Mülheim. Die Müllers sind Eltern von vier Adoptiv-, beziehungsweise Pflegekindern. Eigene Kinder konnten die Eheleute nicht bekommen, also entschlossen sie sich, elternlosen Kindern die Chance zu geben, in einer intakten Familie aufzuwachsen. Allein in Mülheim gibt es insgesamt 132 Pflegefamilien.

Lilly, die genau wie ihre Geschwister eigentlich anders heißt, aber nicht zu erkennen sein soll, sitzt auf ihrem Hochstuhl und pult ganz konzentriert die Folie von ihrem Überraschungsei. Gar nicht so einfach für eine Dreijährige. Ihre Eltern beobachten die Kleine dabei und müssen lächeln. Vater Christian sagt, ohne die Augen von Lilly zu wenden: „In gewisser Weise ist sie ja selbst so etwas wie ein Überraschungsei.“

Jedes Kind mit eigener Geschichte

Diese lustig-liebevolle Umschreibung gilt für alle vier Kinder der Müllers, denn sie sind allesamt angenommen – Pflege- bzw. Adoptivkinder. Was Christian Müller mit Überraschungsei meint, erklärt seine Frau Carmen so: „Jedes Kind bringt seine eigene Geschichte mit. Das darf man nie aus den Augen verlieren.“ Die Startchancen ins Leben für die kleine Lilly, den großen Leo, der schon zehn Jahre alt ist, für die dunkelhaarige Charlotte (8) und für den sechsjährigen Nico waren nicht eben ideal, als sie auf die Welt kamen.

Ihre Mütter waren sich dessen bewusst und gaben ihre Kinder frei, zunächst zur Dauerpflege. „Das war von jeder der Mütter eine sehr verantwortungsvolle Entscheidung, die man anerkennen muss“, sagt Carmen Müller. Sie kennt die „Bauchmütter“ ihrer Kinder, wie die leiblichen Mütter bei den Müllers heißen, bei zweien der Kinder gibt es regelmäßige Kontakte zu den Bauchmüttern. „Das ist ein nettes Verhältnis“, beschreibt Carmen Müller und betont, dass niemand Groll hege gegen die leiblichen Eltern.

Turbulenter Alltag

„Eigentlich ist das bei uns nie ein großes Thema“, sagt Carmen Müller – und man glaubt es ihr aufs Wort. Bei einer Familie mit vier Kindern plus Hund, großem Haus und Teilzeitjob scheint der ganz normale Alltag schon turbulent genug. Trotzdem, betont die 41-Jährige, gehe die Familie immer offen mit ihrer ganz besonderen Konstellation um. „Wir haben den Kindern von vornherein erklärt, dass sie nicht aus meinem Bauch stammen.“ Jedes Müller-Kind hat eine „Herkunftsbox“, um das aufzubewahren, was es an dem Tag trug, als Carmen und Christian es abholten. Dass sie heute zu sechst sind, hätten sich Carmen und Christian Müller vorher nicht träumen lassen. Nach der Heirat dachten sie an ein eigenes Kind und ja, auch die Idee, eines zu adoptieren, spukte da schon in ihren Köpfen.

Schließlich wuchs Carmen selbst als Adoptivkind auf und ist ihren Eltern dankbar für die schöne Kindheit. Dass es mit dem eigenen, dem leiblichen Kind nicht klappen würde, das fanden bald die Ärzte heraus. Also zogen die Müllers los und erkundigten sich – wie können wir trotzdem eine Familie werden? „Wir mussten erstmal für uns entscheiden, was uns wichtig war“, berichtet Christian Müller, dabei spielte auch der Unterschied zwischen Adoptiv- und Pflegefamilie eine Rolle.

Eines kam direkt aus dem Kreißsaal

Und dann ging alles ganz schnell. „Freitags hatten wir uns erkundigt und entschieden, auch ein Pflegekind aufzunehmen – und am Montag drauf kam schon der Anruf“, erzählt Carmen Müller und muss selbst lachen über ihre beinahe unglaubliche Geschichte. Sie ging also zu ihrem Chef und sagte: Ich bekomme ein Kind – und zwar in wenigen Tagen. Dann war er auch schon da: Leo, damals etwa fünf Monate alt – plötzlich Eltern, aber glücklich. Und weil alles so gut lief, sollte bald ein zweites Kind ins Haus kommen: Charlotte.

Carmen Müller erinnert sich: „Sie haben wir direkt vom Kreißsaal abgeholt.“ Und so kam eines zum andern, heute sind es vier – wie die Blätter eines Glücksklees. Dass dieses Pflänzchen irgendwann zerrissen wird, weil die Kinder zurück sollen zu ihren leiblichen Eltern, das haben die Müllers nicht auf dem Plan. Sie streben jetzt zunächst die Namensänderung für die Kinder an und langfristig sei auch die Adoption wünschenswert. Dass sie – gerade als Pflegefamilie – eng mit dem Jugendamt kooperieren müssen, sehen die Müllers nicht als Nachteil. Im Gegenteil, man habe immer kompetente Ansprechpartner, die eine prima Beratung böten, wenn das nötig sei. Gleichwohl sagt Carmen Müller: „Man lebt sein Familienleben ein Stück weit öffentlich.“ Für die Müllers kein Problem, warum auch, fragt Mama Carmen und sagt: „Wir haben doch nichts zu verbergen.“

Ingesamt 165 Pflegekinder in 132 Familien

Aktuell leben in Mülheim insgesamt 165 Kinder in 132 Pflegefamilien, berichtet Franz Mantau vom Kommunalen Sozialen Dienst (KSD) und führt aus: „Weitere fünf oder sechs Kinder warten zurzeit noch auf eine geeignete Familie.“ Bei der Unterbringung von Kindern, die nicht bei ihren leiblichen Eltern leben können, gibt es unterschiedliche Möglichkeiten: In der familiären Bereitschaftsbetreuung werden Kinder in Notlagen zeitlich befristet versorgt. Eine Vollzeitpflege kommt dann in Betracht, wenn eine Eltern-Kind-Bindung zu den Pflegeeltern das Ziel ist. Die Adoption wird eingeleitet, wenn feststeht, dass keine Beteiligung der leiblichen Eltern in der Entwicklung des Kindes möglich ist. Kontakt: Tel. 455-5176 und  455-5128

Um weitere Menschen für das Leben als Pflegefamilie zu begeistern, veranstaltet die Ev. Familienbildungsstätte (FBS), Scharpenberg 1b, am 17. Januar von 15 bis 17 Uhr einen unverbindlichen Infonachmittag, an dem Pflegefamilien von ihren Erfahrungen berichten. Natürlich sind auch die Müllers sind dabei.

Anmeldungen nimmt Barbara Cronau von der FBS ab 8. Januar unter Tel. 3003 333 entgegen.