Mülheim. Das „Turboabitur“ wird wieder in mehreren Bundesländern diskutiert. In Düsseldorf trifft sich der „Runde Tisch“ zum Thema Schulzeitverkürzung. Die gibt es nicht an allen Gymnasien. Die fünf Gymnasien in Mülheim haben besprochen, bei G 8 zu bleiben.
Weiter mit G 8 oder doch zurück zu G 9? Das „Turboabitur“ nach nur acht anstatt neun Jahren Schule wird wieder in mehreren Bundesländern diskutiert. In Düsseldorf trifft sich seit Montag der „Runde Tisch“ zum Thema Schulzeitverkürzung, die es nicht an allen Gymnasien gibt. Die fünf Gymnasien in Mülheim haben besprochen, bei G 8 zu bleiben, sagte Ulrich Stockem, Sprecher der Mülheimer Gymnasien, dieser Zeitung. Das sei der derzeitige Stand.
Der Leiter der Otto-Pankok-Schule gibt zu bedenken, dass eine Rückkehr zu G 9 auch nicht umsonst zu haben sei, dabei gehe es nicht nur um Schulbücher und Curricula. Mehr Zeit zum Üben, zum Vertiefen des Gelernten wünscht er sich. An seiner Schule gebe es keinen Diskussionsbedarf, sagt Stockem, aber er erlebe doch, dass sich Eltern der Fünftklässler Gedanken machten: Haben die Kinder nicht zu viel Lernstress? Bleibt noch Zeit für Spiel und Sport, für ein Musikinstrument?
In Mülheim ausreichend Möglichkeiten
Schulleiter Olaf Metzing vom Gymnasium Broich hält es für unsinnig, zu G 9 zurückzukehren. Es gebe in Mülheim an Gesamtschulen und Berufskollegs ausreichend Möglichkeiten, Abitur nach neun Jahren zu machen. Er hätte es aber von Anfang an für vernünftig gehalten, das Schuljahr nicht in der Unterstufe, der Sekundarstufe 1, zu kappen, sondern in der Sekundarstufe 2, der Oberstufe. Dann bestehe nicht die Gefahr, dass junge Kinder unter Druck geraten, so Metzing. Er habe bislang nicht die Erfahrung gemacht, dass die Schüler sich mit der aktuellen Situation schwerer tun. Im Vorjahr, als beide Jahrgänge zeitgleich Abitur machten, seien die Zeugnisse der G 8er nicht schlechter gewesen.
Ein Vertreter der Mülheimer Elternschaft (Name der Redaktion bekannt) sieht das Problem primär in den Köpfen der Eltern. Die Schüler hätten das Problem überhaupt nicht. Natürlich gebe es Schüler, die eigentlich nicht auf das Gymnasium gehörten. Aber die seien doch auch im alten Schulsystem überfordert gewesen. Er plädiert dafür, die Schulen einfach mal zur Ruhe kommen zu lassen.
G 8 hat das Leben an den Schulen verändert
Schulleiter Magnus Tewes erinnert daran, dass die Karl-Ziegler-Schule vor vier Jahren der achtjährigen Gymnasialzeit mit Unterricht bis in den Nachmittag mit der Einführung des Ganztags begegnet sei. Damit Schüler mittags etwas essen und ihre Hausaufgaben in der Schule machen könnten. „Das ist von den Eltern sehr positiv aufgenommen worden“, so Tewes. Die zusätzlichen Räume können zudem von der Oberstufe als Lernorte genutzt werden. G 8 hat das Leben an den Schulen verändert, so oder so. Das berichten Pädagogen aus dem Schulalltag.
Es geht nicht allein um die Leistung
„Für manche reichen zwölf Jahre, andere könnten ein weiteres Jahr gut gebrauchen“, sagt Ulrich Stockem, Otto-Pankok-Schule, über den unterschiedlichen Reifegrad seiner Schüler in der letzten Klasse.
Leistungsmäßig unterschieden sich die G 8er und G 9er kaum, meint Sigrun Leistritz. „Gleichwohl denke ich, dass den Schülern ein Jahr fehlt“, so die Leiterin des Gymnasiums Heißen. Seit anderthalb Jahren leitet sie die Schule. Von einer Gesamtschule kommend, vergleicht sie die Situationen. Die Schüler, findet die Lehrerin für Latein und Kath. Religion, hätten kaum Zeit für Muße, seien weniger in der Lage, sich anspruchsvolle Texte zu erarbeiten.
Vom Zeitgewinn könne man nicht wirklich sprechen
Vom Zeitgewinn durch das gewonnene Jahr könne man nicht wirklich sprechen, denn viele Schüler gingen auf Reisen oder entschieden sich für ein Freiwilliges Soziales Jahr. „Bevor ich die Jugendlichen auf dem australischen Tomatenfeld bei der Ernte sehe, könnten sie hier besser ihre Hobbys pflegen“, so Sigrun Leistritz. Dieses Jahr fände sie sinnvoller für ein entspannteres Lernen an der Schule genutzt. Mit mehr Zeit für Freizeit, Muße, Musik, Sport.
Mehr Zeit zum Vertiefen wäre wünschenswert, meint Ulrich Stockem. Wissen werde für eine Klausur gepaukt, danach sei es weg. „Wir stellen das insbesondere in der Mathematik fest. Es fehlt das Anwenden in anderen Situationen.“ Lücken zeigten sich später in der Oberstufe. Curricula klug auszudünnen, um Schülern Basiswissen nachhaltig vermitteln zu können, sollte das Ziel sein. Eine gute Studie zum Thema wünscht Stockem sich. „Um gute Entscheidungen treffen zu können muss man eine gute Datenbasis haben.“ Auch solle untersucht werden, ob es mehr psychischen Druck gebe.
"Mit besserem Gefühle das ,Reifezeugnis’ überreicht“
Sigrun Leistritz hat festgestellt, dass Schüler unter starken Kopfschmerzen litten. „Das kenne ich von der Gesamtschule gar nicht.“ Eltern übten ihrer Meinung nach oft Druck aus, aus Sorge, dass die Kinder Stoff verpassten. „Ich hatte andere Schüler in der Klasse 13 vor mir als heute in der 12. Denen konnte ich mit besserem Gefühle das ,Reifezeugnis’ überreichen“, sagt sie.