Mülheim. Jan Gerdes betreibt einen „Agrarservice“ am Kolkerhofweg in Mülheim und kennt sich aus mit Baggern, Lastern und Radladern. So wurde er zum gefragten Helfer nach dem Sturm. Sein Fazit? „Es war schön, die Erleichterung der Menschen zu spüren.“ Zum Dank gab’s Kaffee, Süßes – und nette Gespräche.
Tag zwei nach dem Megasturm endet für Jan Gerdes mit einem kräftigen Schluck aus einer Flasche Radler und einer Zigarette. „Das habe ich mir jetzt verdient“, sagt der 27-Jährige, der kurz vor Mitternacht auf einer kleinen Mauer an der Bismarckstraße sitzt. Rund 50 Stunden ist es her, dass ein katastrophales Unwetter in gerade mal 30 Minuten fast den halben Mülheimer Baumbestand zerstört hat. Jan Gerdes hat seitdem fünf, sechs Stunden geschlafen, mehr nicht, und in der restlichen Zeit hat er vor allem eines getan: Er hat mit angepackt.
Der Ostfriese, der seit acht Jahren in Mülheim lebt, betreibt einen „Agrarservice“ am Kolkerhofweg. Kurz vor dem Sturm hatte er mit der Familie am Ruhrufer gegrillt und als das Drama losging, habe man sich zu sechst unters Dach eines Radladers gezwängt. Mit diesem war die Familie Stunden zuvor zum lustigen Pfingstausflug gestartet. Jetzt aber war der Spaß mit einem Schlag vorbei. Und schon fragte die Feuerwehr an, ob Gerdes „schweres Gerät“ habe, also Fahrzeuge, mit denen man umgekippte Baumriesen beseitigen kann. Er hatte: Mit zwei Baggern, einem Trecker, einem Kipplaster, dem Radlader und fünf Kollegen griff er kurz darauf ins Geschehen ein.
Die Hauptstraßen mussten freigeschoben werden
Von der Feuerwache in Broich ging’s nach Styrum – „dort mussten wir Straßenbahn-Leitungen von Bäumen befreien“ – und weiter zur Mellinghofer und zur Zeppelinstraße. Die Hauptstraßen mussten freigeschoben werden, „damit die Rettungswagen durchkommen“.
Was Gerdes in den Stunden nach dem Unglück sah, machte ihn betroffen – „ich dachte mehr als einmal, ,das ist ja lebensgefährlich’“. Um 3.30 Uhr war der Dienst zu Ende – um 7.30 Uhr fing er wieder an. Auch die Nacht zu Mittwoch war kurz, sehr kurz. „Mit Red Bull aber“, so verrät er, „geht vieles“.
„Machen Sie da frei, wo’s nötig ist“, hatte die Feuerwehr gesagt
Am Mittwochabend, an der Bismarckstraße, musste eine Linde zerlegt werden, die einen Hauseingang versperrte und schwer auf einer Garage lastete. „Machen Sie da frei, wo’s nötig ist“, hatte die Feuerwehr ihm gesagt – und das tat er. Kurz später aber, bei Bier und Zigarette, war’s erst einmal genug: „Ich muss jetzt mal ne Runde schlafen.“ Sein Fazit? „Es war schön, die Erleichterung der Menschen zu spüren; die waren überglücklich, dass die Hilfe so schnell kam.“ Zum Dank gab’s Kaffee, Süßes – und nette Gespräche. Auch an der Bismarckstraße wurde Gerdes von einer frohen Runde empfangen, u.a. von Jürgen Koch (39), der zu später Stunde mit ihm plauderte und schwärmte von der Nachbarschaft, die durch die Naturkatastrophe gestärkt worden sei.
Gerdes nimmt neben positiven Eindrücken auch 30.000 Euro mit („da geht aber noch die Steuer runter“). Eines aber gefiel ihm nicht: In einem Fall machte ihm ein Hilfebedürftiger den Vorwurf, er habe das Auto beim Befreien vom Baume erst recht beschädigt – „das hat mich erschüttert“. Trotzdem hätte er gern weiter mitgeholfen im übel zugerichteten Mülheim. An Tag drei nach dem Megasturm aber erfährt er: Die Feuerwehr braucht ihn nicht mehr.