Mülheim. . Dr. Franziska Mentzel liebt das Fliegen und sie liebt ihre Arbeit als Ärztin. Wo also hätte sie sich besser eine Praxis einrichten können, als auf dem Mülheimer Flughafen... Mentzel untersucht dort Piloten auf ihre Flugtauglichkeit hin. Und schwebt von Zeit zu Zeit selbst per Flieger zur Arbeit ein.
Der Traum vom Fliegen hat das Leben von Dr. Franziska Mentzel von jeher bestimmt. Sie kommt aus einer Familie mit langer Fliegertradition, in der selbst die aus dem 19. Jahrhundert stammende Großmutter bereits Pilotin war, erzählt die 53-Jährige. „Und schon zu Kinderzeiten habe ich auf ein Flugzeug gespart.“ Dass Mentzel Fliegerärztin wurde und sich vor zweieinhalb Jahren eine Praxis im Tower des Mülheimer Flughafens einrichtete, verwundert von daher wenig. Im kleinen Arztzimmer im Gebäude an der Brunshofstraße testet sie seitdem Piloten, Flugbegleiter und Ballonfahrer auf ihre Flugtauglichkeit hin.
Montag, 13 Uhr: Bettina Schulte-Kehler (52) muss sich nach zwei Jahren wieder einmal durchchecken lassen – und zwar gründlich, „also von Hacke bis Nacke“, wie Mentzel sagt. 1999 war Schulte-Kehler erstmals in die Luft gegangen, nach 65 Flugstunden, Theorie- und Praxisprüfung sowie der ärztlichen Untersuchung. Ob die Essenerin ihren Flugschein behalten und weiter abheben darf, hängt nun wesentlich von Mentzels Urteil ab. „Mein Job ist es, mir ein Bild davon zu machen, ob der Pilot körperlich und geistig in der Lage ist, sicher ein Flugzeug zu führen. Es geht um Eigen-, aber auch um Fremdgefährdung. Wenn ein Pilot runterfällt, ist das ja auch für andere schlecht. . .“
Seh- und Hörtests gehören zum Standardprogramm
Seh- und Hörtests gehören zum Standardprogramm in der Fliegerärztlichen Untersuchungsstelle, genau wie ein Lungenfunktionstest. Blut und Urin werden untersucht, der Blutdruck wird gemessen. Und ab dem 40. Lebensjahr wird auch ein EKG durchgeführt. Je älter die Probanden sind, desto häufiger müssen sie sich Mentzels kritischen Blicken unterziehen: „Bis zum 40. Lebensjahr müssen Sportpiloten alle fünf Jahre kommen, danach sind sie häufiger dran.“ Für Berufspiloten sind die Voraussetzungen deutlich strenger: Einmal jährlich haben sie sich durchchecken zu lassen.
Bettina Schulte-Kehler bekommt an diesem Tag eine Eins – „sie ist topfit“, lobt Medizinerin Mentzel. Heißt: Die Pilotin darf weiterhin guten Gewissens starten und gemeinsam mit ihrem Mann „dieses schöne Gefühl, die Freiheit, die Offenheit und die Weite“ aus dem eigenen Flieger – einer Piper 28 – genießen.
„Ich wusste, dass ich eines Tages in Berlin-Tempelhof lande“
Franziska Mentzel weiß, wovon ihre Patientin spricht, gerät ähnlich schnell ins Schwärmen. Und erzählt dann von früher, als sie mit der Familie fast jedes Wochenende in Sachen Fliegerei unterwegs war. Dafür nahmen die Eltern und die vier Kinder eine Menge auf sich: „Wir wohnten in West-Berlin und weil man dort zu DDR-Zeiten nicht einfach abheben konnte, sind wir immer mit einem alten Kombi nach Westdeutschland gefahren, um dort fliegen zu können.“ Lange, lange, bevor die Mauer fiel, sei sie sich übrigens sicher gewesen, „dass ich eines Tages in Berlin-Tempelhof landen kann“. Viele, viele Jahre später kam es dann tatsächlich so, welch Glück.
Generell gilt die Regel: „Keep them flying“
Europa hat sich auch in die Arbeit von Dr. Mentzel eingeschlichen: Seit 2013 geben die „EASA-Richtlinien“ vor, was relevant ist in puncto Flugtauglichkeit. Generell gelte die Regel „Keep them flying“, also „Tue alles, damit die Piloten weiterfliegen können“. Man versuche, Krankheiten früh zu behandeln.
Fluguntauglich sind etwa Menschen mit Epilepsie oder Schlaganfall-Geschichten – „man hat ja Angst, dass es wieder passiert“.
Apropos Tempelhof: Der Mülheimer Flughafen, und vor allem dessen Eingangshalle, erinnere sie etwas an den altehrwürdigen Berliner Flughafen. „Der 50er-Jahre-Charme ist der gleiche“, sagt sie und grinst. Für Mentzel ist mit der Praxis auf dem Flughafen ein Traum wahr geworden; von Zeit zu Zeit schwebt sie sogar per Flieger ein. Leben allerdings könne sie nicht von den paar Piloten, die vorbeischauen, sagt die zweifache Mutter. Deshalb verbringt sie 90 Prozent ihres Arzt-Daseins in Duisburg, als Arbeitsmedizinerin beim Betriebsärztlichen Dienst. Die Praxis im Tower „ist sozusagen mein Jodelkurs“ – etwas, dass sie sich gegönnt hat, weil sie schon immer aufs Fliegen flog.