Mülheim. Behinderungen, ja, davon erfahren Behinderte viel, sagt Inge Lantermann: Weil ihre Umgebung Menschen mit Handicap behindert. In ihrer Tätigkeit als neue Behindertenkoordinatorin der Stadt Mülheim will Lantermann in diesem Sinne arbeiten. Ein Schwerpunkt ist dabei barrierefreies Wohnen im Alter.
Eine psychisch kranke Frau sucht eine neue Wohnung. Das St. Marien-Hospital und eine Kindertagesstätte am Kuhlendahl möchten wissen, ob ihre Baupläne der seit 2003 geltenden Vorschrift für Barrierefreiheit entsprechen. Ein Mann will wissen, wie er zu einem Schwerbehindertenausweis kommt.
Eine Frau, die vor einem Bewerbungsgespräch steht, bittet um Rat, ob und wie sie im Gespräch mit ihrem künftigen Arbeitgeber ihre rheumatische Erkrankung thematisieren soll. Gehörlose Eltern brauchen einen Gebärdendolmetscher, um sich mit dem Arzt ihres Kindes verständigen zu können. Die Mülheimer Verkehrsgesellschaft fragt im Zusammenhang mit dem barrierefreien Umbau einer U-Bahn-Haltestelle nach geeigneten taktilen Leitsystemen für Blinde und Sehbehinderte.
Mit solchen und ähnlichen Fragen beschäftigt sich Inge Lantermann als Behindertenkoordinatorin der Stadt. Obwohl sie ihre neue Stelle bereits im November angetreten hat, sieht sie sich selbst noch in der Einarbeitungsphase. „Dort, wo ich Leuten nicht auf Anhieb weiterhelfen kann, weiß ich aber, wo sie Spezialistenrat finden können“, sagt Lantermann. Ausgerechnet bei der sehr anspruchsvollen Prüfung von Bauplänen brauchte sie keine Einarbeitungszeit. „Ich habe ein gutes technisches Verständnis und habe das Lesen von Bauplänen schon bei der Wohnberatung von Senioren gelernt.“
Barrierefreiheit ist nicht teuer
Immer wieder trifft sie in ihrem neuen Arbeitsbereich auf Schnittstellen mit ihrem beruflichen Vorleben in der Seniorenberatung, wenn es zum Beispiel um barrierefreies Wohnen im Alter geht. „Gerade die großen Wohnungsbaugesellschaften MWB, SWB und Immeo haben inzwischen erkannt, dass sie davon profitieren, wenn sie ihre Wohnungen barrierefrei umbauen und damit alte und zuverlässige Mieter behalten können. Allerdings fehlt es in der Stadt immer noch an einem ausreichenden Angebot barrierefreier und auch bezahlbarer Wohnungen“, sagt Lantermann. Mit Sorge sieht sie deshalb in die Zukunft, wenn die Generation der in den 60er Jahren geborenen Babyboomer in Rente gehen wird und aufgrund ihrer zum Teil brüchigen und prekären Berufsbiografien mit kleinen Renten auskommen muss.
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Nicht nur mit Blick auf den demografischen Wandel einer Stadtgesellschaft, in der schon heute jeder Dritte über 60 ist, ist Behinderung für Lantermann kein Randthema. Sie weist darauf hin, dass rund 30.000 der etwa 168.000 Mülheimer als schwerbehindert gelten. Die Bandbreite der Behinderungen reicht von der geistigen und körperlichen Behinderung bis zur psychischen Erkrankung. „Menschen mit Behinderung sind weniger behindert, als dass sie oft behindert werden. Wir sollten nicht auf ihre Defizite, sondern auf die Möglichkeiten und Fähigkeiten schauen“, rät Lantermann.
In der Zusammenarbeit mit der Fürsorgestelle des Sozialamtes, die schwerbehinderte Arbeitnehmer und ihre Arbeitgeber in Fragen rund um die Integrationshilfen am Arbeitsplatz berät, stellt Lantermann immer wieder fest, „dass Arbeitgeber sehr wohl bereit sind, Menschen mit Behinderung einzustellen, wenn sie sehen, dass die Bewerber mit Handicap mit einer Hilfestellung in der Lage sind, ihren Arbeitsplatz auszufüllen.“
Beratung auch für Private?
Auch mit Blick auf die Checkliste für barrierefreies Bauen, sieht Lantermann, dass man bei Neubauten mit einem Mehraufwand von zwei bis drei Prozent dafür sorgen kann, dass Zugangsbarrieren beseitigt werden. Sie denkt da an Türen, die auch für Rollstuhlfahrer breit genug sind, an akustische Etagenansagen im Aufzug oder Hinweisschilder, die groß genug beschriftet sind, um auch von Sehbehinderten gelesen werden zu können.
Auch Haltegriffe und von Rollstuhlnutzern unterfahrbare Waschbecken in Toiletten oder von Rollstuhlfahrern in Sitzhöhe erreichbare Bedienungselemente im Aufzug können für Barrierefreiheit im Bau sorgen. Deshalb würde Lantermann nicht nur öffentliche, sondern auch private Bauherren gerne beraten, um rechtzeitig an Barrierefreiheit zu denken. „Gerade der Umgang mit Architekten ist in dieser Frage manchmal schwierig, weil sie Individualisten sind und ihre ganz eigenen Vorstellungen haben“, weiß Lantermann.