Mülheim. . Arbeitszeiten hier, familiäre Notwendigkeiten da, der Wunsch, privates und berufliches Wohlbefinden zu vereinen: Familienfreundlichkeit gilt in der Theorie als Schlüssel für eine gute betriebliche Zukunft. Aber wir sieht es in der Praxis aus? Die NRZ begibt sich einer Serie auf die Suche.

Die meisten Männer und Frauen wollen Kinder und Karriere, aber ein Siebtel der Männer und ein Fünftel der Frauen haben den Eindruck, dass sie beides nicht miteinander verbinden können und mehr Unterstützung ihrer Arbeitgeber benötigten, um nicht nur Kollege und Mitarbeiter, sondern auch Mutter und Vater sein zu können. In der Altersgruppe der 35- bis 40-Jährigen glauben sogar die Hälfte der Männer und Dreiviertel der Frauen, dass sie Karriere und Kinderwunsch nicht mehr miteinander vereinbaren können.

Mit diesen Aussagen des DAK-Gesundheitsreportes, der 3000 Personen im klassischen Familiengründungsalter zwischen 25 und 39 befragt hat, suchte die NRZ nach familienfreundlichen Arbeitgeberbeispielen und wurde fündig. Dabei lässt sich die Familienfreundlichkeit von Arbeitgebern vor allem an ihrer Flexibilität festmachen, mit der sie sich auf ganz unterschiedliche Weise durch die Bereitstellung von Zeit, Geld oder konkreter Hilfestellungen für den Alltag auf die familiären Lebensverhältnisse ihrer Mitarbeiter einstellen und damit in Zeiten des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels einen Wettbewerbsvorteil haben, der sich in Motivation, Mitarbeiterbindung und Arbeitszufriedenheit auszahlt.

Es kommt auf jeden Mitarbeiter an

In dem Mülheimer Familienunternehmen, das in der dritten Generation Elektrotechnik für gefährdete Bereiche, wie zum Beispiel Verbindungs- und Verzweigungskästen sowie Klemm und Hochspannungskästen für bis zu 36.000 Volt herstellt, arbeiten 40 Beschäftigte. „Zwei Drittel unserer Mitarbeiter arbeiten in der Produktion.

Da kommt es auf jeden Mitarbeiter an, denn die Produktion muss rund laufen und bei Arbeitsspitzen müssen auch schon mal Sonderschichten geleistet werden“, schildert Geschäftsführerin Heike Gothe die Bedürfnisse des Unternehmens. Doch sie weiß bei allen betriebswirtschaftlichen Zwängen: „Nur wenn es den Mitarbeitern gut geht, geht es auch dem Unternehmen gut. Und nur wenn es dem Unternehmen gut geht, geht es auch meiner eigenen Familie gut.“

Flexible Arbeitszeiten können wichtig werden

Als Heike Gothe 2003 ihren Mann verlor und neben dem Unternehmen auch die Betreuung von zwei damals 11 und 13 Jahre alten Kindern organisieren musste, erlebte sie selbst am eigenen Leibe, wie schnell Beruf und Familie mit einander kollidieren können. „Ich musste das selbst organisieren, hatte aber auch mehr Geld zur Verfügung als meine Mitarbeiter, um eine Fremdbetreuung bezahlen zu können“, erinnert sich Gothe.

Als Unternehmerin half sie zwei Mitarbeitern in familiären Belastungssituationen mit flexiblen Arbeitszeiten dabei, ihre beruflichen und privaten Anforderungen zu erfüllen. In einem Fall konnte ein gewerblicher Mitarbeiter, der sich um seinen pflegebedürftigen Vater kümmern musste, seine Arbeitszeit so verteilen, dass er nur noch vier statt fünf Tage pro Woche arbeiten musste und so einen Tag für die häusliche Pflege gewonnen hatte.

In einem anderen Fall konnte eine alleinerziehende Verwaltungsmitarbeiterin mit Computer und Telefon regelmäßig von Zuhause aus für ihre Firma arbeiten und so mehr Zeit für die Betreuung ihrer drei Kinder haben. Aus unternehmerischer Sicht ist solch praktische Familienfreundlichkeit am Arbeitsplatz „kein Luxus, sondern eine dringende Notwendigkeit.“