Oberhausen. . Das Theater Oberhausen zeigt die deutsche Erstaufführung von das „Recht des Stärkeren“ – weitgehend spannend, nahbar und dicht erzählt.
Aus der Ferne hätte man am Donnerstagabend das mit Spruchband und Flugblatt gerüstete Grüppchen vor Oberhausens Theater für einen hauseigenen Verwaltungsaufstand halten können (siehe Text unten). Doch waren es Bürger, die ihre Sorge um die Zukunft Venezuelas vor die Tür trieb. Drinnen, auf der Bühne, kämpft – in einer deutschen Erstaufführung – die junge Schweizerin Nadja Studer gegen die schreiende Ungerechtigkeit in Kolumbien.
Die Dokumentarfilmerin erträgt es nicht: „Das Recht des Stärkeren“ täglicher Menschenrechtsverletzungen. Bauern verlieren ihr Land, der gierige Schlund einer der größten Steinkohle-Minen der Welt fordert Opfer: Gewerkschafter werden getötet, ganze Dörfer durch Folter dauerhaft zum Schweigen gebracht. Nadjas Waffe sind allein Bilder, ihre schärfste Munition: der Kronzeuge Àlvaro. Der Mann ist jener Aussteiger, der sprechen wird über das, was paramilitärische Einheiten – von Energieriesen mehr als geduldet – seinem Land antun. Das Drama schlägt um, als der Dreh längst im Kasten ist: Àlvaro wird Vater und will plötzlich aus dem Film herausgeschnitten werden.
Der Schweizer Dominik Busch hat eine heftig moralgesättigte, aber doch starke Gegenwartstragödie geschrieben. Auffallend die flexibel pulsende Sprache: poetische Bruchstücke, wenn Abgründe der Figuren nach vorn drängen, dann wieder straffe Alltagsprosa, die mitunter noch feine Ironie durchscheinen lässt.
Florian Fiedlers Regie findet bildmächtige Schlüssel zu diesem Text. So oft derzeit die Dauerpräsenz von Videos das Bühnengeschehen verwässert, hier charakterisieren die Kamera-Projektionen das Wesen der erzählten Welt. Zwischen bodentief herabhängenden Projektions-Folien (Bühne: Maria-Alice Bahra), die das Kammerspiel-Publikum in drei Perspektiven-Parteien teilen, sind wir beim Dreh dabei oder hocken im Schneideraum des Cutters Simon, überragend gespielt von Clemens Dönicke in der liebenswert-ironischen Verzweiflung, das Material vor dem manipulativen Mutwillen Nadjas zu schützen.
Erzählung mit doppelten Böden
Nah fühlt sich der Zuschauer am Dilemma: den Kronzeugen „opfern“, um der Welt eine große Enthüllungsgeschichte zu präsentieren – oder den Respekt vor dem Individuum siegen zu lassen, global folgenlos. Fiedlers Arbeit und das Stück halten diese Unentschiedenheit clever in der Schwebe. Nicht zuletzt, weil seine Regie Elisabeth Hoppes Nadja (sandfarbenes Abenteurer-Outfit, eine Prise Elly Beinhorn) in einen fast opernhaften Tragödinnen-Ton treibt, der das hohe Ansinnen auch als Motor einer hysterisch Erfolgsgetriebenen demaskiert.
Die knapp 90 pausenlosen Minuten – von Martin Engelbachs Live-Musik atmosphärisch klug durchwoben – verrinnen weitgehend spannend, nahbar, als dichte Erzählung. Gut, dass sie mehr als nur einen doppelten Boden hat.