licht- und Schatten-Räume zu erschaffen.

Künstlerin und Kuratorin Elisabeth Sonneck vor einem ihrer eigenen Rollbilder.
Künstlerin und Kuratorin Elisabeth Sonneck vor einem ihrer eigenen Rollbilder. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

Gabriele Baschs „Wand-Origami“ entzückt mit einer strahlenden Farbigkeit, als wären ihre kunstvoll wie Spitzen durchbrochenen Papiere von hinten beleuchtet. Tatsächlich reflektiert die weiße Wand die rückseitige Bemalung – und lässt sie durch die „Spitzen“ farbig leuchten: Effektsicheres Understatement.

Die Perfektion liegt im Nicht-Perfekten

Mit der Feinziselierung von Origami dürfte man Jutta Steudle wohl nicht kommen. Ihre mit Wucht und Wonne aus großen Bögen geknäuelten Wand- und Boden-Skulpturen atmen eher die japanische Philosophie des „Wabi-sabi“: Die Perfektion liegt im Nicht-Perfekten.

Tom Früchtl scheint geradezu grobianisch zwei große Verpackungskartons aus schwerer Pappe aufgerissen und im Regen stehengelassen zu haben. „Die Kartons haben’s in sich“, widerspricht Elisabeth Sonneck: Der in Berlin heimische Münchner sei „ein ausgezeichneter Kolorist“. Tatsächlich sind seine Kartons in augentäuscherischer Manier und Raffinesse bemalt – als wären es durchnässte Kartons.

Durchblick: Wilfried Darlath betrachtet die mit Schellack präparierte Papp-Skulptur von Phillip Langer.
Durchblick: Wilfried Darlath betrachtet die mit Schellack präparierte Papp-Skulptur von Phillip Langer. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

Aus ähnlich billigem Material macht der Schotte Colin Ardley futuristisch wirkende „Architektur“-Modelle: Seine Wand-Plastiken – die Kuratorin nennt sie „rasant“, weil viele schmale Bauteile sich wie im Windkanal ausrichten – entstehen aus cremeweißem Passepartout-Karton.

Wie Buster Keaton in der Gefängniszelle

Ardleys kaledonischer Landsmann Greig Burgoyne entsandte den wohl ersten Video-Loop über die Nordsee zum VfaKR. Für diesen Spaß sollte man sich als Zuschauer ruhig ein Viertelstündchen Zeit nehmen: In einer engen Einzelzelle des Gefängnisses von Scarborough kämpft der schlaksige Künstler stumm mit gewaltigen Papierbahnen, die immer wieder in sich zusammenfallen. Ein junger Buster Keaton spielt den Mythos des Sisyphos.

Einige Künstler kommen zur Eröffnung

Die Ausstellung „Papier skulptural“ beginnt am Sonntag, 30. August, um 11.30 Uhr in der Halle des Vereins für aktuelle Kunst Ruhrgebiet, Hansastraße 20. Anwesend sind dann mehrere der 22 beteiligten Künstler sowie Petra Oelschlägel, die Direktorin des Kunstmuseums Villa Zanders in Bergisch Gladbach.

Die Schau des VfaKR ist bis Sonntag, 4. Oktober, im Zentrum Altenberg zu sehen. Geöffnet für jeweils 96 Besucher ist die Halle freitags von 16 bis 18 Uhr, samstags von 15 bis 18 Uhr und sonntags von 11 bis 14 Uhr. Nachholen möchte der Verein für aktuelle Kunst noch die Doppel-Ausstellung mit Prints von Lydia Mammes und Nikola Dimitrov. Sie hatte im Frühjahr wegen des Corona-Lockdowns ausfallen müssen.

Elisabeth Sonnecks eigene Kunst kann sich als Farbmalerei auf großen Papierrollen wie bunte Segel fast deckenhoch aufbäumen – und tat es bereits in früheren Altenberg-Ausstellungen. Die Berlinerin ist seit ihrer Oberhausener Schau 2012 selbst Mitglied im VfaKR, dessen R ja für Ruhrgebiet steht: „Aber hierher zu kommen ist machbar – und es ist eine Freude“. Ihre aparten „Rollbilder“, bedeckt von Streifen in schimmernder Öl-Lasur, drapierte sie jetzt, weniger raumgreifend wie ein Portal, daneben eine geschlossene Rolle.

Versteinert: Goekhan Erdogans „Stein“-Skulpturen entstehen aus Blöcken von jeweils 2000 verleimten Druckerpapieren.
Versteinert: Goekhan Erdogans „Stein“-Skulpturen entstehen aus Blöcken von jeweils 2000 verleimten Druckerpapieren. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

Ein großer Auftritt gelingt auch allein mit der vermeintlich stumpfen Farbe Grau: Der Frankfurter Goekhan Erdogan verleimt 2000 Druckerpapiere zu Blöcken, aus denen er dann – sägend, schleifend und wachsend – geradezu illusionistisch handschmeichlerische „Steine“ formt. Mehr kann man von dem leichthin unterschätzten Material Papier wirklich nicht erwarten.