Oberhausen. Mit dem „Drive in“-Theater war Holger Hagemeyer ein Pionier, der draufzahlen musste. Das neue Parkbanktheater schreibt bisher eine „rote Null“.
Holger Hagemeyer hat sich „mal wieder über die Etablierten aufgeregt“. Da muss der Gründer und Chef des Theaters an der Niebuhrg doch in der Zeitung vom Münchner Kammerspiel-Intendanten lesen, die Stadttheater sollten viel mehr im Freien spielen. Und dann schlägt dieser Matthias Lilienthal, meldete dpa vor einigen Tagen, „eine Anschubfinanzierung des Bundes vor“. Ein Selber-Macher wie Hagemeyer mag da nur verächtlich schnauben: Seit Jahrzehnten gibt es Freilichtbühnen freier Ensembles – aber wohl weit unter jedem Lilienthal-Radar.
„Unser Gartentheater existiert seit 2009“, sagt der Niebuhrg-Chef en passant. Der Unterschied in dieser sehr speziellen Saison: „Die Spielfläche ist nicht bestuhlt, sondern bebankt.“ Die soliden und komfortablen Doppelsitzer mit dem Tischchen in der Mitte waren sonst im weiten Niebuhrg-Areal der einstigen Zeche Concordia verteilt. Die Theatermacher haben sie jetzt vor der Freilichtbühne versammelt – und trotz Abstand-Gebots so für ein angenehmes Sommerambiente gesorgt. „Wir erlauben den Gästen, sich Picknicksachen mitzubringen“, betont Hagemeyer. Kühle Getränke gibt’s natürlich im Parkbanktheater.
Trotz aller Fürsorge fürs verehrte Publikum: „Unser größtes Problem ist die Verunsicherung der Theatergänger.“ Theoretisch dürfte die Niebuhrg sogar – bei sitzplatzgenauer Nachverfolgung der Buchungen – sämtliche 300 Plätze anbieten. Doch so viele Gäste kommen nicht. Holger Hagemeyer spricht von einer „roten Null“ bei einer Auslastung von 45 bis 50 Prozent.
50 Shows statt fünf Sommer-Produktionen
Dabei hatte die Niebuhrg noch in keinem Sommer ein so reichliches und so abwechslungsreiches Programm anbieten können – an wöchentlich fünf Abenden von mittwochs bis sonntags. „Sonst haben wir fünf Produktionen im Sommer“, sagt der 61-Jährige, „jetzt sind’s 50“. Auf die beliebten größeren Musical-Inszenierungen musste der Hausherr verzichten. Dennoch war’s kein Problem, den Terminkalender bis zum Ende der Freilicht-Saison im Oktober zu füllen. „Die Künstler sind tatsächlich dankbar für jede Auftrittsmöglichkeit.“
Und die Niebuhrg hat sich ein ganz neues Publikum erschlossen. Waren bisher Touristikbusse, vor allem aus dem Niederrheinischen, eine wichtige Bank – so fehlt diese Klientel nun komplett. Hagemeyer schätzt, dass die Mehrheit der Gäste im Sommer 2020 zum ersten Mal das Parkbanktheater besucht: „Dafür haben wir schon einige Wiederholungstäter.“
Viel Publicity und noch mehr Nachahmer brachte den Niebuhrgern im Frühjahr das „Drive in“-Theater vor applaudierenden Lichthupen. Doch finanziell war’s leider ein Eigentor: Weil das Theater an der Niebuhrg im April 2019 geschlossen war, hat die Bühne sich mit ihrem kleinen 2020er Umsatz aus der Corona-Förderung ausgeschlossen. Doch der Theaterprofi aus der Gebäudereinigungsbranche will gar nicht schimpfen: „Mit dem, was unser Staat in dieser Krise leistet, bin ich sehr zufrieden.“
Sein Appell: Theater Oberhausen könnte abgeben
Mehr Hilfe könnte aus seiner Sicht von der Stadt kommen. Hagemeyer verweist auf Produktionskosten, die das Theater Oberhausen durch den Lockdown nicht mehr ausgeben musste: „Fünf Prozent dieses Jahresetats von 12 Millionen könnten einigen sehr helfen – nicht nur der Niebuhrg.“ Als Unternehmer hätte er sich selbst längst sagen müssen: „Mach den Laden sofort zu.“ Wäre da nicht seit 24 Jahren diese Passion fürs Showbusiness.
Erst Revier-Rock mit Mottek, dann Schlager-Nostalgie
Das Theater an der Niebuhrg pflegt schon lange ein sehr übersichtliche Preispolitik: Karten kosten durchweg 24 Euro, ermäßigt 12 Euro. Die Abo-Karte gilt daher – wie eine Zehnerkarte – für alle Vorstellungen, die der Theatergast besuchen möchte.
Eine Ausnahme bestätigt die Regel: Mit den Rock-Lokalmatadoren von Mottek haben die Niebuhrger für das Konzert am Freitag, 31. Juli, um 19 Uhr einen Sonderpreis von 16 Euro vereinbart.
Die ersten August-Wochenenden vom 1. bis zum 16. hat das Parkbanktheater für acht Vorstellungen einer beliebten Eigenproduktion reserviert: „Schlager lügen nicht“ feiert die 1970er Jahre zwischen Prilblumen, Lavalampen und Flokatiteppichen. Tickets gibt’s unter 0208 - 86 00 72, online niebuhrg.de
Im Oktober will der Niebuhrg-Chef zurück zum normalen Spielplan – „Mord nach Noten“, lautet der vielversprechende Titel. Im Theatersaal lässt sich das Dach öffnen. Liefe dann auch noch die Tribünenheizung, ließe sich eine Thermik erzeugen, die verdächtige Aerosole hinausbläst. Allerdings nennt Hagemeyer solch ein Verfahren selbst „totalen Umwelt-Unsinn“. Doch wie soll er seinem Publikum die Angst vor Ansteckung nehmen?
„Nichts zu machen ist das Einfachste“ – entspräche aber so gar nicht der Macher-Mentalität des Niebuhrg-Bosses, dessen Gebäudereinigungsunternehmen als einziges seiner Branche auch in die Künstlersozialkasse einzahlt. Er sei eben erst mit 37 Jahren zum Theater gekommen – „deswegen habe ich eine ganz andere Perspektive“. Nach Verzagen oder Aufgeben klingt das nicht.
Sein Mantra: „Flexibel reagieren!“
Immerhin tüftelt das Niebuhrg-Ensemble bereits an einer „Covid 19-Version“ des alljährlichen komödiantischen Krippenspiels. Im Theater an der Niebuhrg mussten Maria und Josef schon vor einem Amtsgericht Rede und Antwort stehen. Wie mag es der Heiligen Familie dann erst nach einem Jahr der Pandemie ergehen?
Während draußen vor der Panorama-Parkbank ein schier endloser Güterzug mit chinesisch beschrifteten Containern daran erinnert, dass dieses altindustrielle Niebuhrg-Idyll die „neue Seidenstraße“ tangiert, verkündet Holger Hagemeyer mit fast buddhistischer Gelassenheit sein Mantra: „Flexibel reagieren!“