Mülheim. Nur noch gut ein Viertel weibliche Mitglieder hat das Mülheimer Stadtparlament. „Traurig“ und „schade“, finden dies erfahrene Politikerinnen. Sie glauben, Frauen fehle es nicht an Engagement und Kompetenz, sondern oftmals schlicht an Zeit.

Wenn sich der neue Rat der Stadt Mülheim am übernächsten Montag konstituiert, sitzen bei insgesamt 54 Mitgliedern nur 14 weibliche Stadtverordnete im Saal. Durch die jüngste Kommunalwahl sank der Anteil der Ratsfrauen von gut 29 auf knapp 26 Prozent. Vor allem in den beiden größten Fraktionen SPD und CDU stellen sie nur noch eine kleine Minderheit. Politisch aktiven Frauen missfällt das, aber sie erahnen die Gründe...

„Traurig finde ich es, dass nur so wenige Frauen in meiner Partei bereit sind, für ein Amt zu kandidieren“, sagt beispielsweise Renate aus der Beek, die langjährige, eben freiwillig ausgeschiedene SPD-Ratsfrau und Bürgermeisterin. Insbesondere die Motivation junger Berufstätiger mit kleineren Kindern sei gering – „das ist sehr oft ein Zeitproblem“. Renate aus der Beek betont allerdings auch: „Viele Frauen lassen sich projektbezogen überzeugen, sich für etwas einzusetzen, aber nicht bindend.“

"Vielseitiges Engagement und Kompetenz" benötigt

Vor allem Vertreterinnen mittleren Alters fehlen in politischen Organisationen, das bemerkt auch Christina Kaldenhoff, die für die CDU im Rat sitzt und die Frauen-Union führt. Sie sagt: „Viele ältere Frauen kommen zurück in die Politik, wenn ihre Kinder aus dem Haus sind.“ Dass das Mülheimer Stadtparlament lediglich zu einem Viertel weiblich besetzt ist, findet die 31-Jährige „schade, weil es die Gesellschaft nicht abbildet“. Dabei sei sie selber als Frau durchaus gefördert worden. „Man muss allerdings Selbstbewusstsein haben, weil man in vielen Runden fast nur auf Männer trifft.“

Frauen seien schwerer zu einer Kandidatur zu bewegen, angesichts der Mehrfachbelastung durch Beruf, Familie und Politik, „das habe ich selber erlebt“, meint Andrea Schindler, dreifache Mutter und seit Jahresbeginn Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF) in Mülheim. Ziel sei gleichwohl, „die Frauenquote in der SPD-Ratsfraktion in den nächsten Jahren deutlich zu erhöhen“. Für diese Arbeit brauche man „vielseitiges Engagement und Kompetenz, die viele Frauen sicherlich mitbringen“.

OB unterzeichnete Gleichstellungs-Charta

Dagegen zweifelt Annette Lostermann-De Nil, scheidende Ratsfrau der Grünen, an der Ernsthaftigkeit der Bemühungen in manchen Parteien, „denn es gäbe sicherlich Wege, den Frauenanteil zu erhöhen“. Druck könnte man aufbauen, wie es die Grünen mit ihrer 50-Prozent-Quotierung per Satzung tun. Einen konkreten Vorstoß hat sie mit anderen Vertreterinnen des Mülheimer Frauennetzwerkes just unternommen: „Wir haben den Fraktionen vorgeschlagen, in die Geschäftsordnung des Rates aufzunehmen, dass die OB Vorschläge zur Besetzung von Gremien zurückgeben kann, wenn sie sehr weit von Gleichverteilung entfernt sind.“ Und wo Ratsfrauen (noch) fehlen, könnten sachkundige Bürgerinnen die Lücken füllen.

Am 26. April 2013 unterzeichnete OB Dagmar Mühlenfeld die „Europäische Charta für die Gleichstellung von Frauen und Männern auf lokaler Ebene“. Die Stadt Mülheim hat sich damit verpflichtet, binnen zwei Jahren einen Aktionsplan zu erstellen. Die angemessene Vertretung von Frauen in politischen Gremien gilt dabei als wichtiger Punkte – vor diesem Hintergrund kann die aktuelle Tendenz nur als Rückschritt bewertet werden.

"In Parteien geht es oft nur um Macht, nicht um Inhalte" 

„Bedauerlich“ findet die städtische Gleichstellungsbeauftragte Antje Buck die sinkende Zahl der Ratsfrauen in Mülheim und meint: „Es wird mit Sicherheit künftig noch schwieriger werden, eine paritätische Besetzung von Gremien zu garantieren“, wobei sie auch an Aufsichtsratsmandate denkt. Das Problem geringer politischer Teilnahme hängt für sie auch mit den üblichen Veranstaltungsformaten zusammen: „Kann ich um 17 Uhr zu einer Sitzung gehen und stundenlang bleiben? Diese Frage stellt sich für Frauen in bestimmten Lebensphasen besonders.“ Die Gleichstellungsbeauftragte verknüpft sie mit einem Vorschlag, der garantiert auch etliche männliche Fürsprecher fände: „Man könnte die wichtigen Punkte an den Anfang stellen, damit die Leute nicht auf heißen Kohlen sitzen.“

Ganz ähnlich sieht es Inamaria Wronka, Sprecherin des überparteilichen Mülheimer Frauennetzwerkes, das im März 2012 gegründet wurde und monatlich zusammenkommt. Wronka vermutet, auch der persönliche Umgang innerhalb von Parteien biete für Frauen wenig Anreiz, mitzuwirken: „Dort geht es oft nur um Macht, nicht um Inhalte.“ Entscheidend sei aber noch etwas Anderes: „Wenn man die Frauenquote tatsächlich erhöhen will, muss man die Kandidatinnen über Listenplätze entsprechend absichern.“

Listenplätze - Hälfte-Hälfte gilt nur bei den Grünen

Betrachtet man die (Reserve-)Listen für den Mülheimer Stadtrat, mit denen die örtlichen Parteien in die Kommunalwahl gezogen sind, so findet sich allein bei den Grünen, satzungsgemäß, eine abwechselnd weiblich-männliche Reihe.

Auf der insgesamt 27 Namen umfassenden Kandidaten-Liste der Mülheimer CDU standen demgegenüber sechs Frauen, die die Plätze 2, 6, 12, 16, 19 und 25 belegten. Die FDP trat mit zehn Kandidaten an, wobei der dritte, fünfte und siebte Platz weiblich besetzt waren. Auf der bis zur Nummer 15 reichenden Reserveliste der MBI finden sich sechs Frauen (Plätze 4, 5, 7, 8, 12 und 14): „Wir sind quotenfrei“, erklärt dazu Fraktionssprecher Lothar Reinhard.

Bei der SPD standen 14 weibliche und 40 männliche Bewerber zur Wahl: „Wir haben uns nach Kräften bemüht, die Liste alternierend anzulegen“, sagt Fraktionsgeschäftsführer Claus Schindler, „und es bis zu Platz 14 auch geschafft.“ Dann seien leider nicht mehr genügend Frauen zur Kandidatur bereit gewesen. Gründe: siehe oben.