Mülheim. . Auftaktaktion zur „Theatertour 54. Stadt“ im Ringlokschuppen: Autor Jörg Albrecht fasziniert mit eindringlichem Prolog. Spektakuläre Musik von Nordholt/Langer umrahmt die Wortbeiträge.
Am Samstagabend wurde im Ringlokschuppen eine Stadt gegründet, wurden alle 53 Revierstädte zu einer einzigen vereint. Keine Statuten wurden aufgestellt, keine Ruhr-Hymne war zu hören. Dafür fiel der „Startschuss für die heiße Phase der Theatertour 54. Stadt“.
Gelesen wurde dann allerdings doch: Jörg Albrecht faszinierte mit seiner Vision vom Ruhrgebiet im Jahre 2044 aus seinem neuen Roman »Anarchie in Ruhrstadt«.
Eindringlich zog er mit seinem inszenierten Prolog die Zuhörer in seine Zukunftsvision. Im Stehen lesend, nutzte er gleich vier Mikrofone zur vielseitigen Veranschaulichung. Im Parforceritt hetzte er zu den verschiedenen Orten des Geschehens: Mal nach Westen für Camp-Lintfort (mit knödelndem Ä, wie es die Texaner zelebrieren), wo die zukünftigen Schriftsteller die idyllische Ruhe und Abgeschiedenheit ohne Zuganbindung verteidigen. Mal nach Osten für Hamm, wo ein Reunion-Konzert der Band Prestine stattfindet, die mit ihrem Song »I’ll Make My Way« wunderbar an Frank Sinatras berühmten New York Song anknüpft. Albrechts Kopf schnellte dementsprechend von rechts nach links, verwendete das rückwärtige Mikrofon zu Dokumentationszwecken.
Lesegeschwindigkeit atemberaubend
Die Lesegeschwindigkeit raubte den Zuhörern den Atem: Eigentümlich hastete Albrecht mit unvermuteten Pausen und erhobener Sprachmelodie am Ende eines Abschnitts durch den Text, erzeugte knisternde Spannung und schnelle Lacher.
Ramus Nordholt und Carsten Langer lieferten mit einem Musikstück des zeitgenössischen Komponisten Dimitri Terzakis einen spektakulären musikalischen Rahmen, der Rest der Veranstaltung allerdings ließ viele der knapp 90 Zuschauer betreten zurück. Zur lapidaren Moderation von Holger Bergmann gesellte sich leutselig Peter Carp. Dessen Darstellung vom Ruhrgebiet als einer Retro-Welt, in der Veränderung nur als Verschlechterung gelte, machte betroffen.
Visionen der Künstler
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Wohltuend ehrlich gestand Lars Henrik Gass (Oberhausener Kurzfilmtage), allmählich genug zu haben davon, ständig kreativ sein zu müssen. Der Akt der Stadtgründung lief genau darauf hinaus: Abgeschieden am Rand Obst schnibbeln, mit Pappbechern, Zahnstochern und Fotokarton in Kindergarten-Manier dem Modellbau frönen und Sonnenblumen eintopfen. Wenn Künstler Visionen entwickeln, so ist das zutiefst subjektiv. Sowohl Zusammenbruch (Dystropie) als auch idealistisches Wunschbild (Utopie) ist möglich.
Sollte das samstagabendliche Schlussbild der Gipfel der Veranstalter-Visionen sein, lebt es sich in der Realität doch einfach wunderbar.