Oberhausen. Oberhausener Abiturienten ziehen ein Fazit der Prüfungen. Neben der psychischen Belastung kritisieren die ehemaligen Schüler die Landesregierung.
Ungeduldig steht Angelina Sahiti auf dem Schulhof der Gesamtschule Osterfeld. Die Abiturientin hat großen Redebedarf. Im Interview spricht die 19-Jährige mit uns über die Erfahrungen mit dem Corona-Abitur 2020 und übt Kritik an der Landesregierung. Unterstützung erhält sie dabei von SV-Lehrerin Natalie Zak (32).
Angelina Sahiti, Sie wussten lange nicht, ob das Abitur überhaupt stattfindet, im Raum stand das Durchschnitts-Abi ohne Prüfungen. Wie haben Sie die Diskussionen im April erlebt?
Angelina Sahiti: Das Hin und Her war sehr anstrengend. Ständig habe ich mich gefragt: Muss ich lernen? Wie viel muss ich lernen? Irgendwann habe ich total die Motivation verloren.
Hat die Vorbereitung trotzdem geklappt?
Sahiti: Ja. Wir standen oft in Kontakt mit den Lehrern, per E-Mail, durch die Schul-Cloud, selbst bei WhatsApp. Wir hatten sehr viele Video-Konferenzen, auch das Abitraining nach den Osterferien in der Schule war gut für uns. Dabei hatte aber auch nicht jeder Abiturient die gleichen Voraussetzungen. Dem einen fehlte die Technik, der andere musste zusätzlich auf seine Geschwister aufpassen.
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Natalie Zak: Mein Leistungskurs hat mir zurückgemeldet, dass er sich erschlagen gefühlt hat. Die Unklarheit war eine Motivationsbremse und wir konnten vor dem PC keine Beziehungsarbeit leisten. Deshalb war der Redebedarf nach den Ferien erstmal groß.
Was wären Alternativen gewesen?
Sahiti: Von mir aus hätte das Abitur abgesagt werden können. Wir haben ja auf unsere Anliegen hingewiesen, aber wurden von der Landesregierung nicht gehört. Wir fühlen uns ignoriert. Stattdessen gab es Schlag auf Schlag neue Anweisungen und ein völliges Durcheinander, das uns verwirrt hat. ‘Ihr dürft das und das nicht’, aber Hauptsache durch.
Zak: Zuhause aufpassen, Minijobs, Lernen, die Angst vor dem Virus: Die psychische Belastung war hoch. Wir haben zum Beispiel über den Instagram-Kanal der Schülervertretung viele Anfragen bekommen und versucht, mit Updates aufzuklären – wenn es denn eindeutige Informationen gab.
Sahiti: Das stimmt. Die Schule ist uns sehr entgegen gekommen und hat versucht, uns die Angst zu nehmen.
Wie liefen nach diesem Auf und Ab die Prüfungen?
Sahiti: Vom Ablauf überraschend gut. Wir haben in der Turnhalle geschrieben, mit viel Abstand und Desinfektionsmittel. Die Lehrer haben Masken getragen und es gab eine Wegführung mit Smileys auf dem Boden.
Insgesamt aber war es befremdlich und komisch. Ich hatte vorher eine Höllenangst, die zum Glück während der Prüfung weg gegangen ist. Dazu kam ein schlechtes Gewissen. Ich habe einen Cousin mit Lungenkrankheit, das Risiko einer Ansteckung war ja trotzdem da.
Mutmacher aus dem Netz
Aufmunterungen und Mutmacher sendeten die Schulen während des Corona-Lockdowns quer durch Oberhausen. So taten sich etwa die Lehrkräfte des Heinrich-Heine-Gymnasiums zusammen, um mit einer Fotocollage zu signalisieren: Wir sind für euch da.
Auch an der Gesamtschule Osterfeld gab es solch eine Botschaft seitens der Lehrerinnen und Lehrer. Darüber hinaus hat die Schülervertretung der GSO zu den Jugendlichen einen direkten Draht auf Instagram. Dort folgen fast 300 Abonnenten dem Account sv_gso, der Informationen aus dem Schulleben postet.
Und jetzt ist die Erleichterung groß?
Sahiti: Normalerweise ist das ein emotionaler Schritt und das Ende eines großen Lebensabschnitts. Und doch fühle ich mich nicht fertig, mir ist kein Stein vom Herzen gefallen.
Kommt es wenigstens zu einem feierlichen Abschluss?
Sahiti: Das Feierliche fehlt völlig, genauso wie der Spaß. Keine Mottowoche, kein Abiball. Die Zeugnisübergabe ist am 25. Juni und wir brauchen diesen Moment. Die Familien möchten das miterleben. Wir werden im kleinsten Rahmen eine „Feierlichkeit“ mit jeweils zwei Begleitpersonen haben.
Zak: Das ist hart. Wir begleiten die Schüler und Schülerinnen über Jahre und hätten sie schon gerne mit einer Umarmung in die Zukunft geschickt.
Weitere Reaktionen der Oberhausener Abiturienten und Abiturientinnen
Rosa Lübbert (Schülersprecherin Bertha-von-Suttner-Gymnasium): „Die Vorbereitung auf das Abitur hat für mich gut funktioniert. Die Schule hat schnell die Online-Plattform Moodle eingerichtet, über die wir dann gearbeitet haben – auch mit den Lehrern haben wir viel kommuniziert. Ich hatte aber den Vorteil von Ruhe im eigenen Zimmer, viele haben diesen Rückzugsort nicht. Nervig fand ich, dass aus Düsseldorf gefühlt jede Woche eine andere Meldung kam.
Wir haben in der Sporthalle unsere Prüfungen geschrieben, das war seltsam. Im Gebäude gab es Maskenpflicht, am Platz nicht – die Lehrer haben sehr auf die Einhaltung geachtet. Nach den Prüfungen haben wir teilweise anderthalb Stunden draußen gestanden und gequatscht.
Die Zeugnisübergabe findet am 26. Juni in Kleingruppen in der Aula statt, geordnet nach den Nachnamen. Alle bemühen sich um einen würdigen Abschluss, mit Musik und Fotos. Generell hat die Schule diese schwierige Situation gut gelöst und uns viel Verständnis entgegen gebracht, was ich persönlich sehr schön fand.“
Amir Benjamin Balde (Heinrich-Heine Gymnasium): „Es gab im Vorfeld richtig viele Spekulationen, ob das Abitur stattfindet oder nicht. Auch die Online-Vorbereitung war komisch, aber machbar.
In den Prüfungen haben wir uns gut aufgehoben gefühlt. Es gab jede Menge Desinfektionsmittel, sogar drei Meter Abstand, aber zum Glück keine Maskenpflicht am Platz. Es hat sich normal angefühlt, bis auf den Extraschub Adrenalin. Gut finde ich, auf Grund der Situation noch freiwillige mündliche Prüfungen absolvieren zu können. Nach den Prüfungen standen wir mit acht Mann im großen Kreis und haben uns ausgetauscht.
Ich bin sehr froh, fertig zu sein. Die Schule hat es souverän gemacht. Kritisch ist es nur von der Zeit, weil wir jetzt kaum Praktikumsplätze finden. Oder die Unternehmen wegen des Homeoffice aktuell keine Praktikanten benötigen.“
Anna Kimmeskamp (Elsa-Brändström-Gymnasium): „Ich habe das Gefühl, dass in Düsseldorf die Unsicherheit sehr groß war. In der Kommunikation ist einiges schief gelaufen, was für uns hinderlich war. Trotzdem hat uns das Montessori-Konzept gut vorbereitet, eigenständig zu lernen – auch wenn die Motivation von Schüler zu Schüler unterschiedlich war. Ich hab mich nicht verrückt machen lassen.
Die Lehrer haben wirklich alles gegeben. Sie haben uns teilweise sofort geantwortet, der Blockunterricht nach den Ferien tat ziemlich gut. Auch die Schule hat getan, was sie konnte. Wir haben außerfachlich viel Unterstützung bekommen. Die Prüfungen in kleinen Gruppen haben gut geklappt.
Wir haben uns unseren Abschluss alle anders gewünscht, aber uns mit der Situation abgefunden. Auf der Schwelle zwischen zwei Lebensabschnitten mussten wir halt Ersatzlösungen finden. Das Leben läuft weiter.“