Oberhausen. Auf 60 Seiten erzählt die Broschüre „Die jüdischen Friedhöfe in Oberhausen“ zehn Biografien und bietet ein Resümee der jüngsten Restaurierungen.
Das Büchlein – schön gestaltet, wie man es vom Verlag Karl Maria Laufen erwarten kann – ist nicht nur „ein Wegweiser“, wie es im Untertitel heißt, sondern auch die gedruckte Bilanz eines fünfjährigen Restaurierungsprojekts. Mailin Pannebäcker als Herausgeberin und Clemens Heinrichs als Leiter der Gedenkhalle verweisen mit berechtigtem Stolz auf ein „besseres Erscheinungsbild“ der erhaltenen jüdischen Friedhöfe in Oberhausen. Von den Schritten dahin – und von der großen historischen Bedeutung dieser „steinernen Zeugen“ – erzählt die 60-seitige Broschüre so kompakt wie anschaulich.
2015 formierte sich ein Arbeitskreis, in dem neben der Gedenkhalle und der Jüdischen Gemeinde Duisburg-Mülheim-Oberhausen sowie der Denkmalbehörde einige weitere Institutionen mitwirkten: Es galt zu sichten, was an den einst vier jüdischen Friedhöfen im Stadtgebiet mit welchem Aufwand restauriert werden kann. Christoph Schaab, der Leiter der LVR-Restaurierungswerkstatt in Pulheim, berichtet selbst in dem Band über seine Arbeit: Ihm ging es bei verwitterten Steinen darum, den Ist-Zustand zu bewahren. „Wie neu“ lässt sich zumal jener Rheinische Sandstein nicht mehr restaurieren, der für die ältesten Grabsteine in Holten verwendet wurde.
Im jüdischen Glauben haben Friedhöfe als „Häuser der Ewigkeit“ höchste Bedeutung. Der Verstorbene besitzt das Grab für immer: Es muss unangetastet bleiben. Umso schrecklicher ist für Gläubige die Schändung und mehr noch die Zerstörung jüdischer Gräber – nicht allein während der NS-Zeit. In ihrem eigenen Essay zur Geschichte der jüdischen Friedhöfe rekapituliert Mailin Pannebäcker denn auch den Skandal um den ältesten Alt-Oberhausener Friedhof am heutigen Max-Planck-Ring: 1911 hatte die Stadt dieses Grundstück an die GHH verkauft, die dort eine Halde aufschütten wollte. Die Sammelklage der empörten Kultusgemeinde blieb erfolglos.
Nur noch in alten Kartenblättern nachweisbar
Auch der jüdische Friedhof in Sterkrade lässt sich nur noch in alten Kartenblättern nachweisen. Er wurde wohl seit 1912 für 20 Jahre genutzt, meint die Historikerin. Die imposantesten – und eines der jüngsten – Grabmäler sind dagegen auf dem Westfriedhof in Lirich erhalten. Nathanja Hüttenmeister, Judaistin am Salomon-Steinheim-Institut in Essen, erläutert in ihrem Beitrag die jüdische Sepulkralkultur: von den Formen der Steine bis zu Übersetzungen der hebräischen Inschriften.
Ein kundiger Begleiter auch für Radtouren
Die 60-seitige Broschüre „Die jüdischen Friedhöfe in Oberhausen“ ist schön ausgestattet mit Karten, historischen Dokumenten und Fotos sowie aktuellen Aufnahmen. Erhältlich ist sie für 5 Euro im Museumsshop der Ludwiggalerie, in der Buchhandlung Karl Maria Laufen – und dank der ISBN 978-3-87468-398-0 überall im Buchhandel zu bestellen.
Im Team der Gedenkhalle entwickelt ein Auszubildender derzeit eine Radtour, die zu den jüdischen Friedhöfen führen soll. Gemeinsame, fachlich begleitete Ausflüge könnten dann folgen. Noch gibt es allerdings keine Termine.
Simon Lichtenstein kam aus Ostpreußen in die Pionierstadt Oberhausen, führte ein Schirmgeschäft an der Marktstraße und starb 1915 im Alter von 57 Jahren. An ihn erinnert der jüngste Grabstein in Lirich: Sein Enkel, der in Zürich heimische Peter Simon Lichtenstein, ließ im vorigen Jahr diese Erinnerung im „Haus der Ewigkeit“ setzen.
In Holten schließlich, das mit seinen Markt- und Stadtrechten von 1310 rund 550 Jahre älter ist als Oberhausen, weisen die Zeugnisse auf dem jüdischen Friedhof zurück bis in die Zeit Friedrich des Großen: Der älteste der dort erhaltenen 44 Grabsteine erinnert an Chava bat Jaakow Halevi, gestorben 1759. Mailin Pannebäcker recherchierte für die Broschüre auch beispielhaft zehn Biografien jener Menschen, die auf diesen Friedhöfen beigesetzt sind.
Quälender Weg durch die Instanzen
So liest man auch mit einiger Bitternis, wie etwa Ida Funke, die 1945 aus Theresienstadt nach Oberhausen zurückkehrte, sich durch die Instanzen quälen musste, um für ihren geraubten Besitz entschädigt zu werden und als 72-Jährige endlich eine Kur antreten zu dürfen.
Für Clemens Heinrichs verweist diese neueste Publikation der Gedenkhalle „auf unser Selbstverständnis, die jüdische Kultur auch über die NS-Zeit hinaus zu beleuchten“.