Oberhausen. Die Oberhausener Turbinenhalle hat ihr Konzept von Tanztempel auf Konzertstätte umgestellt - und lebt so als Groß-Disco weiter. Die kleineren Clubs setzen auf Stammkunden.

Viele der einst belebten Groß-Diskotheken im Ruhrgebiet verschwinden: Man könnte meinen, dass der Bewegungsdrang durch einen Tritt auf die Spaßbremsen gestoppt wurde. Zuletzt verabschiedete sich die Duisburger Großdiscothek Tentorium. Doch nicht immer scheint es an der Evolution des Ausgehverhaltens zu liegen, etwa durch immer später in der Nacht in den Tanztempeln eintreffenden Nachtschwärmern. Besucher klagten in manchen der größeren Hallen im Revier zuletzt über Anonymität, Billigangebote, fehlenden Charme.

Schließfächer ersetzen die Thekengarderobe

Das Schwinden der größeren Tanztempel ist die Chance der kunstvollen Kleinen. Auch sie kennen die Branchenprobleme, aber sie können mit deutlich weniger Besuchern ihr Profil stärken. Im Umfeld der Oberhausener Turbinenhalle hat etwa der Kulttempel ein treues Stammpublikum gefunden. „Depeche Mode Partys“ und intime Genre-Konzerte stehen hier auf der Liste. „Die Gäste wollen mehr familiären Charme“, sagt dessen Betreiber Peter Jurjahn.

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Ein ähnliches Bild gibt es im soziokulturellen Zentrum Altenberg. Einige Hundert Besucher sind es, die hier wöchentlich bei der „Adults Only Party“ für über 25 Jahre alte Ausgehfreunde an den Freitagen abzappeln — oder die „Düsterdisco“ am Donnerstag besuchen. Über Jahre hat sich hier ein Stammpublikum gefunden, das deutlich älter ist als die Social-Media-Generation. Wenn dann zwei Mal im Jahr der alte „Music Circus Ruhr“ mit bis zu 3500 Tänzer an einem Abend zur Retro-Disco lädt, meint man die Großraumdiscothekenwelt sei plötzlich wieder in Ordnung. Ein Trugbild!

Die Turbinenhalle in Oberhausen setzt im Kern auf Konzerte, Festivals und Partys - und fährt gut damit. Ü30-Partys und 70er-Jahre-Sausen stehen auch hier häufiger im Kalender. Der Strukturwandel auf den Tanzflächen geht weiter. Betreiber Michael Neumann hat sein Discogeschäft an den Wochenende umgebaut. Die Theken-Garderobe soll im „Steffy“ künftig durch Schließfächer ersetzt werden, in denen Jacken und Taschen verstaut werden können. Damit, so Neumann, sollen lange Schlangen verringert werden. Nerviges Warten verzeiht der Markt nicht mehr. Im großen Hallenbereich der Turbinenhalle gibt es bereits 3000 solcher Garderoben-Boxen für Konzerte und Festivals. Das Konzept funktioniere, sagt er. (dihei)

Evolution auf der Tanzfläche - Die Turbinenhalle trotzt dem Disco-Sterben 

Vor einigen Wochen haben sie bitterlich geweint. Tränen kullerten auf die Gänge der Turbinenhalle. Es wurde sich umarmt. Und doch war es kein Abschied an diesem Ort, an dem die Gutehoffnungshütte (GHH) vor mehr als 100 Jahren riesige Turbinen in Schwung setzte, um die benachbarte Eisenhütte mit Strom zu versorgen.

In dem umgebauten Koloss aus Stein und Stahlträgern, in dem sie in den 1990er-Jahren am Mythos der Großraumdisco werkelten, war es diesmal ein Wiedersehen. Dieser Hauch von damals fegte kürzlich bei einem Rave-Festival durch die Räume. „Wir hatten die Discjockeys von früher mit dabei. Leute wie Marusha. Viele kannten sich von damals“, erinnert sich Besitzer Michael Neumann an die Retro-Sause. Einige hatten sogar die für die Techno-Paradezeit typischen Neonstulpen an den Füßen. Gut, manches T-Shirts saß nun etwas enger.

Geschäft hat sich radikal verändert

Neumann muss schmunzeln. Dabei hat die Katerstimmung die Branche längst erfasst. Woche für Woche. Nacht für Nacht. Größer und immer weiter – das gibt es auf den Tanzflächen im Revier schon lange nicht mehr. Die Dinos wanken. Kürzlich baute das „Tentorium“-Musikzelt in Duisburg entnervt die Plane ab. Große Namen wie „Tarm Center“ in Bochum und „Mudia Art“ in Essen liegen auf dem Friedhof der Kuscheltänzer. Die Geschäfte laufen schlecht.

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Und die Turbinenhalle? Die 1993 zur Disco umfunktionierten Halle scheint trotzig dem negativen Trend entgehen zu können. Sie öffnet weiterhin an jedem Wochenende. Und hat mit der „Turbinenhalle 2“ vor drei Jahren sogar noch einen zusätzlich Raum für 1500 Tänzer geschaffen. Verkehrte Welt, der Trotz als Überlebenselixier?

Doch wer genau hinschaut, sieht, dass vom alten Programm nicht viel übrig ist. „Das Geschäft ist ein ganz anderes geworden“, diagnostiziert Hallen-Boss Neumann – obwohl die Leuchtreklame des „T-Clubs“ am Gemäuer immer noch die alte ist. Damals in den 90ern lockte der Club eine ganze Generation von Schülern sogar an Donnerstagen an.

Seit 2007 führt Neumann die Geschäfte. Er leitete hier den Strukturwandel ein. Schloss in der großen Haupthalle das Discogeschäft, in der früher Tausende überwiegend zur Elektro-Musik abtanzten. Und setzte dies in der kleineren Teilhalle „Steffy“ fort — bis heute.

Die Besucherzahlen im „Steffy“ schwankten anfangs stark – von 250 bis 1500. Mittlerweile habe sich das Geschäft zwar auf gutem Niveau stabilisiert. Doch es ist ein Kampf. Jedes Wochenende aufs Neue. „Heute reicht es eben nicht mehr aufzuschließen und zu sagen: Schaut, jetzt öffnen wir den Club!“, sagt Sam Yankson aus dem Turbinenhallen-Team.

Flirts gibt es heute per Mausklick

Dass jüngere Tanzflächenbesucher im Gegensatz zu früher einfach immer später ausgehen und so weniger verzehren würden, sei aber nur ein Grund für die massiven Probleme der Branche.

„Das Kennenlernen ist über Social Media im Internet doch viel einfacher geworden“, meint Yankson. „Früher musstest du noch rausgehen, um mit all deinen Kumpels quatschen zu können. Heute geht das per Mausklick.“ Statt schüchtern an der Tanzfläche herumzulungern, genüge für einen Flirt heute eine Nachricht bei „Whats App“ oder Tinder. Ohne Stammeln und Angstschweiß.

Der Markt sei zugleich deutlich kritischer geworden — und schnelllebiger. Ohne Partymotto und Extras laufe kaum noch was. „Wenn eine Party nicht ankommt, geht das in Minuten über Facebook rund“, berichtet Michael Neumann. Die Folge: Ein ständiges Auf und Ab an der Discokasse. Für die Kalkulation bei Geschäftsleuten ein Alptraum. Für Großraumdiskotheken mit hohen Fixkosten und viel Personal an einem Abend ist so etwas eben oft der Todesstoß.

Neumann geht einen anderen Weg. Den Großteil der für bis zu 5000 Besuchern ausgelegten Turbinenhalle nutzt er für Festivals und Konzerte. Das laufe gut. Zehn Prozent Steigerung gab es 2016. Es sind hundert Veranstaltungen pro Jahr, wohlbemerkt ohne die Discoabende am Wochenende. Die Asse im Ärmel der Turbinenhalle heißen „Punk im Pott“ oder „Ruhrpott Metal Meeting“. Kalkulierbare Einnahmen. Ein lohnendes Lebenselixier mitten im Discosterben.