Mülheim.

Sandburgen bauen oder Schaukeln, damit verbrachte Helmut Berndt, Jahrgang 1935, nicht seine Kindheit. Während des Zweiten Weltkriegs spielte er in Mülheim zwischen Tod und Bomben, ohne zu erkennen, wie gefährlich das war. „Wir hatten in dieser Zeit Tausende Schutzengel.“

Die Bombardierungen durch die Alliierten wird der 79-Jährige nie vergessen. „Die erste Bombe auf Mülheim war eine Luftmine. Als sie auf die Wiescher Kolonie runter kam, hat sie laut gepfiffen und mehrere Häuser direkt erwischt.“ Auch spätere Angriffe, die auf das Bombardement am 13. Mai 1943 folgten, habe er gut in Erinnerung: „In den Feldern in Menden standen drei Scheinwerfer. Wenn Flugzeuge einmal im Licht waren, kamen die nicht mehr raus. Die Flakbatterien haben sie abgeschossen.“

Sobald sich Helmut Berndt und seinem älteren Bruder Siegfried anschließend die Gelegenheit bot, erkundeten die Jungs die Mülheimer Felder. „Brandkanister waren unser Spielzeug.“ Zudem sammelten sie Bomben und Blindgänger, brachten sie zu den Erdwällen der Flakgeschütze und zündeten sie an. „Sie konnten brennen, also sollten sie auch brennen.“

Toter Pilot im Walkmühlenteich

Einmal fanden die Kinder einen britischen Piloten, der an seinem Fallschirm gegenüber der Essener Straße gelandet und im Walkmühlenteich ertrunken war. Auf einem Feld nahe der einstigen Zeche Rosendelle sahen sie sich außerdem ein ausgebranntes Flugzeug an.

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Während einer anderen Erkundungstour im Forstbachtal am Hauptfriedhof entdeckten die beiden Brüder sogar eine „verbrannte Mumie“, von der nur noch ein Filzstiefel heil geblieben war. Fast wäre auch der heutige Rentner selber im Krieg umgekommen. Einmal feuerte nämlich ein britischer Tiefflieger auf ihn und andere, als sie auf der Straße liefen. Für seine Familie, die am Priesters Hof ein Feld und einen Gemüsegarten hatte, wollte Berndt mit einem Handwagen einen Korbkoffer voller Zwetschgen zum Güterbahnhof bringen. Bevor ihn aber eine Maschinengewehrsalve traf, sprang er in den Straßengraben; sein Gehör rettete ihm das Leben.

„Nazi-Bonzen“ die Räder stehlen

Heute nennt er sich stolz „einen alten Heißener“ und redet mit Siegfried gerne über den Schabernack, den sie als Kinder trieben. So wollten sie einmal den „Nazi-Bonzen“ in ihren schicken Häusern an der Ruhr die Fahrräder klauen, doch fanden dort nur Gewehre, Munition, Säbel und Bajonetts und wurden unwirsch verscheucht.

Zu vielen Erlebnissen aus seiner Kindheit sagt Berndt heute: „Es war eben Krieg.“ Allerdings findet er, dass längst nicht alles schlecht war. Er habe nämlich gelernt, wie man richtig arbeitet, weil er das elterliche Feld bestellen oder schwere Wassereimer vom Brunnen zum Haus schleppen musste. „Wir hatten noch richtig Power.“

Kriegsgeschichten beliebter als die der Gebrüder Grimm

Daher habe er seinem Sohn und seiner Tochter immer vermittelt, dass sie arbeiten können müssen; auch alle fünf Enkelkinder hätten sich etwas Gutes aufgebaut. Helmut Berndt ist überzeugt, dass seine Kriegsgeschichten dabei geholfen haben. Beim Nachwuchs seien sie nämlich beliebter gewesen als die Märchen der Gebrüder Grimm. Nicht in allem aber hätten sich seine Kinder ein Beispiel an ihrem Vater und Onkel genommen. Und darüber ist er froh: „Sie waren vorsichtiger als wir damals, aber hallo!“

Trotz des Krieges, der Nazi-Gräueltaten blickt Helmut Berndt manchmal mit Wehmut in die vierziger Jahre zurück. „Obwohl Krieg war, habe ich mich damals sicherer gefühlt“, sagt er. Schließlich müssten Senioren heutzutage Angst haben, selbst wegen Kleinigkeiten wie ein paar Cent von Jugendlichen überfallen zu werden. Dass er zu diesem Urteil kommt, mag aber daran liegen, dass er früher Gefahren völlig anders – teils auch falsch – eingeschätzt hat als heute. Denn inzwischen zündet er mit seinem Bruder Siegfried in Heißen natürlich keine Brandkanister mehr an.