Mülheim. Der Theologiestudent Johannes Mendel starb jung bei einem Sturmangriff. Seine Schilderungen des Ersten Weltkrieges waren seinerzeit in der Mülheimer Zeitung zu lesen. Sein Neffe, der Styrumer Hans-Dierk Pade, hält die Schilderungen seines Onkels bis heute in Ehren.

„Am 15. 1. 15 war es, als wir Feldgrauen vom 3. Rekruten-Depot um halb 3 Uhr auf dem Schulhofe des Gymnasiums antraten. Blumengeschmückt und unter Fahnenwehen stand die kleine feldgraue Mauer da, zum letzten Male dem heimatlichen Boden Ade! sagend und den Lieben von Daheim. [...] Nach einer Ansprache [...] marschierten wir dann mit Trompetenschall und den alten heiligen Vaterlandsliedern zum Tore hinaus noch einmal durch das geliebte Mülheim. Sah ich es wirklich zum letzten Male? Heute weiß ich es noch nicht.“

Mit diesen Worten – markig, und doch ängstlich – beginnen die „Erlebnisse eines Mülheimer Kriegsfreiwilligen“, veröffentlicht im Jahr 1915 in der Mülheimer Zeitung.

Aufgeschrieben hat sie Johannes Mendel, gebürtiger Mülheimer und junger Theologiestudent in Marburg. Mit „Darmkatarrh und Fieber“ hatte er im Frühjahr 1915 vorübergehend die Front verlassen dürfen, und so konnte er im Kriegslazarett von Douai zur Feder greifen. In der Zeitung erschienen seine Aufzeichnungen in sechs umfangreichen Teilen. Johannes Mendel war präziser Beobachter des Geschehens, nicht allzu kritisch, in Teilen aber schonungslos.

„Heldentod“ erlitten als 20-Jähriger

Zu weiteren Kapiteln kam es jedoch nicht mehr. Kurz nach Verfassen des letzten Teils fiel auch Mendel dem unbarmherzigen Schlachten zum Opfer. Seine dunkle Ahnung, er könne die geliebte Heimat womöglich nie wiedersehen, bewahrheitete sich. In der Todesanzeige hieß es: „Bei einem Sturmangriffe erlitt am 22. Mai 1915 den Heldentod unser einziger, geliebter Sohn und Bruder im eben vollendeten 20. Lebensjahr.“

Unterzeichner waren Vater Wilhelm Mendel, Lehrer an der Bruchstraße, Mutter Marie Mendel sowie Schwester Hildegard Mendel, damals gerade 15 Jahre alt. Jahrzehnte später brachte diese Hildegard einen Sohn zur Welt: Hans-Dierk Pade. Der Styrumer, heute selbst schon 75 Jahre alt, hält die Schilderungen des ihm unbekannten Onkels in Ehren, hat Fotokopien der Erinnerungen im Wandschrank.

Grab wurde nie gefunden

Es ist wenig, was er ansonsten weiß von diesem nahen Verwandten. Die Großeltern starben früh, und die Mutter „hat fast nie über ihn gesprochen“. Nicht einmal das Grab habe man gefunden, als man sich in Frankreich auf die Suche machte, bedauert Pade.

Die Schilderungen geben Aufschluss zumindest über die letzten, traurigen Monate des Onkels. Dezidiert beschreibt dieser, was ihm widerfuhr, was er mit ansehen musste: „Zuweilen schoss ich auf dunkle, menschenähnliche Gegenstände, die sich bei scharfer Betrachtung als Zaunpfähle entpuppten. [...] Einige von uns standen an den Scharten, die anderen im Graben. [...] Da plötzlich, U. L. und ich standen dabei, fällt unser Kamerad S., der gerade das Gewehr abgedrückt hatte, nach hinten und blieb im Graben blutüberströmt liegen. [...] Es war der erste Tote, den ich in meinem Leben sah.“

Es war nicht der letzte, wird einige Seiten später deutlich: „Da stieg der Feldwebel, der an Stelle unseres Leutnants die Kompagnie übernommen hatte, die Sturmleiter herauf. Mitten im Feuer stand er da mit verstörtem Gesicht, und die Tränen liefen ihm über die Wangen, denn viele Kameraden, die vorher gestürmt hatten, lagen da vorne tot und verwundet.“

Kurz darauf sollte auch Johannes Mendel sterben – und eine weitere Mülheimer Familie großen Kummer erleiden.