Mülheim. Die Baumfällungen, die die Stadt Mülheim kürzlich vornehmen ließ, haben die Anwohner aufgebracht. Die Stadt verteidigt die Entscheidungen: Es gehe nicht nur um die Erhaltung des Grüns, sondern auch um die Sicherheit der Bürger in Mülheim. Trotzdem wächst die Kritik in den Reihen der Umweltschützer.

Am Freitag war der „Tag des Baumes“. Auf dem Spielplatz im Witthausbusch pflanzten Mitglieder des Umweltausschusses den Baum des Jahres: eine Trauben-Eiche. Ein Gewächs, das über 1000 Jahre alt werden kann. Wenn man es denn lässt. Laut einigen kritischen Zeitgenossen ist in Mülheim das viel zu selten der Fall – zu häufig werde die Axt geschwungen und ein noch lebensfähiger Baum gekappt.

Bürger beschweren sich

Die Grünen prangern „den unsensiblen Umgang mit klimatisch und städtebildnerisch wichtigem Grün“ an. Auch die Mülheimer Bürgerinitiativen (MBI) protestieren gegen Fällungen. „In Mülheim aber scheint die Jagdsaison auf öffentliche Bäume wieder voll eröffnet“, stellt Fraktionssprecher Lothar Reinhard fest. Nicht zuletzt beschweren sich einzelne Bürger; so war der Aufschrei groß, als vor kurzem am Schloßberg acht Silberlinden der Säge zum Opfer fielen. Mit einer Bürgerversammlung am 5. Mai, 19.30 Uhr, in der VHS, will die Stadt aufklären und zur Versachlichung beitragen – „denn das Thema Baum“, so Sylvia Waage, Amt für Grünflächenmanagement, „ist allgemein sehr emotional behaftet“.

Die Amtsleiterin versteht durchaus, dass es Menschen traurig und wütend machen kann, wenn Bäume umgehauen werden. Und auch ihren eigenen Mitarbeitern liege der Bestand sehr am Herzen, betont Waage. Doch der Stadt obliege nun mal nicht nur die Entwicklung und Erhaltung des Grüns, sondern auch die Verantwortung für die Sicherheit der Menschen – damit die Aufgabe, Gefahren festzustellen und zu beseitigen. „Im Zweifel überwiegt der Anspruch, die Menschen vor Schaden zu bewahren.“

Uralte Bäume lässt die Landesregierung im Internet kartieren

Viele Straßenbäume sterben schneller als in der freien Natur. Besonders alte Bäume sollen nun in einem Altbaum-Portal im Internet landesweit kartiert werden.

Unter der Adresse www.alt
baumfinder-nrw.de können die Bürger besonders alte Bäume melden, die schon Jahrhunderte auf der Rinde haben.

Der älteste Baum in NRW ist vermutliche eine Stiel-Eiche in Erle/Raesfeld. Nach ungesicherten Überlieferungen wurde die Femeiche zwischen den Jahren 1100 und 1300 gepflanzt. Sie soll schon früh als Kultstätte genutzt worden sein; im Mittelalter tagte unter ihr das geheime Femgericht, teilte das Umweltministerium mit.

107 Bäume stehen stadtweit kurz vor der Fällung oder sind gerade gefällt worden – die Bezirksvertreter werden sich heute, morgen und in der kommenden Woche damit beschäftigen. Laut Waage erfolgen die Fällungen nach Dringlichkeit; bei unmittelbarer Gefahr müsse sofort gehandelt werden, notfalls auch in der Brutzeit. Da fortwährend Kontrollen durch Fachleute ihres Amtes erfolgten, könne der Liste jederzeit ein Baum hinzugefügt werden. Aus den Erfahrungen vergangener Jahre wisse man, dass im Schnitt jährlich 346 Bäume fallen. Spezielle Sachverständige seien für die Begutachtung übrigens nur hinzuzuziehen, wenn keine eindeutige Beurteilung durch die eigenen Fachleute möglich sei.

Gefällt werde immer dann, wenn ein Baum verkehrsgefährdend ist, „wenn also keine ausreichende Stand- und Bruchsicherheit mehr gewährleistet werden kann“. An den geschädigten Bäumen zeigten sich etwa holzzerstörende Pilze, vermehrte Totholzbildung, Wurzel- oder Stammfäule, Risse, Rindenablösungen oder Vitalitätsdefizite. Zudem gebe es Fällungen wegen Baumaßnahmen oder Arbeiten an Ver- und Entsorgungsleitungen – dann allerdings nur nach Entscheidung der Bezirksvertreter.

Bei Verkehrssicherungsmaßnahmen ist das anders. Davon erfahren die Politiker häufig erst nachträglich: wegen des akuten Zeitpro­blems.

Stadt lädt zur Bürgerversammlung ein 

Die Gegner von Baumfällungen argumentieren mit Sätzen wie „Die Stadt fällt eher einen Baum, als dass sie kostenintensive Pflegearbeiten durchführt.“ oder „Die Stadt ignoriert, wie wichtig Bäume für das Mikroklima sind, obwohl wir in Zeiten der Klimaerwärmung leben.“

Für Dr. Jürgen Zentgraf, Leiter des Umweltamtes, sind diese Sätze wenig nachvollziehbar. Das erste Argument werde schon „durch die Existenz der Baumschutzsatzung ad absurdum geführt“, sagt er. Eine solche sei nämlich keinesfalls Pflicht, und doch habe man sie aufgestellt. „Und damit ist die Stadt natürlich genau so daran gebunden wie jeder andere Grundstückseigentümer auch.“ Fällungen auf privaten Grundstücken allerdings würden nicht öffentlich diskutiert. . .

Auch mit dem zweiten Argument kann Zentgraf wenig anfangen: „Die Bedeutung von Bäumen für die klimatische Situation ist unbestritten – nicht umsonst setzt diese Stadt seit Jahrzehnten auf jedes freie Fleckchen einen Baum. Viele Bäume bedeuten aber auch, dass regelmäßig einige das Ende ihres trostlosen Lebens als Straßenbaum erreicht haben – und zwar deutlich früher als in der freien Natur.“ Es bestehe ein Dissens in der rein lokalen Wahrnehmung mancher Anwohner („wenn die Bäume in einer Straße gefällt werden, sieht es zugegebenermaßen schlimm aus“) und der übergeordneten Sicht der Stadt, die einen hohen Baumbestand pflege und unterhalte. Bäume nur zu erhalten, damit sie einige Jahre später von selbst umfallen, sei auch aus ökologischer Sicht unsinnig.

Für Sylvia Waage, Leiterin des Grünflächenamtes, sind Bäume „ein prägendes Element der Stadtgestaltung“ – „ihre Bedeutung kann nicht hoch genug eingeschätzt werden“. Dennoch gebe es im Einzelfall eben auch Argumente dafür, einen Baum zu entfernen.

Wer mehr über die Arbeit und die Auffassung der Mitarbeiter des Grünflächenamtes wissen möchte, sollte die Bürgerversammlung am Montag, 5. Mai, um 19.30 Uhr, in der VHS besuchen. Titel: „Erhalt von Straßenbäumen im Stadtgebiet“.