Oberhausen.. Der „Begriff „Oberhausener Manifest“ mag heute vielen nicht mehr bekannt. Vor 50 Jahren jedoch war es diese Initiative von 26 vorwiegend in München lebenden Kurzfilmern, die einen Ruck durch die deutsche Filmproduktion gehen ließ: frischer Wind gegen alten Muff.

Für Lars Henrik Gass (46), Leiter der Oberhausener Kurzfilmtage, ist es „das schwierigste Projekt, das ich jemals hier gemacht habe“. Und Gass hat schon viele Programme gestemmt, seit er 1997 das Traditionsfestival übernommen hat. Doch dieses „Oberhausener Manifest“ angemessen zu feiern, das im Februar vor 50 Jahren von einer Handvoll jungen Filmrebellen bei den 8. Kurzfilmtagen verkündet wurde, das erwies sich zeitweise als Kampf gegen Windmühlenflügel.

Alles beginnt schon damit, dass der eigentliche Festakt am 28. Februar weitab vom Ruhrgebiet in München stattfindet. Was sich erst bei näherem Hinsehen erschließt: Fast alle der 26 Unterzeichner des Manifests, in dem „Papas Kino“ für tot erklärt und der neue deutsche Spielfilm ausgerufen wurde, waren in München beheimatet. Nur zehn der Beteiligten leben noch, die wenigstens aber könnten die lange Reise nach Oberhausen antreten. Also werden rühmende Worte nun an der Isar gesprochen, wohin auch Gass und der Oberhausener Oberbürgermeister Klaus Wehling sich begeben werden.

Recherche extrem kompliziert

Am Ort des Geschehens selbst plant man bei den nächsten Kurzfilmtagen im April ein breites Themenprogramm mit Filmen möglichst aller damals am Manifest Beteiligter. Bei Namen wie Alexander Kluge, Edgar Reitz oder Peter Schamoni hat man da leichtes Spiel, aber wer kennt schon noch Haro Senft, Franz-Josef Spieker oder Hansjürgen Poland?

Die Recherche nach filmischen Hinterlassenschaften jedenfalls zog sich ein Jahr hin und gestaltete sich extrem kompliziert. Sowohl Archive wie auch Privatpersonen verweigerten selbst die Herausgabe von Filmen in katastrophalem Zustand, obwohl man deren Restaurierung angeboten hatte. Gass wird, wie er im Gespräch ankündigte, zu dieser „extrem engstirnigen Haltung“ beim Festakt in München etwas sagen.

Einfach für tot erklären

Schwierig war denn wohl auch teilweise der Umgang mit den überlebenden Unterzeichnern. „Viele von ihnen“, so Gass, „beanspruchen heute die Deutungshoheit über den Text des Manifests für sich.“ Dabei könnte man gemeinsam stolz auf die Tage von 1962 zurückblicken.

Denn das Selbstvertrauen, mit dem die 26 damals auftraten und den alten Film mit seinem Hang zu Heimatschnulzen, Sissi-Seligkeit und Wallace-Krimis einfach für tot erklärten, das zeigte tatsächlich Wirkung: Vier Jahre später kamen mit Alexander Kluges programmatisch betiteltem Film „Abschied von gestern“ und Ulrich Schamo-nis Abtreibungsfilm „Es“ die ersten Arbeiten des „Neuen deutschen Films“ in die Kinos.

Ein neues Manifest wäre nötig

Sicher, es hatte auch schon vor dem Manifest Regisseure wie Will Tremper oder Wolfgang Staudte gegeben, die abseits des reinen Unterhaltungskinos nach neuen Ausdrucksformen suchten. Und der kommende Kurzfilmtage-Schwerpunkt wird auch Arbeiten zeigen von anderen Einzelkämpfern an der Peripherie wie dem Kroaten Vlado Kristl oder dem Franzosen Jean-Marie Straub. „Das Manifest aber“, so Gass, „das war ein Katalysator.“ Es war getragen von dem Unbehagen, dass es nach dem Krieg in Deutschland keine filmische Erneuerung gegeben hatte wie etwa in England mit dem Free Cinema oder in Frankreich mit der Nouvelle vague.

Brauchen wir nach 50 Jahren vielleicht ein neues Manifest? Gass wäre nicht abgeneigt. Denn der Schulterschluss von Kino und Fernsehen, der einst von Produzent Günter Rohrbach proklamierte „amphibische Film“, hat für ihn nicht funktioniert. Er sieht als Ergebnis nur eine „ästhetische Nivellierung“, bei der die Spitzen systematisch gekappt würden und das Extrem nicht mehr möglich sei.