Mülheim. Immer mehr Kinder brauchen ein neues Zuhause. Derzeit sind in Mülheim 120 Kinder dauerhaft in 97 Pflegefamilien untergebracht. Die Initiative Mülheimer Pflege- und Adoptiveltern informiert regelmäßig und berichtet aus der Praxis. Die Stadt unterstützt die Eltern dabei und bietet Förder-Angebote.
Wenn die leiblichen Eltern überfordert sind und ein Kind die Familie verlassen muss, braucht es Menschen, die sich kümmern und Sicherheit in einem neuen Zuhause schenken. Doch bringt ein Pflegekind auch immer besondere Anforderungen mit. „Rucksack“, nennt das Gerburg Sommer, die selbst Mutter dreier Pflegekinder ist. Gemeinsam mit ca. 45 anderen Familien engagiert sie sich in der „Initiative Mülheimer Pflege- und Adoptiveltern“. Nun suchen sie Verstärkung – denn immer mehr Kinder brauchen neue Eltern.
In den Räumen der Theodor-Fliedner-Stiftung in Selbeck treffen sich die Eltern einmal im Monat. Um sich auszutauschen, zu unterstützen oder um Interessierten aus ihrer Erfahrung mit dem Thema Pflege und Adoption zu berichten. Dort sitzen die fröhlichen Frauen auch an diesem Donnerstag in lockerer Runde, mit Kaffee, Wasser und Keksen auf dem Tisch. Gerburg Sommer ist bereits seit einigen Jahren bei der Initiative, die vor 15 Jahren ins Leben gerufen wurde.
"Bleibt das Kind bei uns?"
„Etwa ein Jahr bevor unser Sohn zu uns kam, bin ich dazu gestoßen“, berichtet sie. Anfangs ging es ihr darum, mehr über das Thema zu erfahren. „Ich wollte wissen, was es bedeutet, ein Pflegekind aufzunehmen“, erklärt sie. Schließlich gebe es am Anfang viele Fragen zu klären – und genauso viele Hemmungen und Ängste abzubauen. „Die erste Frage lautet meist: Bleibt das Kind bei uns?“, sagt Gerburg Sommer. Oder: Wie offen darf ich mit dem Amt sprechen? Darf ich Wünsche äußern? „Wir raten immer, so offen wie möglich mit den Behörden zu reden. Nur so passt es am Ende – auf beiden Seiten.“
Die Gruppe ist unabhängig
Die Initiative ist selbstständig und unabhängig. „Alles, was hier besprochen wird, bleibt in der Gruppe“, sagt Gerburg Sommer. Dennoch arbeite sie eng mit Pflegekinderdienst, Adoptionsvermittlungsstelle und anderen Institutionen zusammen.
Die Stadt unterstützt die Initiative durch Kontakte, Finanzierung von Referenten, Beratung und Fortbildung. Das nächste Treffen findet am Donnerstag, 25. September, um 20 Uhr an der Kölner Str. 290 statt. Kontakt: gerburg.sommer1@freenet.de
Natürlich gehe es aber auch darum, ein realistisches Bild zu vermitteln. „Jedes Kind bringt einen Rucksack mit Problemen mit in die Familie“, bestätigen die Mütter in der Runde. „Aber jedes Kind verarbeitet seine Geschichte anders“, sagen sie. Manche Kinder brauchen therapeutische Unterstützung, andere verpacken das Erlebte ohne Auffälligkeiten. Und dann sind da noch die leiblichen Eltern, mit denen man sich auseinandersetzen muss. „Auch das klappt mal gut oder weniger gut“, wissen sie. Geschieht aber immer in Begleitung mit den Sozialen Diensten.
Ein Kind am Familienglück teilhaben lassen
Mit in der Runde sitzt auch ein Paar, das gerne, neben ihrem leiblichen Sohn, ein weiteres Kind in Pflege nehmen würde. „Wir können uns gut vorstellen, ein Kind an unserem Familienglück teilhaben zu lassen und dieses Glück dadurch noch zu vergrößern.“ Bei der Adoptionsvermittlungsstelle haben sie sich bereits informiert, nun wollen sie hören, was Eltern aus der Praxis berichten. „Wie wird die Trennung von der leiblichen Mutter verarbeitet?“ Oder: „Welche Rechte hat man als Pflegeeltern eigentlich?“ Eine der Mütter berichtet aus dem Alltag: „Wir können genauso agieren wie bei einem leiblichen Kind.“ Auch wenn die leibliche Mutter einer Adoption nicht zustimme, habe die Familie in der Dauerpflege ausreichend Mitspracherecht.
Bei allen möglichen Päckchen, die die Kinder mit sich tragen können, sind sich doch alle am Tisch einig: Man wachse mit der Aufgabe. Nicht nur, weil es finanzielle wie psychologische Hilfestellung gibt, sondern „weil das Kind einem unglaublich viel zurück gibt“, fasst Gerburg Sommer zusammen: „Damit gibt man nicht nur dem Kind, sondern auch sich selbst eine Chance auf Familienglück.“
Stadt berät und begleitet Eltern
Beim Kommunalen Sozialen Dienst der Stadt begleiten die Mitarbeiter Eltern und beraten bei Interesse an einer Pflegelternschaft. „Wir unterscheiden zwei Bereiche“, sagt Mitarbeiterin Sarah Bernstein. „Die Bereitschaftspflege und die Langzeitpflege.“ In die Bereitschaftspflege kommen Kinder und Jugendliche, die akut aus Familien geholt werden und auf Weitervermittlung warten. Elf Familien kümmern sich derzeit um 25 Kinder in der Bereitschaft.
Auch wenn das Level, ab wann Kinder aus einer überforderten Familie genommen werden können, hoch sei, würden die Fallzahlen landesweit steigen. „Weil auch die Zahl der auffälligen Kinder steigt, die eine anspruchsvolle Betreuung brauchen.“ Daher seien die Bereitschaftsfamilien stets ausgelastet. Ohnehin: eine anspruchsvolle Aufgabe. „Die Eltern fangen die akuten Krisen der Kinder auf“, erklärt Bernstein.
Und auch in der Langzeitpflege werden stets Eltern gesucht. 97 Dauerpflegefamilien betreuen zur Zeit 120 Kinder.
Sarah Bernstein und ihre Kollegen führen intensive Gespräche und beraten gerne Interessierte über Voraussetzungen und Procedere: 455 5128, 455 5176.