Oberhausen. Im neuen Dachgarten auf dem Oberhausener Jobcenter arbeiten Forscher daran, Menschen in Städten besser mit Lebensmitteln versorgen zu können.
Er hat noch nicht einmal seinen Betrieb aufgenommen, dennoch sorgt der Dachgarten auf dem Jobcenter in der Innenstadt seit Monaten für Gesprächsstoff. Wissenschaftler aus ganz Deutschland blicken gebannt auf das Oberhausener Projekt, Stadt und Politik loben es bei öffentlichen Terminen. Doch vor allem die Kosten für das Projekt rufen auch Kritiker auf den Plan. Andere haben keine Vorstellung, was auf dem Dach des Jobcenters eigentlich genau geschieht. Der Altmarkt-Garten im Überblick:
Der Ort
Der etwa 1000 Quadratmeter große Garten entsteht auf dem Dach des neuen Jobcenters im Herzen der Oberhausener Innenstadt, direkt am Altmarkt. Das Gebäude ist fünfgeschossig und hat eine Gesamtfläche von rund 7000 Quadratmetern. Nach einer reinen Bauzeit von etwas über einem Jahr hat das Jobcenter den Betrieb im Dezember 2018 in der Oberhausener City aufgenommen. Der Dachgarten wird am 26. September offiziell eröffnet.
Die Kosten
Der komplette Bürokomplex hat insgesamt 32 Millionen Euro gekostet: 22,5 Millionen Euro das Bürogebäude, 4,6 Millionen Euro für die Sanierung des Parkhauses und noch einmal 4,6 Millionen Euro für das Dachgarten-Projekt. In diesen 4,6 Millionen Euro enthalten ist auch der Bau von Toilettenanlagen und Seminarräumen nicht auf dem Dach, sondern im Inneren des Verwaltungsgebäudes. Für den Dachgarten gab es Fördermittel in Höhe von 2,3 Millionen Euro.
„Investitionen in Forschung und Entwicklung zahlen sich langfristig für Gesellschaft und Wirtschaft aus“, sagt Volkmar Keuter, der als Leiter der Abteilung Photonik und Umwelt am Institut Fraunhofer Umsicht maßgeblich für die Forschungen im Dachgarten verantwortlich ist. Das belegen aus seiner Sicht auch die Ausgaben der Bundesregierung für den Bereich Forschung und Entwicklung: Um knapp 70 Prozent hat der Bund die Ausgaben in den vergangenen zehn Jahren gesteigert – auf 15,6 Milliarden Euro im Jahr 2016. Die Ausgaben lohnen sich laut Keuter. „Wir bringen nachhaltiges Wirtschaften, umweltschonende Technologien und umweltbewusstes Verhalten voran, um die Lebensqualität der Gesellschaft insgesamt zu verbessern.“
Das Besondere
Der Altmarkt-Garten ist kein einfaches Gewächshaus, in dem Salatköpfe und Gurken zum bloßen Verzehr angebaut werden. Das Oberhausener Forschungsinstitut wird einen Teil der Gewächshäuser als Labor nutzen. Die Wissenschaftler entwickeln Methoden zur nachhaltigen Produktion von Pflanzen. Warum? Der Klimawandel schreitet rasant voran, Ballungszentren werden immer dichter besiedelt und bebaut. Lebensmittel werden derzeit nicht oder nur selten in diesen Ballungszentren produziert, die Menschen sind auf die Versorgung von außerhalb angewiesen. Dabei legen immer mehr Menschen Wert auf die regionale Produktion ihrer Lebensmittel.
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Doch der Forschungsansatz von Fraunhofer Umsicht kann durchaus auch global gefasst werden: Klimawandel, Finanzmarktkrisen sowie die ungleiche Verteilung von Lebensmitteln weltweit sind Herausforderungen für alle Industrienationen. Neue Lösungen der Nahrungsmittelversorgung sind gefragt. So schreibt es das Institut in einer Broschüre zum Dachgarten.
„Um Städter nachhaltig mit frischen Lebensmitteln zu versorgen, müssen ortsnah neue Flächen für den Anbau von Obst und Gemüse erschlossen werden.“ Das Projekt von Fraunhofer Umsicht ist einmalig in Deutschland und kann zum Prototyp werden, denn bislang werden Dächer von Supermärkten, Industriegebäuden oder Bürokomplexen nicht oder nur selten für den Anbau von Lebensmitteln genutzt. Das kann sich dank des Oberhausener Forschungsprojektes ändern. Das Potenzial ist riesig: Laut Fraunhofer bieten Deutschlands Städte mehr als 360 Millionen Quadratmeter Dachfläche, die für den Anbau von Obst und Gemüse geeignet ist.
Die Forschung
Das Projekt läuft bei den Umsicht-Wissenschaftlern unter der Dachmarke „InFarming“. Es handelt sich dabei um ein ganzheitliches Konzept. Grundidee: Ein Gebäude wird agrarwirtschaftlich genutzt und stellt dabei alle nötigen Ressourcen selbst zur Verfügung: Energie, Wasser und Nährstoffe. Beispiele: Wärme aus dem Gebäude, die etwa durch die Computerserver oder das Belüftungssystem entsteht, wird genutzt, um die Pflanzen schneller wachsen zu lassen. Die klugen Köpfe wollen auch eine Methode entwickeln, um das Abwasser aus Waschbecken so aufzubereiten, dass sie die Pflanzen damit gießen können. Durch spezielle Beleuchtungssysteme soll das Wachstum der Pflanzen angeregt werden. Die Forscher verfolgen mehrere Ziele: höhere Erträge durch eine ganzjährige Produktion, höhere Pflanzenqualität und weniger Umweltbelastung durch den Verzicht auf chemische Dünger, weniger Transportkosten und Emissionen durch die Herstellung frischer Produkte vor Ort.
Die Belebung der Innenstadt
Forschung ist ein laufender Prozess
Das Dachgarten-Projekt ist in seiner Form einzigartig in Deutschland. Das bedeutet, dass viele Fragen erst während des laufenden Betriebes beantwortet werden können, etwa zu den angebauten Pflanzen oder zur Logistik. Forschung ist ein Prozess.
Auch Fort- und Weiterbildungen soll es im Jobcenter-Gewächshaus geben, dafür wurden eigens Seminarräume errichtet. Ebenso werden Führungen und Info-Veranstaltungen für Schulklassen und Bürger angeboten. Dafür werden derzeit noch Partner gesucht.
Mit dem Altmarktgarten soll etwas Neues und Lebendiges die Oberhausener Innenstadt rund um das südliche Ende der Marktstraße beleben und sowohl Geschäftsleute als auch Bürger in den Stadtteil zurückholen. Am Altmarkt sollen nicht nur Gurken und Erdbeeren sprießen, die Fraunhofer-Forscher verstehen das Gewächshaus als Keimzelle für Kultur und Innovation. Die Strahlkraft wird bereits vor der Eröffnung deutlich: So haben etwa Studenten der renomierten Bauhaus-Universität in Weimar bereits angekündigt, Möbel für das geplante Café zu entwerfen. Auf der Speisekarte dieses Cafés: Obst und Gemüse aus dem Dachgarten. Auch die Händler des Wochenmarktes sollen Salat, Basilikum und Co. verkaufen.