Mülheim. Die Kommunalpolitik bekommt beim Mülheimer Stadtteil-Check schlechte Noten. Wir waren unterwegs in Saarn, wo die Bürger am zufriedensten sind.

3,74: Es ist die schlechteste Durchschnittsnote, die die Mülheimer beim Stadtteil-Check in einer Kategorie vergeben haben – für die Kommunalpolitik und Verwaltung. Liegt das an einer grundsätzlichen Unzufriedenheit? Oder herrscht einfach Politikverdrossenheit? Wir waren mit den beiden Jung-Politikern Ann-Kathrin Allekotte (Die Grünen) und Marcel Helmchen (CDU) in ihrem Wahlbezirk Saarn, der am besten abgeschnitten hat, unterwegs und haben mit ihnen darüber gesprochen, was im Süden von Mülheim besser läuft als in anderen Stadtteilen.

Mit 19 Stimmen und damit gerade einmal 0,76 Prozentpunkten Vorsprung hatte sich Marcel Helmchen bei der Kommunalwahl im September das Direktmandat für den Wahlbezirk Saarn-Zentrum vor Ann-Kathrin Allekotte gesichert. In den Rat einziehen werden aber beide, Allekotte über die Liste ihrer Partei. Sie ist zudem zur Bürgermeisterin ernannt worden. Die beiden gehören zu den jungen Neuen, vor allem Marcel Helmchen mit seinen 22 Jahren leitet zusammen mit seinem Parteikollegen Max Oesterwind die nächste Generation bei der CDU ein.

Mülheimer Jung-Politiker: Gespräch mit den Bürgern im Fokus

Schon 2015 ist er in die Junge Union eingetreten, war seit 2013 Mitglied des Jugendstadtrates, wollte „die Entscheidungen nicht anderen überlassen, nicht immer nur die Politiker reden lassen“. Er ist in Essen geboren, kurz darauf nach Saarn gezogen. Im Fokus steht für ihn das Gespräch mit den Bürgern – und er sieht auch das als eines der Erfolgsrezepte für den Stadtteil Saarn.

Vor etwa eineinhalb Jahren hat die CDU bereits eine Bürgerumfrage gemacht, ähnlich unserem Stadtteil-Check. Es ging um die Zufriedenheit im Stadtteil, um die Sauberkeit, den Zustand der Gehwege, die Einkaufsmöglichkeiten auf der Düsseldorfer Straße. Die CDU habe die Ergebnisse in ihr Wahlkampfprogramm einfließen lassen und will nun auch an regelmäßigen Bürgertreffs festhalten, um weiter im Gespräch mit den Saarnern zu bleiben. „Auch wenn das mit Corona nicht einfacher wird.“

Mülheim-Saarn als Quartier: „Trägt zum Gemeinschaftsgefühl bei“

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Für Ann-Kathrin Allekotte ist es vor allem der Quartier-Charakter, der den Saarnern gefällt, die eigene Dorfmitte. „Das trägt zum Gemeinschaftsgefühl bei“, sagt die 29-Jährige. Beim Spaziergang über die Düsseldorfer Straße ist es offensichtlich: Da reiht sich ein kleines Lädchen an das andere, viele Inhaber-geführte Geschäfte ziehen Stammkunden an und bieten Abwechslung von den Ketten der Innenstadt. „Als Saarner muss ich nicht in die Innenstadt“, sagt Marcel Helmchen, wo Ann-Kathrin Allekotte aber widerspricht: „Man kann vieles einkaufen, alles bekomme ich hier aber auch nicht.“

Doch die Infrastruktur ist gut, auch mit dem öffentlichen Nahverkehr sei der Stadtteil für Mülheimer Verhältnisse gut zu erreichen, zumindest „das Dorf“, der Kern Saarns. Problemchen gibt es hier natürlich trotzdem, die Parkplätze zum Beispiel; auch für Fahrräder fehlten Abstellplätze, so Allekotte.

Angebote für Jüngere und Familien fehlen in Saarn

Und es fehlten Angebote für jüngere Leute. Als zum Beispiel Steffis Kinderwelt schloss, ein Traditionsgeschäft, das über drei Jahrzehnte lang an der Düsseldorfer Straße Familien mit Spielzeug und Kinderkleidung erfreute, folgte ein Modegeschäft, das eher ältere Kunden anzieht. Gemeinsam mit der Werbegemeinschaft müsse die Politik helfen, die Mischung zu erhalten, das Angebot auch für Familien aufrechtzuerhalten. Ann-Kathrin Allekotte schwebt ein großer Abenteuerspielplatz vor, wie es ihn früher einmal gegeben hat, und der auch Familien aus den Nachbarstadtteilen oder gar -städten anzieht.

Die Düsseldorfer Straße in Saarn: viele Einzelhändler, wenie Parkplätze.
Die Düsseldorfer Straße in Saarn: viele Einzelhändler, wenie Parkplätze. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Düsseldorfer Institut für Medien- und Kulturwissenschaften ist in Holthausen aufgewachsen, ging aber zur Saarnbergschule und hat ihre Freizeit immer in Saarn verbracht. Mit 23 Jahren ist sie in die Grüne Jugend eingetreten. „Zu den Grünen zu gehen, erschien mir logisch“, sagt Allekotte. Der Klimaschutz habe ihr schon am Herzen gelegen, bevor er in aller Munde war. „Die Erde ist unsere Basis“, sagt sie.

Junge Politiker: „Gibt keine unsichtbaren Wände“

Ob sie auf Vorbehalte der „Älteren“ stoßen? Nein, sagt Ann-Kathrin Allekotte, sei doch die Grünen-Ratsfraktion ohnehin gut gemischt in Alter und Geschlecht. „Nur Neue einzusetzen, die keine Erfahrung haben, würde keinen Sinn machen.“ Die Grünen haben ihre Sitze im Rat mit der Kommunalwahl mehr als verdoppelt – von fünf auf 13. Die bisherigen Ratsmitglieder behalten ihre Sitze, acht neue kommen hinzu. „Der frische Wind tut gut“, sagt Allekotte.

Auch Marcel Helmchen, der derzeit seinen Master in Politikwissenschaft absolviert, plädiert für die Mischung aus Jung und Alt, ist froh, dass nun mit ihm und Max Oesterwind zwei Mitglieder der Jungen Union im Rat sitzen. Er selbst ist Vorsitzender der jungen Christdemokraten in Mülheim. „Es gibt keine unsichtbaren Wände, vor die wir laufen.“

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Geht es um die Arbeit im Rat, treten die Beiden nicht mehr nur für ihr Quartier ein, sondern für das gesamte Stadtgebiet mit all seinen Problemen, die im beschaulichen Saarn mit seiner bürgerlichen Bevölkerung, den vielen Grünflächen und dem funktionierenden Einzelhandel eher unbekannt sind. Da ist die Innenstadt, die laut Helmchen „null Sogfaktor“ hat. Die unzureichende Wirtschaftsförderung, an deren Neugestaltung der 22-Jährige im Wirtschaftsausschuss mitwirken will.

Die Kultur in Mülheim sichtbarer machen

Für Ann-Katrin Allekotte, die dem Sport- und Kulturausschuss angehören wird, steht die Sichtbarkeit der hiesigen Kultur im Fokus. „Mülheim ist eine Theaterstadt“, sagt die 29-Jährige. „Das müssen wir sichtbarer machen.“

Motiviert sind sie beide, neuen Schwung in die Mülheimer Politik zu bringen – auch wenn schon jetzt, ohne die intensive Arbeit im Rat und in den Ausschüssen, das politische Ehrenamt viel Zeit in Anspruch nimmt. „Aber je mehr Lust man hat, desto mehr ist man bereit, Zeit damit zu verbringen“, sagt Ann-Katrin Allekotte. „Wenn alle motiviert sind, machen alle ein bisschen mehr.“

Mintard und Eppinghofen: Zwei gegensätzliche Stadtteile mit den schlechtesten Noten

Während Saarn in der Kategorie Kommunalpolitik und Verwaltung mit einer Durchschnittsnote von 2,76 das beste Zeugnis ausgestellt bekommt, liegt das benachbarte Mintard ganz hinten mit einer 4,53. Und das ist in dem Viertel im Süden der Stadt nicht einmal die schlechteste Note: Während die Mintarder ihrem Stadtteil eine zwei plus als Gesamtnote geben (1,89) – und damit eine der besten der Stadt –, gibt es doch zahlreiche Kategorien, in denen die Bewertung negativ ausfällt.

Beim Einkaufen geben die Mintarder sogar eine sechs (5,89), schließlich gibt es in Mintard praktisch keinen Einzelhandel mehr. Auch der ÖPNV (5,63) und die medizinische Versorgung (5,32) kommen schlecht weg. Mit dem öffentlichen Nahverkehr können die Mintarder nur einmal stündlich ihren Stadtteil verlassen, erreichen nur mit Umsteigen den Hauptbahnhof. Und für den Arztbesuch müssen sie entweder über die Stadtgrenze nach Ratingen oder Essen-Kettwig fahren oder ins benachbarte Saarn. Entsprechend schlecht schneidet auch die Seniorenfreundlichkeit ab (4,47).

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Kommunalpolitik auch in Essen, Oberhausen und Duisburg schlecht bewertet

Auch in Eppinghofen bekommt die Kommunalpolitik schlechte Noten, einem Stadtteil mit gänzlich anderer Struktur. Gegenüber dem dünn besiedelte Mintard mit rund 700 Einwohnern ist Eppinghofen dicht bebaut. Der Anteil der Bewohner mit Migrationshintergrund liegt laut städtischer Statistik bei 50,2 Prozent.

In Eppinghofen sind es vor allem die Sauberkeit (5,07), das Freizeitangebot (4,4) und das Gemeinschaftsgefühl (4,3), die schlecht abschneiden – alles Kategorien, die in Mintard gute Noten bekommen.

Auch in den Nachbarstädten ist die Kommunalpolitik die Kategorie, in der die Teilnehmer des Stadtteil-Checks die schlechtesten Noten vergeben haben: In Essen gab es im Schnitt eine 3,56, in Duisburg eine glatte ausreichend (4,0) und in Oberhausen eine 3,74.