Recklinghausen. . Mit der packend aufbereiteten Werk-Chronik zu acht Jahrzehnten des Kunstpreises „junger westen“zeigt die Kunsthalle bis zum 27. Januar 2013 auch mal wieder „ihren“ Gerhard Richter.

Nur der heiße Reifen von Michael Sailstorfer ist notgedrungen etwas deplatziert: Der jüngste Träger des traditionsreichen Kunstpreises „junger westen“ gehörte mit seiner 1 PS-starken Installation „Zeit ist keine Autobahn“ eigentlich in die dritte, die aktuellste Etage dieser famosen Übersichts-Ausstellung.

Mit dem 33-jährigen 2011er Preisträger erreichte der Kunstpreis „junger westen“ sein achtes Jahrzehnt – und die Kunsthalle zeigt (fast) alle ausgezeichneten Maler, Bildhauer und Grafiker seit 1948. Es sind ausschließlich Werke aus dem Eigenbesitz der städtischen Museen, denn – so betont Direktor Prof. Ferdinand Ullrich: „Wir sind nicht nur ein Wechselausstellungs-Institut.“ Der Kunstpreis bietet alle zwei Jahre die Gelegenheit, die Sammlung um neue Preisträger-Werke aufzustocken. Und Michael Sailstorfer, der früh Arrivierte unter den Jungen, machte die jüngsten Ankäufe dank „Freundschaftspreisen“ möglich.

„Schumacher vor Schumacher“

Schauplatz der ersten „junger westen“-Ausstellung war noch die Engelsburg, denn der „Kunstbunker“ am Hauptbahnhof war noch gar nicht als für seinen neuen Zweck hergerichtet. Allererster Preisträger war Karl-Otto Götz, neben dem Hagener Emil Schumacher DER Name des Informel. „Wir zeigen Schumacher vor Schumacher“, sagt Dr. Hans-Jürgen Schwalm – und tatsächlich: Das Schrundige, Rissige, die ganze Wucht des Materialeinsatzes fehlen hier noch.

Andere frühe Preisträger waren mit ihrer Kunst früher vollendet: Emil Cimiotti, 15 Jahre jünger als Schumacher, nannte „seinen“ Kunstpreis 1957 „den Eintritt in die Karriere“. Der Bildhauer gewann sogar zwei Jahre später erneut – als Zeichner. Heute überlegt Prof. Ullrich, ob es sinnvoll sei, über die Aufhebung der drei Gattungen – Malerei, Skulptur und Grafik – nachzudenken“. Für die Jury wäre der Ansturm der Bewerbungen (je nach Gattung heute zwischen 300 und 600) wohl kaum zu bewältigen.

Natürlich gibt es längst Genre-sprengende Werke: Heike Gallmeier gewann als „Malerin“ mit ihrem „Goethe-Zimmer“: einem wandhohen Foto-Print mit bestechend malerischem Flair. Die allererste Preisträgerin war 1993 (reichlich spät!) Susanne Paesler. Zart kolorierte, recht kleine „Tartan“-Gemälde in Lackfarben auf Aluminium repräsentieren das Werk der mit 43 Jahren früh Verstorbenen.

Größer: die Ateliers und das Denken

Einst gab es für die einzureichenden Werke sogar die Format-Beschränkung von 2 x 2 Metern. „Klingt etwas albern“, meint Dr. Schwalm, „aber die Türen waren nicht größer“. Die Garde-Maße aktueller Arbeiten belegen für den Vize-Chef der Kunsthalle auch: „Die Ateliers und das Denken wurden größer.“

Ehe Gerhard Richter ganz groß wurde und zum teuersten deutschen Maler avancierte, malte er „fotografisch“ Küchenmöbel. Prof. Ullrich bedauert noch heute, dass seine Vorgänger Thomas Grochowiak und Dr. Anneliese Schröder 1967 nicht „drei Richter“ kauften, denn: „Dieser Küchenstuhl hat inzwischen die ganze Welt gesehen.“ Eine höchst gefragte Leihgabe, die das internationale Renommee des „Kunstbunkers“ mehrt.

64 Jahre und 33 Ausschreibungen des Kunstpreises „junger westen“ sind auch ein packend aufbereiteter Parcours durch die nachkriegsdeutsche Geistesgeschichte. Dass zu diesem Ereignis kein Katalog vorliegt, ist bedauerlich – lässt sich aber ein bisschen kompensieren: Es gibt noch viele ältere „junger westen“- Kataloge im Bestand der Kunsthalle. Wer von einem ganz bestimmten Jahrgang fasziniert ist, der sollte einfach an der Kasse im Foyer nachfragen. Nur der „Ur“-Katalog von 1948 ist nicht mehr erhältlich.